Hotspot Kiessee 

#Macht+Protest #Lokales #LebenLernen #Tierliebe

Der Kiessee: ein Naherholungsgebiet? Ein Idyll der Ruhe und Achtsamkeit? Die Oase der Besinnlichkeit in dem pulsierenden Moloch, der Göttingen heißt? Weit gefehlt! Am Kiessee brennt die Luft. Das Tor zur Hölle steht an allen Ufern weit offen. Bei jedem Schritt tun sich beim aufmerksamen Beobachten gähnende menschliche Abgründe auf. Aber niemand bemerkt die Gefahr. Doch es gibt Hoffnung. Das meint jedenfalls unser Autor Manni. Ein Rettungsversuch. 

[Text: Manfred Langer aka Manni | Illustrationen: Charlotte Karnasch]

Umkreist man wie ich fünfzehn Jahre lang dreimal wöchentlich joggend den Kiessee, was jeweils einer halben Stunde entspricht, ergibt sich folgende Rechnung: 30 x 3 x 52 x 15 : 60 : 24. In diesen eineinhalb Dekaden verbringt man dort also 48,75 Tage. Sagen wir 50. Bei jedem Wetter und zu jeder Tages-, Nacht- und Jahreszeit. Und nur selten ist man dort allein. Wenn das keine Voraussetzung für eine Feldstudie ist. Ob die sportliche Mission Possible oder die pure Langeweile an das Gewässer lockt, treibt oder nötigt – in jedem Fall kann man wunderbar Menschen in Freilandhaltung beobachten. Und hält man sich sogar rund 50 Tage lang dort auf, bemerkt man, dass manches Verhalten sich wiederholt. Und zwar auf eine Weise, die eine umfassende Analyse in mehreren Teilen rechtfertigt. Es folgt nun Teil 1.

Kommissar Rex und ähnliche Kaliber

Man muss nicht lange auf Hundehalter*innen warten, die ihr Tier nicht nur mit Jäckchen, Schleifchen und Pralinenernährung zu vermenschlichen suchen, sondern dies auch durch ihre Ansprache noch unterstreichen. Doch leider versteht auch der klügste Hund Sätze wie „Ich habe dir doch schon tausendmal gesagt, dass du nicht den Radfahrern in die Quere kommen sollst!“ nicht. Und er versteht auch nicht die mit einem halben Dürüm im Mundwinkel gestellte Frage: „Du sollsoch liebsein, bissu jets lieb?“ Ich habe jedenfalls noch keinen Hund erlebt, der darauf erwiderte: „Kein Ding.“ Meist wirken die Tiere dann eher verwirrt und starren auf das feilgebotene Frolic respektive die andere Dürümhälfte. Wie groß der Kosmos mancher Hundehalter*innen wirklich ist, zeigt sich in folgender Situation: Der frei gelassene Hund rennt kläffend auf einen fremden Menschen zu, der vor Schreck erstarrt. Im besten Fall umspringt das bellende Tier sein Zielobjekt. In anderen Fällen springt es an ihm hoch. Herrchen, respektive Frauchen, respektive Diverschen ruft dem Erstarrten von fern zu: „Keine Angst, der macht nichts!“ Manchem Hundehaltenden scheint die Fähigkeit, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, abhanden gekommen zu sein. Man munkelt, es gäbe viele Menschen, die gar kein Interesse daran haben, beim Joggen, Spazierengehen oder Fotografieren von einem wild bellenden Hund umzingelt oder angesprungen zu werden. Doch kommt dieser Umstand in der Weltanschauung mancher Tierhalter*innen nicht vor. Aber wer als Betroffene*r in der Situation sein Missfallen anspricht, lebt gefährlich. Intoleranz wird einem vorgeworfen, Hundehass und in seltenen Fällen kommt der Tierhaltende auch schon mal mit geballten Fäusten auf einen zu: „Hast du’n Problem, oder was?“

 Nein, ich habe kein Problem. Ich möchte an dieser Stelle nur gern den Begriff Hundehasser*in, kurz: Huhas, präzisieren. Menschen, die es verunsichert, wenn ein fremder Hund auf sie zu sprintet, an ihnen hochspringt und kläfft, sind nicht zwangsläufig Hundehasser*innen. Und Menschen, die dabei sogar Angst bekommen, erst recht nicht. Die Größe der Angst nimmt hierbei mit der des Hundes übrigens proportional zu. Wen die Betroffenen zuweilen aber durchaus schon mal ein wenig hassen, sind die gleichgültigen Hundebesitzer*innen, kurz: Hubesis. Sie sind also keine Huhas, sondern eher HuHaHas, lang: Hundehalterhassende. Also solche Halter*innen, bei denen das Tier tun und lassen kann, was es will, während die gesamte Verantwortung an die Außenwelt delegiert wird. Manche nennen das Gleichgültigkeit dem Tier gegenüber. Und ja, es gibt wohl auch Leute, die jeden Hund hassen, egal wie klein, süß, flauschig, fidel oder tranig dieser ist. Habe ich mal gehört. Ich kenne jedoch keinen.

Je lauter, desto Sitz?

Wenn es nicht so traurig für die Tiere wäre, könnte man sich über manche Hubesis wirklich kaputt lachen. Beömmeln über deren Blödheit. Jeder kennt sie, keiner mag sie. Ihr wisst schon: Die, die in dem irrwitzigen Glauben leben, dass eine Forderung an Bedeutung gewinnt, je lauter sie formuliert wird. „Sitz.“ Hund schaut lieb. „Sitz!“ Hund schaut fragend. „Sitz!!“ Hund zieht den Kopf ein. „SITZ!!!“ Hund macht irgendwann zufällig Sitz, weil er alle anderen Positionen bis dahin schon in Panik ausprobiert hat. Platz, auf den Rücken, nicht vorhandenes Stöckchen suchen. 

Sitzt das Tier schließlich irgendwann wie gewünscht, hört man manche Besitzer*innen bestenfalls „Na, also!“ sagen. Schlimmstenfalls zerren sie am Halsband, warum nicht gleich so? Bei diesen Schreihälsinnen und -Hälsen weiß man sofort, wie die sich in ihren Partnerschaften artikulieren, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen. Sicher ist: Kein Hund muss angeschrien werden. Überhaupt sprechen gute Hundehalter*innen nicht sehr viel, wenn sie von ihrem Tier ein bestimmtes Verhalten einfordern. Sie arbeiten mit Gesten und kurzen Stimmsignalen, mit Gesichtsausdrücken mit Aufmerksamkeit oder Aufmerksamkeitsentzug, mit Blickkontakt und Blickkontaktentzug. Aber die haben vielleicht auch einfach schon mal ein Buch darüber gelesen, wie man mit Hunden am besten umgeht. Und es macht den Anschein, als wenn hier der Hase im Pfeffer liegt: Die Bedienungsanleitung für den neuen Blue-Ray-Player wird gewissenhaft von vorne nach hinten gelesen. Aber ein Buch über die Hundeseele und das Wesen der jeweilige Rasse kaufen und auch noch lesen? Wozu? Geht doch auch so. Manche Hundehaltende wirken hilflos und setzen auf Zerren, Schreien und Bestrafen. Allein Letzteres ist aus einem ganz bestimmten Grund so bitter: Hunde haben ein Kurzzeitgedächtnis, das ihnen durch den Alltag hilft. Kommt das Tier nach einem eigenwilligen Exkurs in die Weiten der Drachenwiese nach zehn Minuten wieder und wird bestraft, weiß es nicht, was man von ihm will. Denn der Hund hat alle „Ansagen“, die länger als fünfzehn oder zwanzig Sekunden zurückliegen, bereits wieder vergessen. Was er sich dann aber merkt ist: Zu Frauchen zurückkehren ist gefährlich, dann tut sie mir weh. Was wird dieser Hund also beim nächsten Exkurs tun? Hören? Sicher nicht! Das gewünschte Verhalten darf positiv geankert werden. Übrigens auch bei Kindern, aber dazu im nächsten VONWEGEN-Magazin mehr. 

Auch wenn man als Hubesi auf hundertachtzig ist: Atmen, Hund streicheln, fein, dass du wieder da bist, atmen, hier ist dein Schmacko, hutschibutschi. Hunde leben auf eine Weise in der Gegenwart, von der wir Menschen uns gern eine Scheibe abschneiden dürfen. In grauer Vorzeit waren sie Rudeltiere, heute sind es nur noch die in freier Wildbahn. Sie haben sich eine soziale Form des Zusammenlebens angeeignet. In unseren Breitengraden ist ihre Beziehung zum Menschen das wichtigste. Daher sind sie auch der viel zitierte „treueste Begleiter des Menschen“ geworden. Bestrafen ist retro, ein Zeichen für Unkenntnis, völlig out und sollte im Verhaltensrepertoire eines Menschen not available sein. 

Neulich sah ich im Vorbeijoggen wieder, wie jemand sein Tier lauthals zurechtwies. Ich ging zurück und sagte: „Hoffentlich sind Sie stark genug für das, was ich Ihnen jetzt sage.“ Der Mann holte Luft, er ahnte, dass etwas Mächtiges auf ihn zu rollte. „Sie können Ihr schönes Tier auch schlagen“, sagte ich, „aber es wird Sie immer lieben. Immer. Sie sind sein ein und alles.“ Als ich auf meiner zweiten Runde wieder an ihm vorüberkam, saß er still auf einer Bank und kraulte dem Tier nachdenklich das Fell.

 

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