Der Algorithmus, bei dem man mit muss

#Macht+Protest #Netzwerken

Während das „Projekt Internet“ bei den zerbröselnden Volksparteien irgendwie immer noch in den Kinderschuhen steckt, haben sich die AfD und andere Rechtspopulisten Plattformen wie Facebook längst zum Untertan gemacht. Von dort aus tanzen sie uns auf der Nase herum.

[Text: Eduard Docenk & Vanessa Pegel | Illustration: Niclas Kersting]

 

Seit Mitte Januar überprüft der Verfassungsschutz die AfD. Unter anderem wird dem Thüringer Landeschef Bernd Höcke nach SPIEGEL-Informationen vorgeworfen, mehrfach gegen den Grundsatz der Menschenwürde verstoßen zu haben. Die Basis dafür waren vor allem gewisse „Verlautbarungen“ der Partei im Internet – hauptsächlich auf Facebook. Dementsprechend werden die Facebook-Profile aller AfD-Landesverbände sowie etlicher nachgeordneter Parteigliederungen vom Verfassungsschutz untersucht, wie SPIEGEL-Online berichtete. Die Befunde dürften aussagekräftig sein, denn vor allem dank Facebook, dem hilfreichen Sprachrohr der AfD, ist diese Partei über sich hinaus gewachsen. 2013 postete die AfD zuerst Kritik zum Euro und dann kämpfte sie sich mit der Instrumentalisierung der Flüchtlingskrise 2017 in den Bundestag. Jede andere Partei könnte sich nur schwer davon erholen, wenn der Verfassungsschutz gegen sie ermitteln würde. Den Umfragewerten der AfD hingegen scheint dies keinen Abbruch zu tun, denn sie hat ihr Fundament darauf gebaut, eine alternative Skandalpartei zu sein, die auf Emotionen statt auf Fakten setzt. Dafür wird sie von Facebook reichbelohnt. So wurde diese Plattform zum Rückgrat der AfD.

 

Wahlsieger auf Facebook

Mittlerweile hat die AfD mit über 448.500 Likes von allen Parteien im deutschen Bundestag die meisten Facebook-Fans – zum Vergleich: CDU, SPD und DIE GRÜNEN haben jeweils um die 180.000 Likes. Das kommt nicht von ungefähr. Die „Alternative für Deutschland“ und ihre Internet-Spezialisten wissen Facebook äußerst geschickt für sich zu nutzen, während sich die anderen Parteien verschlafen die Augen reiben und Mark Zuckerberg mit den Schultern zuckt. Ob der Facebook-Gründer es wahrhaben will oder nicht, auch für Trump und andere Rechtspopulisten ist sein „soziales“ Netzwerk die perfekte Propaganda-Plattform. Denn Facebook macht es ihnen nicht nur einfach, ihre emotionsgesteuerte, meinungsmanipulierende Propaganda ungefiltert zu verbreiten, sondern befördert sie geradezu auf die Überholspur. Der Grund dafür, dass sich ihre Posts wie ein Lauffeuer verbreiten, ist der Algorithmus von Facebook, der nach folgendem Prinzip funktioniert: Je mehr Reaktionen ein Post hervorruft, desto häufiger landet er in der Timeline der User ganz oben. Faktencheck? Fehlanzeige! Zuckerberg mag bestreiten, dass Facebook ein Medienkonzern ist, dennoch beziehen viele Menschen ihre „Nachrichten“ aus diesem mittlerweile hochpolitischen Instrument und selbige sind alles andere als ausgewogen.

 

Hassreden und Provokationen versprechen viele Reaktionen

Liest man die Posts der AfD, bekommt man den Eindruck, dass alle Verbrechen von Flüchtlingen oder Muslimen begangen werden, während die Opfer stets deutsche Kinder oder Frauen sind. Dazu gesellen sich hier und da ein paar Verschwörungstheorien rund um Angela Merkel, wie zum Beispiel, dass die Kanzlerin das „Diesel-Debakel“ bereits vor 20 Jahren eingefädelt hätte [29.01.2019]. Auch um die SPD und DIE GRÜNEN werden Mythen gesponnen, aber hauptsächlich wird gegen nicht-weiße „Unchristen“ gehetzt. Zu diesem Zweck „dokumentiert“ die AfD jede Gewalttat von Flüchtlingen oder Muslimen auf ihrer Facebook-Seite als sogenannte Clickbaits, die aus einem auffälligen Bild und einer möglichst krassen Überschrift bestehen. So wird beispielsweise ein Foto von einem weinenden Kind mit einem Text wie diesem ausgestattet: „ISLAMIST ERSTICHT 4-FACHE MUTTER VOR IHREN KINDERN!“ [10.01.2019], oder das Foto einer Frau, die am Hintern begrabscht wird, mit einem mittelalterlichen Klischee vom dunkelhäutigen Vergewaltiger versehen: „DEUTSCHE FRAU ERKLÄRTES FREIWILD FÜR MIGRANTEN“, um Abscheu und Hass heraufzubeschwören. Dass dabei ganze Kulturgruppen und damit Millionen von Menschen in rassistische und sexistische Schubladen gesteckt werden, bis sich die Balken biegen, scheint kaum jemanden zu stören.

 

Die ollen Trolle

Weil die AfD und andere rechtspopulistischen Bewegungen im Gegensatz zu den verschlafenen Volksparteien verstanden haben, wie Facebook funktioniert, machen sie sich diese Plattform zum Untertan und tanzen den Usern auf der Nase herum. Um einen großen Shitstorm zu verbreiten, reicht schon eine kleine Gruppe von Leuten, die man – viel zu niedlich – als Internet-Trolle bezeichnet. Dabei verkörpert eine Person bis zu 100 Fake-Accounts, mit denen die Meinung der Menschen massiv beeinflusst werden kann, wie ein anonymer Insider im ARD-Magazin Kontraste berichtete. Mit Hilfe der Trolle, deren Aufgabe es ist, die Facebook-Community mit rechtspopulistischen Posts zu überschwemmen und aufzuwiegeln, steckt die AfD versuchsweise ihren Zeh ins Wasser, um herausfinden, ob ihre Meinung mehrheitlich abgelehnt wird oder doch salonfähig gemacht werden kann. Und umso mehr ihre Aktionen auf Facebook akzeptiert werden, desto weiter geht die AfD mit ihren Provokationen auch im richtigen Leben und bringt es beispielsweise fertig, den Holocaust zu verleugnen, den zweiten Weltkrieg als „Vogelschiss“ zu bezeichnen oder die Wehrmacht-Soldaten als Helden zu feiern.

 

Die Taktik der AfD

Durch emotionalisierende Propaganda „besorgte Wutbürger“ und andere frustrierte, politikverdrossene Menschen zu manipulieren und einzukassieren, ist die Taktik der AfD. Dabei erfreuen sich eindeutige Slogans und emotional aufrührende Bilder wie die oben beschriebenen natürlich viel größerer Beliebtheit als konstruktive, gut recherchierte journalistische Artikel – allein schon, weil sie einfacher und schneller zu konsumieren sind, aber auch, weil sie auf unsere Betroffenheit abzielen. User liken, kommentieren und teilen Posts besonders gerne, wenn sie mitfühlen und ihre ureigenen Ängste und Sorgen oder ihr Mitleid und Hass angesprochen werden. Deshalb potenzieren sich ihre Propaganda-Posts um so mehr. Anstelle von Likes bekommt die AfD öfter auch zustimmende wütende oder traurige Emojis zur Belohnung unter ihre Posts, denn selbige spiegeln die Gefühlswelt der AfD-Anhänger*innen viel besser wider als der Daumen nach oben. Dabei scheint der Wahrheitsgehalt keine Rolle zu spielen. „Es war schon immer ein Stilmittel von Rechtspopulisten, dass sie Tabus gebrochen haben, dass sie gezielt provoziert haben. Rechtspopulisten treiben User auf die Palme, sie treiben das eigene Lager an und sie profitieren sehr stark davon, dass sie Menschen zum Kommentieren verleiten“, so die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig, die in ihrem Buch Hass im Netz schildert, wie rechtspopulistische Parteien wie die AfD das Internet konsequent und effizient nutzen. Obwohl es weitläufig bekannt ist, dass die AfD Menschen manipuliert und die politische Agenda für ihre Zwecke instrumentalisiert, wird sie dennoch auch von gebildeten Bürger*innen gewählt. Dabei spielt Facebook eine nicht unerhebliche Rolle.

 

Du kriegst, was Du likst

Kein Geheimnis ist: Weil Facebook Dir geben will, was Du möchtest, um mit Dir möglichst viel Geld zu verdienen, sammelt es Deine Daten und versorgt Dich mit personalisierter Werbung. So ähnlich funktioniert das dann auch mit den Informationen, die Dir von Facebook präsentiert werden: Du bekommst nur das gezeigt, wofür Du Dich vermeintlich am meisten interessierst, während der Rest vom Fest in den tiefsten Tiefen Deiner Timeline versinkt. Soll heißen: Hat man erst mal damit angefangen, die AfD zu liken oder deren Posts zu kommentieren, werden einem dank Facebooks wunderlichen Algorithmus plötzlich auch Seiten mit ähnlichen Inhalten angezeigt, die man zuvor gar nicht zu sehen bekam. Mit jedem Like oder wütenden Emoji an „rechter“ Stelle, rutscht man tiefer in die von Facebook gemachte Informationsblase hinein, bis man im schlimmsten Fall den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht und sich immer mehr radikalisiert. Doch tatsächlich sieht man ein Bild von einer Welt, die es in dieser Form gar nicht gibt. Das besonders Schlimme daran ist diese perverse Faustregel: Je krasser der Inhalt, desto öfter wird der Post geteilt und desto höher ist seine Verbreitung. Denn der Algorithmus von Facebook belohnt Fake-News statt Fakten, weil diese „aufregenden“ Inhalte die größte Aufmerksamkeit erregen. So schießen die Posts der AfD und anderer Populisten an die Spitze des Newsfeed, wo die meisten Leute sie sehen, während gut recherchierte Inhalte viel weniger geteilt werden und aus der Timeline verschwinden. Groteske Fehlinformationen, wie beispielsweise, dass der Papst Trump-Supporter sei, schwimmen oben, während die weniger aufregenden Richtigstellungen und der konstruktive Journalismus vollkommen untergehen.

 

Ein Algorithmus kennt keinen Schmerz

Möglicherweise befindest auch Dich bereits in einer von Facebook kreierten Informationsblase, ohne dass Du es bemerkt hast. Lass Dich nicht für dumm verkaufen und informiere Dich jenseits des Algorithmus. Denn Facebook hat zwar die Macht eines Medienkonzerns, aber weist jegliche Verantwortung für die Inhalte weit von sich, obwohl sein Algorithmus darüber entscheidet, was es in des Users individueller „Facebook-Zeitung“, dem Newsfeed, zu lesen gibt. Während sich die AfD und andere Rechtspopulisten den Algorithmus längst zunutze gemacht haben, fragen sich die zerbröselnden Volksparteien immer noch, wie sie mit dem „Projekt Internet“ fertig werden sollen und endlich wieder einen heißen Draht zur Bevölkerung bekommen können. Um dieses Trauerspiel passend zu quittieren, bräuchte man einen Emoji, der sich benommen die Augen reibt und eine riesengroße Schlafmütze trägt.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 16. Nummer des VONWEGEN-Magazins Mitte März 2019.

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