Divestment

#Macht+Protest #Lokales #Klima

Wenn man die Stadt Göttingen davon überzeugt hat, ihre Kapitalanlagen in Höhe von 79 Millionen Euro aus teilweise klimaschädlichen Investmentfonds abzuziehen und das Geld stattdessen bewusst nachhaltig anzulegen, dann ist das ein guter Grund zum Feiern. Wie die Gruppe Fossil Free das geschafft hat und warum als nächstes die Uni Göttingen ihr Kapital deinvestieren soll – darüber berichtet unsere Autorin Marlin Helene, die bei Fossil Free auch als Aktivistin live dabei ist.

[Text & Foto: Marlin Helene]

 

Ich kann wirklich leidenschaftlich von der Wichtigkeit des Umweltschutzes reden und versuchen, Euch damit auf die Seite der Guten zu holen. Ich könnte darüber schreiben, dass Ihr am besten nur noch unverpackte Bio-Lebensmittel aus der Region kaufen solltet und auf keinen Fall Billigklamotten von ausbeuterischen Firmen. Oder, dass jeder seinen CO2-Fußabdruck senken muss, damit die Welt nicht untergeht. Aber das wisst Ihr bestimmt schon und möglicherweise hängt Euch dieses Gutmenschentum zum Hals raus. Damit ich nicht noch mehr genervte bis verachtende Reaktionen auf mich ziehe, versuche ich es stattdessen lieber mit einem motivierenden Erfahrungsbericht über Umweltschutz. Denn mir wurde oft gesagt, dass meine Lebensweise und mein Engagement nichts bringen, da beides im Vergleich zu der Macht der Großkonzerne wie ein Wassertropfen auf dem heißen Stein verdampft, doch das stimmt  nicht – auch wenn es so scheint.

Das hat doch alles keinen Sinn, oder etwa doch?

Wenn man sich das Jahr 2017 in Bezug auf die Klimapolitik anschaut, möchte man am liebsten den Kopf in den Sand stecken. Trump, der größte Klimawandel-Leugner des Jahrhunderts, wurde US-Präsident und stärkt die fossile Brennstoffindustrie. In Deutschland boomt trotz Abgas-Skandal der Automarkt, und es wird eher von weiteren Kohleabbaugebieten als von Kohleausstieg geredet. Weltweit nehmen Klimakatastrophen immer schlimmere Ausmaße an. Umweltschützer*innen predigen, dass dringend und effektiv gehandelt werden muss, aber in der Weltpolitik ist davon nicht viel zu sehen. Bereits während meiner Pubertät habe ich deshalb diverse Phasen des Weltschmerzes hinter mich gebracht und den für mich daraus resultierenden Hass gegen den Kapitalismus durchlebt. Aber weder der Verzicht noch Umweltschutzarbeit konnten das ausgleichen. Auch Wut und Verbitterung sind kein guter Antrieb, um eine bessere Welt zu erschaffen. Als ich im Herbst 2016 nach Göttingen gezogen bin, lernte ich dann über mein Freiwilliges Ökologisches Jahr [FÖJ] die Divest­ment-Kampagne der Göttinger Gruppe von Fossil Free kennen und merkte sehr schnell, dass diese Strategie wirklich etwas verändern kann und wirksam gegen die fossile Brennstoffindustrie ist. Denn Geld ist der eigentliche Treibstoff dieser Konzerne. Was Divestment ist und was die Kampagne so effektiv macht, welche Erfolge unsere kleine Gruppe schon erreicht hat, und wie Du selbst Veränderung ankurbeln kannst, erfährst Du hier.

Mit Divestment was bewegen

Fossil Free ist ein weltweites Netzwerk, das sich zum Ziel gemacht hat, Institutionen dazu anzuregen, unethische Aktien, Anleihen oder Investmentfonds aufzugeben und ihr Geld nachhaltig anzulegen. Divestment ist einfach gesagt das Gegenteil von Investment. Dabei liegt der Fokus auf der fossilen Brennstoffindustrie. So sollen auf lange Sicht Kohle-, Öl- und Gasunternehmen, wie zum Beispiel RWE, Exxon und Shell, finanziell geschwächt und die moralische Untragbarkeit der Branche in das gesellschaftliche Bewusstsein gerückt werden. Divestment funktioniert im großen Stil, indem ganze Städte ihr Geld nachhaltig anlegen, aber auch im Kleinen. So ziemlich jede*r hat ein Bankkonto und das Geld, das darauf liegt, bildet einen Teil des Kapitals dieser Bank. Die Wenigsten fragen sich, was diese Bank eigentlich mit dem Geld macht. „Konventionelle“ Banken, wie die Deutsche Bank, die Commerzbank, Raiffeisenbanken etc.verdienen meistens sehr viel Geld durch ihre Anteile an der fossilen Brennstoffindustrie, an Atomexporten, an der Agrarindustrie oder sonstigen Geschäften, die weder fair noch ethisch vertretbar sind. Auch wenn Du nicht viel Geld auf der Bank hast, so unterstützt wahrscheinlich auch Du diese Geschäfte. Mit einem Wechsel zu einer nachhaltigen Bank – das VONWEGEN-Magazin hat sich beispielsweise für die GLS Gemeinschaftsbank entschieden – deinvestierst Du Dein privates Geld und setzt so ein Zeichen, dass Du mit der Bankenwirtschaft nicht einverstanden bist. Denn ein Schlüsselsatz der Kampagne ist: Wenn es falsch ist, das Klima zu zerstören, dann ist es auch falsch, von dieserZerstörung zu profitieren.

Überzeugen

Obwohl die Göttinger Fossil Free-Gruppe erst seit Frühling 2016 besteht, haben wir schon einiges bewegt. Den ersten großen Erfolg konnten wir im Mai letzten Jahres verbuchen, als die Stadt Göttingen verkündete, ihre Pensionsrücklagen in Höhe von 79 Millionen Euro aus den bisherigen – teils klimaschädlichen – Anlagefonds abzuziehen und nachhaltig anzulegen. Dabei war es sehr hilfreich, dass die Piraten Partei und Die Grüne schon einmal einen Antrag auf Divestment eingereicht hatten, der jedoch nicht zur Abstimmung freigegeben wurde. So konnten wir auf einer guten Grundlage aufbauen. Die Grüne reichte dann auch den zweiten Antrag ein. Die Abstimmung wurde jedoch immer wieder verschoben, weil noch Unklarheiten und Informationsmangel herrschten. Hier kamen wir ins Spiel, denn über dieses Thema aufzuklären, ist unsere Hauptaufgabe. So saßen Gruppenmitglieder von Fossil Free stundenlang in den Finanzausschusssitzungen der Stadt Göttingen, um beim Themenpunkt Divestment mitzudiskutieren und Präsenz zu zeigen. Ebenfalls wurden Informations- und Überzeugungsgespräche mit verschiedenen Fraktionen geführt. Als alle Stimmberechtigten ausreichend informiert waren, konnte dann über die Anlagerichtlinien der Stadt abgestimmt werden. Und der Divestment-Beschluss bekam die Mehrheit! Diese freudige Nachricht wurde während der weltweiten Global Divestment Week so richtig gefeiert. Beispielsweise haben wir in diesen Tagen gemeinsam mit Greenpeace Göttingen auf dem Bahnhofsvorplatz eine riesige „Kohlenstoffblase“ aufgebaut, um über unsere Neuigkeiten zu berichten und mit selbstdesignten Geldscheinen die Passant*innen über Divestment aufzuklären.Extrem motiviert stürzten wir uns dann im Sommer direkt auf die Vorbereitungen unseres nächsten Großprojekts: dem Uni-Divestment.

Die Georg-August-Universität hat nämlich noch ein bisschen mehr Geld zum divesten als die Stadt Göttingen und könnte zudem auch eine starke Vorreiterrolle als die erste deinvestierende Uni Deutschlands einnehmen. Sehr gefreut hat uns deshalb, dass das Studierendenparlament eine Resolution für Divestment verabschiedet hat.

Daumen drücken:  #DivestUniGoettingen

Bisher haben wir unsere Forderungen für die Anlagerichtlinien der Universität ausformuliert und viele wichtige Gespräche geführt. Nun warten wir nur darauf, dass der Antrag in der kommenden Senatssitzung eingereicht, positiv beschlossen und dieser Divestment-Beschluss dann vom Präsidium umsetzt wird. Wenn das passiert, wird so richtig gefeiert. Unter oben genanntem Hashtag oder auf www.facebook.com/fossilfreegoe oder twitter.com/FF_Goe  könnt Ihr den weiteren Verlauf unserer Kampagne verfolgen, und wenn Ihr die Augen auf dem Campus offen haltet, werdet Ihr sicherlich auch weitere Aktionen von uns miterleben.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 10. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im März 2018.

 

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