Wahnsinnig wohnen

#Macht+Protest #Interview #Lokales

Wenn es nach unserem Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler ginge, dann wären die Mieten in Göttingen nicht explodiert und kein*e Studienanfänger*in müsste in einem der vielen Hotels übernachten. Aber nach ihm geht es leider oftmals nicht.

 [Interview: Vanessa Pegel | Foto: Nick Mitmanski]

 

 

Lieber Herr Oberbürgermeister, Studienanfänger*innen müssen in Göttingen regelmäßig zelten oder im Hotel unterkommen, weil sie keine Wohnung finden. Ist es nicht für eine „Stadt, die Wissen schafft“ ein bisschen peinlich, wenn sie ihre Nachwuchswissenschaftler nicht unterbringen kann?

Rolf-Georg Köhler: Seit circa fünf Jahren erleben wir zu Beginn des Wintersemesters sechs bis acht kritische Wochen, bis sich der Wohnungsmarkt dann wieder beruhigt. Dafür gibt es mehrere Gründe: Durch die Umstellung auf die Bachelor- und Masterstudiengänge beginnen 70 bis 80 Prozent der Studenten*innen im Herbst, die sich zuvor viel besser auf das Sommer- und Wintersemester verteilt haben. Hinzu kommen die teilweise sehr späten Zu- oder Absagen der Universitäten und die Tatsache, dass die Uni-Absolvent*innen und ihr Weggang aus Göttingen natürlich auch nicht mit dem Beginn des Wintersemesters synchronisiert sind. Wie soll ein Markt oder ein Studentenwerk bei so vielen Variablen zum Semesterbeginn auf Anhieb tausende Wohnungen frei haben?

Meinen Sie Wohnungen, die der Markt oder das Studentenwerk dann später eigentlich gar nicht mehr braucht, weil sich das Drama ja erfahrungsgemäß irgendwie selbst reguliert?

Ich rede hier nicht gegen die Frage an, dass wir mehr Wohnraum für Studenten*innen benötigen, sondern sage nur, das sich dieses Problem durch bestimmte Regelungen und eine Bündelung von undurchdachten Entscheidungen potenziert hat. Das führt letztlich in den Universitätsstädten – und nicht nur in Göttingen – dazu, dass diese Problematik im Herbst alle Jahre wieder auftaucht.

Und was hat die Stadt gemacht?

Die Stadt baut nicht selbst.

Aber die Stadt ist doch dafür zuständig, Bauland an Menschen zu verkaufen, die damit möglichst irgendwas Sinnvolles machen wollen, oder?

Das ist eine falsche Beschreibung von Zuständigkeiten. Wir schaffen durch Planung Baurecht, also das Recht zu bauen. Wir verhandeln mit Gesellschaften, die bauen wollen. Derzeitig sind wir in den Verfahren zur Ausweisung von 125 Hektar Bauland für den Wohnungsbau, beispielsweise am Greitweg oder am Holtenser Berg.

Dann liegt es doch aber gewissermaßen in Ihrer Macht zu entscheiden, was dort gebaut wird.

Nein, erstens entscheidet der Rat über die Bebauungspläne. Und zweitens: Uns gehört ja nicht das gesamte Bauland. Baurecht und Eigentum haben nichts miteinander zu tun. Wir schaffen Baurecht, indem der Rat über einen Bebauungsplan beschließt. Dabei kann es sich um Wohnungsbau, eine Grünfläche, eine Radrennbahn, einen Industriebetrieb oder ein Studentenwohnheim handeln.

Und warum entscheidet sich der Rat dann eher für ein weiteres Hotel als für bezahlbaren Wohnraum, wie beispielsweise im Falle des EAM-Gebäudes?

Das EAM-Gebäude gehört nicht der Stadt. Der Besitzer trifft seine eigenen Entscheidungen im Rahmen eines schon lange rechtsgültigen Bebauungsplans, der bei der Planung des EDEKA-Neubaus beschlossen wurde. Das ist also geltendes Recht. Aber zu Ihrer Frage: Ich wage, stark zu bezweifeln, dass man an dieser Straße im ersten oder zweiten Stock ruhig schlafen und nachhaltig wohnen kann, und ich weiß, wovon ich rede. Ich lebe im Westen der Stadt. Der Friedhof gegenüber ist ruhig, aber dazwischen liegt eine vierspurige, viel befahrene Straße Straße.

Okay, aber die 125 Hektar, die Sie zurzeit als Bauland ausweisen, geben doch bestimmt noch mehr her. 

Aber die 125 Hektar gehören doch nicht alle der Stadt.

Aber so einige Hektar gehören ihr eben doch! Legen Sie denn da Ihr Augenmerk darauf, dass gewisse Probleme, die hier herrschen, dann vielleicht mit den Flächen, die diese Stadt in ihrem Besitz hat, gelöst werden?

Das letzte Beispiel einer kommunal verkauften Fläche ist das Grundstück an der Jheringstraße, wo die Städtische Wohnungsbau, die zum sehr überwiegenden Teil im Eigentum der Stadt ist, sozialen Wohnungsbau betrieben hat. Hier haben wir als Stadt gesteuert.

Das finde ich super. Nur nützt es leider den Student*innen nichts, denn um dort einzuziehen, braucht man einen Wohnberechtigungsschein.

Das ist eine Frage des Gesetzgebers, der studentisches Wohnen leider nicht in den sozialen Wohnungsbau einsortiert hat. Die Stadt unterstützt jedes Projekt zur Erweiterung des Angebots für studentisches Wohnen. Fragen Sie das Studentenwerk. Wir sind da Seite an Seite. An der Stadt Göttingen ist kein Wohnungsbauprojekt für Studierende gescheitert. Das wird auch so bleiben.

In der Göttinger Innenstadt stehen seit vielen Jahren mehrere Häuser leer, wie zum Beispiel in der Gartenstraße oder Am Platz der Synagoge, um die sich mittlerweile teilweise die Hausbesetzerszene kümmert. Wohnungsnot bei gleichzeitigem Leerstand – wie passt das eigentlich zusammen?

Wir haben keinen Zugriff auf privates Eigentum. Früher gab es eine Zweckentfremdungsverordnung, damit konnte man Vermieter, die dem Wohnungsmarkt Wohnraum entzogen haben, mit einem Bußgeld abstrafen. Aber dieses Instrument hat sich als relativ stumpf erwiesen, weil viele Hauseigentümer lieber gezahlt haben anstatt zu vermieten. Man kann den Leerstand also weder verbieten noch das Gebäude beschlagnahmen oder zwangsvermieten.

Andere Areale der Innenstadt wurden an Investoren verkauft, wie zum Beispiel das Viertel am Robert-Gernhardt-Platz. Dort sieht es zwar ganz edel, aber auch ziemlich ausgestorben aus. Ist das im Sinne einer Stadt?

Wenn dort Läden vorgesehen sind, aber keiner welche eröffnet, dann ist das eine Frage an den Investor.

Könnte es an den viel zu hohen Mieten liegen?

Ja. Aber wir hatten das Thema ja schon bei der Mietpreisbremse. Hier haben wir noch weniger Steuerungsmöglichkeiten.

Und auch hier meine Nachfrage: Wer hat das Areal an den Investor verkauft?

Das war die Stadt Göttingen im Rahmen eines vom Rat beschlossenen und entschiedenen Ausschreibungsverfahrens.

Was würden Sie sagen: War das eine gute Entscheidung?

Das lässt sich im Nachgang vielleicht leichter beurteilen. Allerdings muss man dazu sagen, dass dort vorher 15 Jahre lang gar nichts passiert ist, weil man niemanden gefunden hat, der dort bauen wollte.

Vielleicht lag das auch am Grundstückspreis, den die Stadt verlangt hat, aber damals waren Sie ja noch nicht im Amt. Erst vor Kurzem haben die beiden Geografen Michael Mießner und Tobias Klinge festgestellt, dass die Segregationsprozesse – also die räumliche Trennung bestimmter Bevölkerungsgruppen – innerhalb der letzten fünf Jahre in Göttingen deutlich zugenommen hat. Woran liegt das Ihrer Meinung nach, und könnte es vielleicht damit zu tun haben, dass die Immobilienpreise in den begehrten Wohnlagen unserer 130.000-Einwohner-Stadt in diesem Zeitraum inflationsbereinigt um weit mehr als zehn Prozent gestiegen sind?

Mießner und Klinge haben insofern Recht, als dass über den Immobilienpreis die Gesellschaft entmischt wird. Unser Ziel ist es, diese Entmischung nicht zuzulassen und dieser Entwicklung beispielsweise durch sozialen Wohnungsbau entgegen zu wirken. Nun ist die Frage, ob die Instrumente, die uns dafür zur Verfügung stehen, ausreichen.

 

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