Freundschaft Plus = Glück im Minus
#Sex #Seelenleben #Liebe
Freundschaft Plus ist eine Freundschaft zwischen zwei Menschen mit einem gewissen Bonus. Das Verhältnis ist nicht platonisch, beide genießen zusätzlich Sex miteinander – ohne verliebt zu sein. Zumindest dürfen sie es nicht, das ist die Bedingung. Klingt vielleicht erst mal locker und unkompliziert. Tatsächlich ist es aber das gehemmteste und unlockerste Beziehungsmodell, das sich unsere Generation jemals ausgemalt hat, findet unsere Autorin Anna und verfasste ein Plädoyer für maximale Liebe.
[Text: Anna Melamed | Illustrationen: Jana Moskito]
Freundschaft + Sex - Gefühle = Freundschaft plus Minus. Aus dieser Gleichung wurde ich nicht schlauer, wie auch aus Freundschaft-plus-Sex nicht. Für mich war es wie McDonalds-Essen: kurz mal geil, aber satt hat’s nicht gemacht. Wörter wie „Liebe” oder „Beziehung” durfte ich auf keinen Fall in den Mund nehmen und auch keine Fragen stellen – weder an den Partner noch an mich selbst. Also obenrum emotional abstumpfen, während man untenrum weiterhin spitz bleiben soll? Dieses Modell schien mir etwas absurd. Freunde mit gewissen Vorzügen? Ich war Single mit hinauszögerten Nachteilen, bis ich eine Beziehung mit dieser Person einging. Dieses Wagnis bereute ich danach keinen einzigen Tag der folgenden Jahre, die sich durch pure Ausgeglichenheit auszeichneten. Dabei verstehe ich die Grundidee an Freundschaft Plus durchaus: Es scheint die bequemste Art zu sein, an Sex zu gelangen und trotzdem keinerlei Verpflichtungen zu verspüren. Du definierst Freiheit als die Abstinenz von Verbindlichkeit, möchtest mehr Drama in Deinem Leben, und hast Angst davor, dass außer Deiner betrunkenen, verzweifelten besten Freundin niemand mit Dir schlafen will? Dann ist F+ vielleicht genau das Richtige für Dich und Du kannst aufhören zu lesen. Ich möchte gar nicht erst versuchen, Dich von der Liebe zu überzeugen. Deine Beziehungsunfähigkeit kannst Du Dir dann auch gerne noch von Deinen Eltern zertifizieren lassen.
Highway zur Hölle der gebrochenen Herzen
Für das Beziehungsmodell Freundschaft Plus gibt es im Netz zahlreiche Ratgeber – meistens von Männern geschrieben. Auch Paul, selbsternannter Beziehungscoach einer Plattform, hat einige Tipps für das perfekte Verhältnis: „Unternehmt nichts miteinander, was feste Paare normalerweise tun. Denn – Achtung: Gefahr von Pärchenritualen und Gefühlen!“ Also Händchenhalten, die Eltern des anderen verfluchen, sich gegenseitig die Pickel ausdrücken – das alles geht nicht? Was für eine abscheuliche Regel! Dabei sind es doch die schönsten Dinge im Leben! Weiter rät Paul: „Nach dem Sex packst Du Deine sieben Sachen und gehst. Du kannst natürlich noch ein paar Minuten kuscheln, aber nicht zu lang. Denn – Achtung: Gefühle!“ Woher hat Paul nur diese Phobie vor Gefühlen? Was, wenn sie vollkommen natürlich sind, einfach vorhanden? Da kann man sich noch so oft zusichern, dass einem sein Gegenüber vollkommen egal ist – die Hormone lassen sich davon nicht austricksen. Und außerdem: Ist gefühlsloser Sex nicht vollkommen roh, leidenschaftslos und nur mechanisch? Es ist nicht nur statistisch erwiesen, dass wir in Beziehungen am häufigsten Sex haben – auch kann ich bestätigen, dass die Qualität eine unvergleichlich bessere ist. Wenn man tief in sich geht, haben wohl die meisten von uns eigentlich weniger das langfristige Bedürfnis nach anderen Genitalien, als eher nach sorgenloser Zuneigung und emotionaler Stabilität. Das Haltbarkeitsdatum von Freundschaft + ist also begrenzt. Und ich kenne niemanden, wirklich niemanden, der aus einer solchen Geschichte unbeschadet davongekommen ist. Booty Calls an gute Freunde führen vielleicht ohne Umwege ins Bett, sind aber nur Zwischenstopps auf dem Highway zur Hölle der gebrochenen Herzen.
Beziehungsmodell für Feiglinge
F+ ist nur was für Feiglinge, die Unausgeglichenheit und Unsicherheit in Kauf nehmen, um vermeintliche Freiheit weiterhin zu behalten. Wer meint, mit F+ mehr Freiraum zu besitzen, der täuscht sich. Dieses Beziehungsmodell braucht weit mehr Regeln, an die sich beide halten müssen, damit es funktioniert. Doch wie man die freundschaftliche von der sexuellen Ebene trennen kann – dafür gibt es keine Bedienungsanleitung, die man sich aus dem Internet herunterladen kann und keine 100-Tage-Zurück-Garantie. F+ ist wie ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel, bei dem am Schluss immer einer heult, weil er die Regeln nicht kapiert hat. Jedes mögliche Szenario muss vorher durchgesprochen werden, jeder Notausgang mit Wegweisern klar gekennzeichnet sein. Die Unverträglichkeiten von A wie Angst bis V wie Vaterkomplex müssen akribisch aufgelistet sein. Das Zauberwort lautet also Selbstkenntnis. Und der Selbstkenntnis eines Menschen – der traue ich am allerwenigsten. Beziehungen und Sex sollten kein Konstrukt aus Regeln sein, die einengen. So macht es viel weniger Spaß.
Als BWLerin kann ich nicht anders, als die ganze Angelegenheit auch wirtschaftlich zu betrachten: In der Zeit, in der man mit einer Flamme ohne Zukunftsaussichten rumschnackselt, verpasst man vielleicht die Möglichkeit, eine rentablere Option kennenzulernen, in die man sich dann tatsächlich glücklich verlieben kann. Das nennt man Opportunitätskosten. Mit einer*m guten Freund*in zu schlafen und keine unbefangene Freundschaft mehr haben zu können – das ist Dummheit. Gefühle zuzulassen und eine Beziehung zu versuchen, ist Mut. Denn es ist weitaus mutiger, sich zu einer Beziehung und damit dem Gesamtpaket des Menschen zu bekennen, und nicht nur ihre*seine Geschlechtsteile anzunehmen. Und es lohnt sich mit Glück-Zurück-Garantie.
PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 12. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im Juli 2018.
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