Über die Schwierigkeit,
Nein zu sagen

#Sex #Macht+Protest #Feminismus #Seelenleben #LiebenLernen

Sex ist großartig. Sex macht Spaß. Sex befriedigt. Sex gehört zu unserem Leben wie die Luft zum Atmen. Sex macht glücklich. Das alles stimmt, dennoch fühlt er sich manchmal ganz anders an, und was macht man dann? Wenn man Ja zum Sex gesagt hat, aber währenddessen bemerkt, dass man lieber Nein gesagt hätte?

[Text: Lena von Felde | Illustration: Evilsquirrel]

 

Als ich nach meinem Abitur aus meiner Heimat nach Göttingen gezogen bin, ging ich fest davon aus, dass zu diesem Schritt des Erwachsenwerdens auch viele sexuelle Erfahrungen gehören. Eine neue Stadt, viel feiern, betrunken sein und flirten – und eben auch Sex. Dabei war ich wie viele andere junge Frauen mit 18 sexuell noch relativ unerfahren und nicht sonderlich selbstsicher. Laut einer Studie eines Datingportals liegt das Durchschnittsalter von Mädchen beim ersten Mal bei ca. 17 Jahren. Viele junge Frauen lassen sich in dieser Phase ihres Lebens leicht beeinflussen, weil es ihnen wichtig ist, gut anzukommen und ‚cool‘ zu sein – aber was bedeutet dieses ‚cool‘ eigentlich?

#993300; ">Stiller Zwang

Irgendwie verspürt man als junge Frau in der heutigen Zeit einen gewissen Druck, über den kaum jemand zu sprechen wagt. Einen Zwang, sexuell offen zu sein, bereits unglaublich viele Erfahrungen gesammelt zu haben [mit 17?!?] und im Bett quasi alles mitzumachen. Blasen wie eine Weltmeisterin? Analsex? Gangbang und Bukkake? Selbstverständlich! Die Pornos, mit denen man sich heutzutage als Jugendlicher „aufklärt“, singen ein Lied davon. Aber sie lügen! Sex ist nicht selbstverständlich. Nichts ist selbstverständlich.

Doch was passiert, wenn ich mich als junge Frau, die Sex erst kennenlernt, nicht traue, darüber zu sprechen? Wenn ich meine Grenzen noch gar nicht wirklich kenne oder glaube, sie überschreiten zu müssen? Wenn ich diesem gesellschaftlichen Druck nachgebe, weil ich nicht weiß, wie ich mich ihm widersetzen soll, ohne als frigide, dumme Nuss dazustehen?

#993300; ">Die Grauzone

Wie viele andere junge Frauen traf auch ich einen jungen Mann – wissentlich, dass wir Sex haben werden. Denn Erfahrungen zu sammeln und mich auszuleben, stand schließlich ganz oben auf meiner Prioritätenliste. Wie viele andere junge Frauen willigte auch ich zunächst in den Akt ein, machte dieses Spiel mit, in dem es darum geht, sich gegenseitig zu beweisen, wie offen und reif man ist. Das Spiel, in dem Du Dich zuerst selbstbewusst und sexy fühlst und dann plötzlich merkst, dass Dir dieser Sex eigentlich nicht gefällt. Dass Du das gerade gar nicht möchtest. Dass sich in Dir alles dagegen sträubt, Dich dieser Person hinzugeben. Wie er Dich berührt, was er mit Dir macht, wie er Dich anguckt, was er zu Dir sagt, wie er sich Deinen Körper zurechtlegt. Du willst das nicht. Dein Körper sagt Nein. Doch dieses Nein kommt nicht über Deine Lippen. Plötzlich funktionierst Du nur noch. Du machst Dinge, die Du eigentlich nicht willst. Lässt Dich überreden, ihm Befriedigung zu verschaffen, die Du ihm nicht geben willst. Die Du selbst in keiner Weise spürst. Der Sex macht Dir keinen Spaß, Du spürst keine Lust, Du hast keinen Orgasmus, täuschst ihn wahrscheinlich vor, um es schnell zu beenden. Danach fühlst Du Dich alles andere als befriedigt, zeigst dies aber nicht. Die Fassade bröckelt, doch Dein Gegenüber merkt dies nicht. Nachdem es vorbei ist, fühlst Du Dich benutzt, bist verwirrt und fragst Dich, was da gerade passiert ist. So fühlt es sich hinter einer Grenze an, die Du nicht bereit warst zu überschreiten, aber dennoch überschritten hast.

#993300; ">Einfach nur Sex?

Warum konnten ich und viele andere Frauen nicht Nein sagen, wenn wir doch tief in uns gemerkt haben, dass wir nicht mitmachen wollten? Warum haben wir unsere Einwilligung nicht wieder zurückgezogen? Kann man das überhaupt und wenn ja, wie?

Die Dringlichkeit dieses Themas wurde mir erst in Gesprächen mit anderen Frauen in meinem Alter bewusst. Denn dabei stellte sich heraus, dass fast alle schon mal eine sexuelle Grenzerfahrung wie diese – also Sex, bei dem sie sich nicht wohlgefühlt haben und den sie eigentlich gar nicht wollten – erlebt haben. Doch wurde den meisten erst beim Erzählen bewusst, wie schlimm und prägend, teilweise traumatisierend und überflüssig diese Erfahrung war. Auch für das weitere Sexualleben. Doch warum fällt es so vielen Frauen so schwer, Nein zu sagen? ‚No means No‘ – schön und gut, aber wenn es kein ausgesprochenes Nein gibt, ist es für den anderen schwer, das Nein zu erkennen, und leicht, es zu ignorieren.

#993300; ">Desaströs pornös

Im Gespräch mit Frauen, die diese Erfahrung gemacht haben, wird deutlich, dass stets eine sexuelle und emotionale Abhängigkeit vom Mann beziehungsweise den eigenen Erwartungen in Bezug auf die Erwartungen des Mannes ausschlaggebend waren: Eine Frau muss sexy und für alles offen sein, während sie sich dem Mann hingibt. Wenn sie diesen Ansprüchen nicht genügt, macht sich in ihr ein Schamgefühl breit und die Angst, vom Mann abgelehnt oder als prüde bezeichnet zu werden [Ja, das passiert wirklich], wächst – deswegen kommt das Nein nicht über ihre Lippen. Zudem wissen viele junge Frauen einfach noch nicht, wie sich richtig guter, einvernehmlicher Sex überhaupt anfühlt. Theoretisch ist zwar klar, dass Sex nicht nur der Befriedigung des Mannes dient und dass wir Frauen dabei natürlich ein Mitspracherecht haben, aber praktisch wissen viele nicht, wie das funktionieren soll, weil uns das weder im Aufklärungsunterricht in der Schule, noch von den Eltern und erst recht nicht in irgendwelchen Pornofilmen beigebracht wird.

#993300; ">Lernen, Nein zu sagen

Deshalb ist Nein zu sagen gar nicht so einfach, wie man denkt – vor allem, wenn man vorher bereits Ja gesagt hat. Und das nicht etwa, weil die Frau dem Mann in den meisten Fällen körperlich unterlegen ist, sondern viel eher, weil sie sich von gesellschaftlich erlernten Verhaltensmustern und klischeebeladenen Stereotypen davon abhalten lässt, sie selbst zu sein und sich ihren eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Sehnsüchten zu widmen. Wer mit Pornofilmen sozialisiert und sexualisiert wurde, will oftmals damit mithalten – das gilt für junge Frauen ebenso wie für Männer – obwohl Sex im wahren Leben ganz anders funktioniert, wenn er beiden Spaß machen soll. Weil sie sich keine Blöße geben wollen, haben viele Frauen Sex, auch wenn sie keine Lust verspüren. Weil sie nicht als frigide dastehen wollen, lassen sie sich auf sexuelle Praktiken ein, bei denen sie sich nicht wohl fühlen. Doch indem sie nicht auf ihr eigenes Verlangen hören, schaden sie sich selbst, ihrer Psyche, ihrer Sexualität und erweisen auch dem Mann keinen Gefallen. Denn selbst wenn er vielleicht [noch?] nicht weiß, wie es geht, will er der Frau doch viel lieber ein guter Liebhaber sein, anstatt nur schwer von ihr ertragen zu werden.

Doch Nein zu sagen ist verdammt schwierig. Obwohl es so ein kurzes Wort ist – vier Buchstaben, eine Silbe – sind viele Frauen nicht in der Lage, es auszusprechen. ‚Nein‘ – vielleicht eines der wichtigsten Worte, das Frauen häufiger sagen sollten. Denn wir haben jedes Recht dazu. Ein Nein macht uns nicht prüde, unreif oder unsexy. Ganz im Gegenteil! Ein Nein ist selbstbestimmt, selbstsicher und führt letztlich zu besserem Sex. Ein Ja darf zurückgezogen werden und durch ein Nein ersetzt werden, wenn einem der Sex nicht gefällt. Jederzeit. Immer. Denn Nein zu sagen, bedeutet gut für sich selbst zu sorgen und das ist viel wichtiger, als es irgendwem zu besorgen.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 14. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im November 2018.

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