Die diskursive Einbahnstraße

#Macht+Protest #Seelenleben #Feminismus

Wenn wir es besonders gut meinen und für unsere Überzeugungen brennen, ist mitunter so viel idealistische Leidenschaft im Spiel, dass wir über die Stränge schlagen und der gesunde Menschenverstand auf der Strecke bleibt. Dann ist das Ergebnis zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht.

[Text & Illustration: Sarah Elena Kirchmaier]

Anfang diesen Herbstes bekam ich über Facebook eine Einladung zu einer WG-Party. Zunächst hatte ich mich gefreut. Parties bei Leuten zuhause sind die besten! Man kann seine Schuhe ausziehen, sich irgendwohin fläzen und sein eigenes Billigbier trinken, während man sich im Kreise von Menschen, die man mag oder innerhalb der letzten Stunden zu mögen begonnen hat, einem schummrig-schönen Zustand hingibt. Entspannt. Doch mein Traum vom gemütlichen, gammligen Abend im Altbau sollte schneller zerplatzen, als meine Finger die Veranstaltungsbeschreibung durchscrollen konnten. Nebst anderer, „cooler“ Party-Gimmicks, die ich hier ob Fremdschämfaktor nicht weiter ausführen möchte, schloss der Einladungstext mit der Aufforderung, dass „doofe peoplz [sic!] aka Rassist*innen, Homophobe und Sexist*innen“ bitte zuhause bleiben mögen. Ich konnte mir nur an den Kopf fassen, denn bei fünf Gastgeberinnen, die insgesamt 70 Menschen eingeladen hatten, kamen pro Kopf nur ein Dutzend Bekanntschaften zusammen, die man doch bitte so gut kennen dürfte, dass man ihnen keine Partyeinladung schicken würde, wenn man bei ihnen einen oder gar mehrere der oben genannten, unangenehmen  -ismen vermutet. Ich dachte ungesund lange darüber nach, was Menschen dazu bewegen könnte, ihren Freund*innen oder Freundesfreund*innen implizit eine solche Haltung zu unterstellen, aber fand darauf keine befriedigende, logische Antwort und sah ein: Inzwischen ist wohl sogar eine Partyeinladung die perfekte Gelegenheit zur politisch korrekten Selbstdarstellung.

Die Wurzel des Problems

Um das klarzustellen: Ich bin der Ansicht, dass man faschistischen und faschistoiden Tendenzen unerbittlich entgegenwirken muss. Von Antisemitismus wird mir schlecht, Homophoben würde ich gerne eine zentrieren, wenn ich genug Muskelkraft und Mumm hätte, und sexuelle Übergriffe sind ekelhaft. Ich würde mit solchen Menschen niemals einen Abend verbringen wollen. Aber das wissen diejenigen, die mich kennen, eigentlich ganz genau. Mir macht es nichts aus, meine Texte zu gendern und ich kann nachvollziehen, warum ich es tun sollte. Allerdings halte ich jemanden, der oder die das Gendern vergisst oder „Flüchtlinge“ statt „Menschen mit Fluchterfahrung“ sagt, auch nicht gleich für die rechte Hand Hitlers. Mag gut sein, dass Sprache die Wahrnehmung mitbestimmt, wie man allerorts hört. Die Wurzel des Problems liegt aber trotzdem woanders und diese Begriffe werden in den allermeisten Fällen sowieso dazu gebraucht, über Leute zu reden, nicht mit ihnen. Einer Frau, die in prekärsten Verhältnissen lebt, ist es vermutlich egal, ob eine Lehrkraft an der Uni in ihren Rundmails ein Binnen-I setzt, „Studierende“ schreibt oder nichts davon. Wenn eine Person auf der Flucht ist, juckt es sie schätzungsweise recht wenig, wie man ihren Status beschreibt, weil sie einfach nur ihren Arsch retten will. Und weil ein politisch korrekterer Terminus verwendet wird, wird der rechte Rand sich leider auch nicht plötzlich denken: „Krass, das sind ja doch Menschen. Ist wohl kacke, was wir machen.“

Die platzende Blase 

Etwas später in diesem Herbst sorgten drei amerikanische Wissenschaftler*innen für Furore. Sie hatten im Laufe des vergangenen Jahres 20 Artikel bei renommierten geistes- und sozialwissenschaftlichen Zeitschriften eingereicht, von denen sieben angenommen wurden. Diese Bilanz scheint zunächst vielleicht nicht sonderlich beeindruckend, aber wenn man erfährt, dass diese Paper absolut jeglicher wissenschaftlicher Grundlage entbehren, bekommt man doch große Augen. Mit von der Partie bei den veröffentlichten Artikeln waren unter anderem ein Plädoyer dafür, Männer gemäß der Hundedressur zu erziehen, da sich laut einer im Park durchgeführten [natürlich gefälschten] Studie Parallelen in deren Verhalten finden, sowie eine Neuschreibung von Passagen aus Hitlers Mein Kampf aus pseudo-feministischer Perspektive. Dass dieser hirnrissige Unsinn dennoch als Wissenschaft durchgegangen ist und abgedruckt wurde, ist ein Weckruf für alle, die Forschungsdiskurse maßgeblich mitbestimmen. Denn die drei Autor*innen des Hoax bezeichnen sich selbst als politisch und sozial progressiv und zeigen gleichzeitig, wie daneben es gehen kann, wenn der tatsächliche Inhalt eines Textes hinter dem vermeintlich politisch korrekten Sprachduktus so sehr verblasst, dass er scheinbar gar keine Rolle mehr spielt. Ich fand diese Undercover-Mission im universitären Kontext ziemlich lustig und die drei Wissenschaftler*innen recht sympathisch, denn ihr inzwischen unter dem Namen Sokal Squared bekanntes Experiment zeigt: Es gibt zu viel des Guten.  

Meinung minus Menschenverstand

Wenn absoluter Bullshit veröffentlicht wird, weil die Schlagworte, die im aktuellen akademischen Diskurs passend erscheinen, eingestreut wurden, dann ist es an der Zeit, einen Schritt zurückzutreten und das Ganze noch mal gründlich zu evaluieren. Denn es ist wichtig, sich Gedanken darüber zu machen, inwieweit man die vorherrschenden Ansichten seiner Umwelt übernimmt – und im Falle vieler, die sich gerne über ihre Bildung definieren, sind das nun mal Lehreinrichtungen und gängige Meinungen aus der Forschung. Das gilt vor allem, wenn man sich sonst gerne rühmt, kritisch zu denken. Wem soll es schon dienlich sein, wenn dafür plädiert wird, man solle Männer wie Hunde dressieren? Dass dieser Fake-Artikel angenommen und veröffentlicht wurde, zeigt, dass er vermutlich gut zu anderen, allerdings ernsthaft verfassten Thesen in dieser wissenschaftlichen Publikation passt. Das Problem hier dürfte klar sein. Das Schüren sprachpenibler Hysterie verbaut die Chance auf wirklich gute Dialoge und eine tatsächliche Verbesserung der Verhältnisse, die eben nicht nur durch Wortklauberei erzielt wird. Und auch, wenn es gerade noch so modern ist: Viel mehr als die Überhöhung des Eigenen durch das Herunterbuttern des Anderen steckt oft nicht dahinter. Selbstdarstellung eben. 

Zu guter Letzt

Für diejenigen, die es interessiert: Auf der Party bin ich nicht gewesen. Ich war, dem Himmel sei Dank, nicht in der Stadt. Sonst wäre ich aus Neugierde am Ende vielleicht doch hingegangen und hätte meine gesamte sexistische, homophobe und rassistische Entourage dabei gehabt – für die bin ich ja schließlich bekannt.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 14. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im November 2018.

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