Mindf*ck

#Seelenleben #Sex

Sex ist nicht gleich Sex. Dabei gibt es qualitativ riesige Unterschiede, aber eigentlich entscheidet nur ein Punkt darüber, ob das Liebesspiel zur sinnlichen Offenbarung gedeiht, als Druckventil sexueller Frustration missbraucht wird oder zum funktionalen Beischlaf verkümmert: Was Dein Kopf daraus macht.  

[Text & Illustrationen: Carolina Reaper]

 

 

Manche Tage haben ihren Höhepunkt schon bevor ich überhaupt richtig wach bin. Mich weckt dann dieses verheißungsvollen Kribbeln, das sich in meinem ganzen Körper ausbreitet und mich schließlich mit voller Wucht als explosionsartiger Orgasmus in den Tag katapultiert. Danach bin ich hellwach, glückselig, denke nichts außer „Wow, was für ein geiler Start!“ und verzichte strahlend auf den morgendlichen Kaffee, den ich sonst brauche, um in meiner Matschbirne den Lichtschalter zu finden. Weil ich absolut nichts dagegen hätte des Öfteren so ekstatisch den Tag zu beginnen, habe ich versucht herauszufinden, was es braucht, um einen Wake- up-Orgasmus zu bekommen. Ich glaube es sind lediglich zwei Dinge: Eine bequeme Bauchlage und ganz wichtig[!]: richtig heiße Gedanken vor dem Einschlafen. Im „An-Sex-denken“ bin ich mittlerweile ziemlich gut, weil ich es gerne und oft tue. Zudem hat es einen grandiosen Neben­effekt, denn meine Libido ist dadurch stetig am schnurren und versorgt mich mit Energie und Tatendrang. Aber natürlich bin ich auch einem hemmungslosen und leidenschaftlichen Schäferstündchen außerhalb meines Kopfes absolut nicht abgeneigt. Im Gegenteil, ich finde das ist der helle Wahnsinn, denn es macht mich gleichzeitig high, frei, kreativ und entspannt, ohne dass ich dafür auf bewusstseinserweiternde Mittel zurückgreifen müsste. Also gönne ich mir auch diesbezüglich gerne und oft eine ordentliche Dosis. Nicht zuletzt, weil richtig betörender Sex eine Art Mindset-Reset bei mir hervorruft und dann die richtig guten Ideen schwallartig aus den Tiefen meiner Selbst heraussprudeln. Wer lässt sich nicht gern von der Muse küssen – ganz besonders dort, wo es sich so unverschämt gut anfühlt? Die Krönung der Kopulation konzentriert sich dann mitunter in einem, zwei oder drei bombastischen Orgasmen, die das Potenzial besitzen, mich endgültig um den Verstand zu bringen. Weil Sex eine so positive Wirkung auf mich hat, mit der keine Droge, kein Therapeut und vor allem kein rationaler Gedanke je mithalten kann, bin ich davon also ziemlich geflasht. So sehr, dass mein Gehirn, nachdem ich diese Sätze geschrieben habe, automatisch in den kognitiven Kopfkino-Modus schaltet und den perfekt auf mich zugeschnittenen Porno vor meinem inneren Auge so lebhaft in Szene setzt, dass ich ihn am liebsten sofort in die Tat umsetzen würde. Allerdings könnte ich auch einfach meine Augen schließen und mir in Gedanken vorstellen, was mich in diesem Moment besonders erregt. Ich steh auf beides: Hauptsache Mindfuck. 

Die größte erogene Zone liegt nicht zwischen den Beinen, sondern zwischen den Ohren.
Sie nennt sich Vorstellungskraft und will angeregt werden. 

 Das Gehirn ist nicht umsonst das größte Sexualorgan des Körpers. Hier entscheidet sich, ob und in welchem Maße wir in der Lage sind, Reize wahrzunehmen, sie in Begehren zu verwandeln und hemmungslos zu genießen. Um sexuell so richtig in Fahrt zu kommen, braucht es den richtig guten Stoff, aus dem die Träume sind, quasi die Crème de la Crème der Stimulanzien und – dem Himmel sei Dank –muss man dafür nicht mal den Dealer seines Vertrauens abgrasen. Meine persönliche Wundertüte trage ich permanent mit mir herum, denn sie ist angewachsen. Kommt im richtigen Moment der richtige Reiz, startet mein Gehirn einfach damit, es sich in allerbester Do-it-yourself-Manier selbst zu machen. In einem komplexen Verfahren beginnt dann der Körper großzügig den Ich-Will-Dich-Vögeln-Cocktail in Form von dem körpereigenen Phenyläthylamin, kurz PEA, auszuschenken. Der hat es in sich, denn lusttrunken verändert sich die Wahrnehmung und die Umgebung ist plötzlich verdammt scharf. Kein Wunder, dass PEA auch das molekulare Grundgerüst in zahlreichen halluzinogenen Drogen bildet. Damit man auch die Energie und die Motivation verspürt, sich dem Liebesspiel völlig hinzugeben, gibt es noch eine ordentlichen Schuss des Botenstoffes Dopamin oben drauf und zusammen mit weiteren körpereigenen, berauschenden Substanzen wird aus einem simplen Reiz das sexuelle Schlaraffenland.

Koscherer Koitus killt die Libido interuptus

Damit unser Hirn aber überhaupt kapiert, dass seine Fähigkeiten als Barkeeper of Love gefragt sind, müssen zuerst ein paar andere Bereiche darin abgeschaltet werden. Ist das nicht der Fall, tappt man noch im Vorgarten des sexuellen Paradieses herum und fragt sich wahrscheinlich, warum das hier so karg ist. Im Gehirn nennt sich dieses leidenschaftslos-rationale Areal der sexuellen Ödnis präfrontaler Kortex. Hier haust der vernünftige Teil von Dir, der sich Moral nennt und als Meister der Selbstbeherrschung, gesellschaftlicher Anpassung und in seiner Funktion als oberste Kontrollinstanz allzeit bereit ist, mit seinem erhobenen Zeigefinger apostelhaft herumzufuchteln, um Dich zur Räson zu bringen. Hier hat man keinen guten Sex! Denn wenn beim Liebesspiel statt der Kissen Fragen durch den Raum wirbeln, wie etwa: „Kann ich das so machen? Was denkt er bloß, wenn er meine Cellulite sieht? Warum stöhnt er nicht?“ Oder die absurdeste aller Fragen: „Hat er gemerkt, dass mein Orgasmus nur vorgetäuscht war?“, dann verkümmert die eigene Sexualität zu einem Jammertal. Eden of Erotik ist weit entfernt und steckt man überhaupt irgendwo drin, dann nicht in schlüpfrigen Körperöffnungen, sondern in seinen eigenen Ängsten und Hemmungen, die durch die präfrontale Einflussnahme schier unüberwindbar scheinen. Das Erotischste, was ich in Zusammenarbeit mit meinem inneren Moralapostel je erleben durfte, war Standard-Sex in maximal zwei Stellungen á la missionarischer Rumreiterei. Doch ein koscherer Koitus killt meine Libido interuptus. Mein Lustzentrum verkümmert dann zur traurigen Kulisse eines Zwei-Personen-Stückes, in dem ein überaus bemüht zustoßender Sexualpartner alles daran setzt, mir einen Orgasmus reinzudrücken, weil er ja [Zeigefinger ist gezückt!] nicht kommen darf, bevor ich nicht gekommen bin. Diese unterirdische Art von Sex bringt mich nicht etwa zum Höhepunkt, sondern zu einem Tiefpunkt, an dem ich lieber gar keinen Sex mehr haben will, als solchen.

Freihändig zum Orgasmus

Weil kein Sex aber auch keine Lösung ist, stellt sich natürlich die Frage, wie man es schafft aus seiner negativen Gedankenspirale in ein feuchtfröhliches Hier und Jetzt hineinzugleiten. Was ist denn eigentlich guter Sex für mich? Was macht mich selbst dabei an? Und was wollte ich schon immer mal ausprobieren? Es lohnt sich sehr, diese Fragen detailliert zu beantworten und vor allem mit viel Zeit und Ruhe sinnlich zu hinterfragen. Das ist auch die Basis der Lehre des Tantra, denn die Vereinigung zweier Menschen hat hier eine viel tiefergehende Bedeutung als das, was in vielen deutschen Schlafzimmern in unter 10 Minuten auf den Lattenrost geknartscht wird. Tantra-Sex ist viel mehr ein bewusstseinserweiterndes, ganzheitliches Erlebnis, dass erst durch Achtsamkeit erfahrbar wird. Eine gute Freundin erzählte mir kürzlich von einer tantrischen Übung, die sie und ihr Partner, um noch lustvolleren Sex miteinander zu haben, jeder für sich alleine ausführen musste. Sie geht so: Man stelle sich allein vor den Spiegel und masturbiert. Klingt ziemlich schräg und ist es erstmal auch, denn Gesichtsausdrücke onanierender Personen können durchaus an saure Zitronengrimassen erinnern und im Spiegel fällt einem dann vielleicht auf, dass auch das eigene dazuzählt. Aber genau das ist der Clou an der Übung. Anstatt sich hektisch zum Höhepunkt zu rubbeln, geht es darum seine Erregung bewusst wahrzunehmen, die ja im Spiegel offenbar wird. Kommt jetzt frontal eine hemmende Scham-Offensive aus dem Fronthirn auf einen zu, dann kann man seinen eigenen, schambesetzten Ängsten zumindest in die Augen schauen. Und im Angesicht der eigenen Lust taucht vielleicht auch die Frage auf: Kann das denn wirklich falsch sein? Nein! Selbst wenn man nur trocken übt, ist es möglich, ziemlich feucht zu werden. Manch eine Frau hat ein so fantastisches Kopfkino und eine bewundernswerte Aufmerksamkeit für ihren eigenen Körper, dass sie komplett freihändig zum Orgasmus kommt! Seit ich das gelesen habe, übe ich fleißig, denn bislang schaffe ich das scheinbar nur im Schlaf. Aber wie großartig wäre es denn, wenn ich in stressigen Momenten allein durch einen meditativen Mindfuck, den Kopf frei bekäme, um ihn dann mit dem schönsten Gefühl der Welt zu fluten?

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 23. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im September 2020.

 

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