Über das beste Gefühl der Welt

#Sex

Eines der größten Mysterien der Welt: der weibliche Orgasmus. Wie funktioniert er wirklich? Wie kommt er noch besser? Und kann jede*r ein Master-Pro im Höhepunkt werden?

[Text: Rachel Lana | Illustration: Roman Sawatzki]

 

 

Mit sieben Jahren hatte ich meinen ersten Orgasmus. Ich bemerkte irgendwann, dass es sich ziemlich toll anfühlt, wenn ich ein Handtuch zwischen meinen Beinen reibe und dass die Schwimmübung „Seepferdchen“, bei der die Schwimmnudel zwischen den Oberschenkeln eingeklemmt wird, der einzige Grund war, wieso ich gerne zum Schwimmunterricht ging. Natürlich habe ich erst sehr viel später verstanden, was ich da tat. Instinktiv wusste ich jedoch, dass ich es lieber geheim halten sollte.

Neunmal mehr Lust

Seit Jahrtausenden beschäftigt die weibliche Sexualität die Menschheit. Es mögen zwar mehr wissenschaftliche Erkenntnisse hinzugekommen sein, aber die Frage nach dem Orgasmus treibt den meisten Frauen trotzdem immer noch die Schamröte ins Gesicht. Schon in der griechischen Mythologie wird von dem Philosophen Teiresias erzählt, der zur Strafe in eine Frau verwandelt wird [eine wirklich schreckliche Strafe!]. Aufgrund seiner Erfahrung als Mann und als Frau wird er von Zeus und Hera gebeten, die Frage zu klären, welches Geschlecht denn nun beim Sex mehr Lust empfinde. Als Teiresias offenbart, dass die Frau neunmal mehr Lust als der Mann verspüre, lässt ihn die wütende Hera erblinden, weil er das Geheimnis der Frauen preisgegeben hat. Dieser Mythos bringt eine tiefe Scham über die weibliche Sexualität zum Ausdruck, die Frauen seit Jahrtausenden zu überwinden versuchen. Dabei ist das doch total verrückt! Sollte diese Körperfunktion nicht mit großen Festen zelebriert werden, statt die Aufklärung dem im Grunde prüden Dr. Sommer zu überlassen? Doch leider stellt sich die Realität anders dar, denn dort geben meistens Schweigen oder debiles Kichern den Ton bei Sexualthemen an. Beachtet man diese Regel nicht, kann es schon während der Kindheit grausam werden, weil Kinder eben grausam sein können. Eine Bekannte erzählte mir von einer Mitschülerin in der 5. Klasse, die sich während des Unterrichts am Stuhl rieb und dafür stark gehänselt wurde. Bis zur Oberstufe. Weil sie sich nicht für diese Körperfunktion schämte.

Wozu der Körper fähig ist

Wäre ich in so einem verklemmten Umfeld aufgewachsen, hätte ich garantiert auch keinen normalen Umgang mit meinem Orgasmus – dem für mich schönsten Gefühl der Welt. Es waren das Aufwachsen in einer abgeklärten Frauenarztfamilie, die Abi-Zeit bei Nudisten in Kreuzberg und mein bester Freund seit Kindheitstagen, die mich vor der Prüderie gerettet haben. Ich bin der absoluten Überzeugung, dass dies die grundlegenden Voraussetzungen für mein erfüllendes Sexualleben sind: der offene Umgang mit Sex und das Bewusstsein für meine Libido. Da ich noch keinen Marathon gelaufen bin und noch kein Kind geboren habe, erfahre ich vor allem auch durch meinen Orgasmus, wozu mein Körper so fähig ist. Und das ist ein höchst befriedigendes Gefühl. Ich bedauere sehr, dass sich viele dieser Erfahrung selbst entziehen.

Von 0 auf 100 in 30 Sekunden

Meine Erkenntnisse über die Verklemmtheit der weiblichen Mitmenschen ziehe ich ausschließlich aus plüschfarbenen Sleep-Overn, zu denen ich nur zu Entertainment-Zwecken eingeladen werde. Beim obligatorischen „Wahrheit oder Pflicht“-Spiel offenbare ich routiniert und mit Selbstverständlichkeit, dass mir Selbstbefriedigung kein Fremdwort ist und ich innerhalb von 30 Sekunden zum Höhepunkt kommen kann. In einer perfekten Welt würden mir alle ein „Na und?“ entgegen schleudern oder mir gratulierend auf die Schulter klopfen. In Wirklichkeit ist die Chronologie der Reaktionen jedoch eine andere: Erst Kichern, dann Ungläubigkeit und schließlich wird die Neugier siegen. Und die Neugierigste wird von mir auserkoren, zu ihrem nächsten Geburtstag einen Vibrator geschenkt zu bekommen. Beim Auspacken wird sie peinlich zu Boden blicken, ich werde das ignorieren und sie einige Monate später diskret fragen, ob ihr mein Geschenk gefallen hat. Sie wird antworten: „Er hat mir eine komplett neue Tür in Richtung Himmel eröffnet.“ Das war bis jetzt immer so. Zwar sind das für mich große Erfolge, aber gleichzeitig ärgert es mich, dass diese Ladies erst durch Fremdeingriff anfangen, ihre Libido zu begreifen.

Wie ein IKEA-Schrank ohne Anleitung

Aus der Verklemmtheit und dem Unwissen vieler Frauen, was ihnen gefällt, resultieren hilflose Männer, die sich Vorwürfe machen. Ich bin jedes Mal erschüttert, wenn sich mir offenbart, wie wenig hinter dem männlichen Imponiergehabe steckt und was sie alles nicht über die weibliche Libido wissen, obwohl sie sehr wissbegierig sind, was man ihnen zu Gute halten muss. So wären die meisten Männer froh über eine Anleitung, aber viele Frauen kommunizieren einfach nicht. Das ist wie einen IKEA-Schrank ohne Anleitung aufbauen – eigentlich ist das Prinzip klar, aber jedes Regal hat irgendwo seine Schraube locker. Eine Freundin gestand einmal: „Wenn er versucht, mich zu befriedigen, dann fühlt es sich an, als ob er in meiner Vagina rumkramt, um nach seinen Schlüsseln zu suchen.“ – „Und wieso sagst du ihm nicht, wie es besser geht?“ – „Weil, naja … ich weiß es, ehrlich gesagt, selbst nicht besser.“ Spätestens seitdem Dildopartys die neuen Tupperpartys der Mittzwanziger geworden sind, wissen wir: Sex ist kein Tabu mehr. Aber ob man tatsächlich mehr über den Orgasmus weiß, ist eher fraglich.

Mach’s Dir selbst, sonst macht’s Dir keiner

Meine Mutter, die auch gleichzeitig meine Frauenärztin ist, erzählt oft von älteren Patientinnen, die zwar Kinder und einen Mann haben, aber noch nie einen Orgasmus hatten. Ihrer Meinung nach läge es daran, dass diese Frauen denken, allein der Mann sei für ihren Höhepunkt zuständig. Außerdem sehe sie einen großen Fehler in der Erziehung, wenn es um Körperlichkeit geht. Diese Tabuisierung hindere die Mädchen daran, sich mit ihrem eigenen Körper auseinanderzusetzen und fördere Komplexe. „Wenn man sich selbst nicht zum Höhepunkt bringen kann, dann wird das höchstwahrscheinlich auch niemand anderes erledigen können“, sagt sie. Was viele Frauen außerdem nicht verstünden, ist die Tatsache, dass der Orgasmus zum größten Teil im Kopf und zu einem geringen Teil durch Berührung an den erogenen Zonen passiert.

Vagina Dialoge

Wenn man weiß, wie, wann und warum man Lust verspürt und wie sie in einen Orgasmus übergehen kann, dann kann man den Partner auch leiten. Das ist purer Win-Win! Ich kann nur behaupten, viel über meine Vagina und meine Libido zu wissen, weil ich über andere Vaginas Bescheid weiß. Ich tausche meine Erfahrungen oft mit anderen aus, das lässt mich wachsen und Neues erfahren. Ein kleines bisschen bin ich auch einfach neugierig – dieselbe Neugier, die ich beim Suchten verschiedener VICE-Artikeln verspüre, die mit sexuellen Anomalitäten locken. „Es gibt nichts Interessanteres im Leben, als zu erfahren, was beim Nachbarn im Schlafzimmer passiert“, sagte Dr. Ruth Westheimer, die bekannteste Sexualtherapeutin der USA, 88 Jahre alt. Und die muss es wissen.

Mit Edging intensivieren

Wer jedoch keine plauderfreudige Freundin aus der Tasche ziehen kann, die ihm die Welt des G-Punkts und der Klitoris erklärt, dem empfehle ich wärmstens die Seite OMGYes.com, die übrigens auch für abgeklärte Frauen eine Bereicherung sein kann. OMGYes befragte tausende Frauen explizit nach ihrer Masturbier-Technik und was ihre Sexualpartner tun müssen, um sie zum Kommen zu bringen. Es stellte sich heraus, dass viele Ähnlichkeiten zwischen den Techniken existieren, die man sich bei ausführlichen Tutorials aneignen kann. Als Krönung darf man die erlernte Technik dann an einer virtuellen Vagina ausprobieren, die dir sofort Feedback gibt. So lernte ich „Edging“: sich bis knapp vor den Höhepunkt stimulieren [lassen], dann stoppen, und erst nach mehrmaliger Wiederholung einen Orgasmus erlauben. Der gewünschte Effekt ist ein stärkerer und intensiverer Orgasmus. Allerdings muss ich zugeben, dass ich es sehr persönlich genommen habe, als ich die virtuelle Vagina anfangs nicht befriedigen konnte, und sie mich anschrie, ich solle schneller machen.

For free and to go

Wenn Euch die Bezahlschranke der Seite blockieren sollte, so habt Ihr hier als Belohnung für Euer Lese-Durchhaltevermögen ein paar Life-Hacks for free and to go:

  1. „Sex am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen.“ Der Testosteron-Spiegel bei Männern ist morgens am Höchsten.
  2. Der G-Punkt liegt 5 cm hinter dem Scheideneingang Richtung Bauchdecke. Mit den Fingern eine „Komm-her“-Bewegung zwischen 11 und 1 Uhr machen. Erfolgsgarantie: 95 Prozent.
  3. Keine Scham vor Körperflüssigkeiten! Wer beim Orgasmus anfängt zu urinieren – na und? Das ist nichts Unnatürliches oder wie Charlotte Roche [„Feuchtgebiete“] sagen würde: „Wer Angst vor Körperflüssigkeiten hat, sollte mit dem Sex gar nicht erst anfangen.“
  4. Es hilft nichts – wir müssen beim Sex miteinander kommunizieren. Mädels, traut Euch! Jungs, fragt nach!

Und der absolut wichtigste Tipp von mir ist: Setzt Euch keine stressige Deadline, der Master-Pro im Kommen zu werden. Denn für den Orgasmus braucht es Zeit, Entspannung und gute Laune. Und die sollte man am besten jeden Tag haben.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 4. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im Februar 2017.

 

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