Sexismus ist ein hartes Schwert

#Kultur #Sex #Feminismus #Gleichberechtigung

Spätestens seitdem findige Marketingstrategen entdeckt haben, dass Sex sells, muss man schon blind sein, um nicht ständig mit nackten Tatsachen konfrontiert zu werden. Deshalb ist es umso verwunderlicher, dass die Zeichnungen von Marion Vina, die im Rahmen einer satirischen Gruppenausstellung in der Zentralmensa ausgestellt waren, einigen Menschen so sehr auf den Magen geschlagen haben, dass sie vorzeitig abgehängt wurden.

[Text: Vanessa Pegel | Illustrationen: Marion Vina]

 

Für alle, an denen Göttingens jüngster Skandal trotz überbrodelnder Medienwirksamkeit vorbeigegangen ist: Alles begann damit, dass Horst Reinert vom Kulturbüro des Studentenwerks zum Amüsement der Zentralmensa-Gäste mal wieder etwas Extravagantes ausbaldowert und gemeinsam mit acht Künstler*innen der Gruppe Das KomiTee eine satirische Ausstellung auf die Beine gestellt hatte. In weiser Voraussicht, dass Satire nicht jedermanns*fraus Sache ist und erst recht nicht allen schmeckt, ging die Gruppenausstellung unter dem aussagekräftigen Titel Geschmacksache an den Start. Mit von der Partie waren u. a. auch die beiden Zeichnungen der Göttinger Grafikerin und Illustratorin Marion Vina, die wir hier abgebildet haben. Nun kann man darüber denken, was man will, und hinein interpretieren, was einem gerade so in den Kram passt – ein Hoch auf die Meinungsfreiheit! – doch während man sich Gedanken macht, sollte man nicht vergessen, dass es sich dabei um satirische Werke handelt. Und spätestens nach Charlie Hebdo und Jan Böhmermann wissen wir: Satire ist eine Kunstgattung, die durch Spott, Ironie und Übertreibung bestimmte Personen, Anschauungen, Ereignisse oder Zustände kritisieren oder verächtlich machen will. Vielleicht haben die Aktivist*innen der Göttinger Wohnrauminitiative, die Gleichstellungsbeauftragte der Georg-August-Universität und der Göttinger AStA diesen Fakt außer Acht gelassen, als sie zu dem Entschluss kamen, dass Marion Vinas Zeichnungen sexistisch seien, und das Studentenwerk – letztlich mit Erfolg – dazu aufforderten, die Bilder abzuhängen.

Heißer gegessen als gekocht

In Anbetracht der Tatsache, dass Sexismus alle Formen der Unterdrückung und Benachteiligung aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit bezeichnet, ist es durchaus verständlich, in den beiden Zeichnungen von Marion Vina das Thema Sexismus zu erkennen. Doch wenn man sich die dazugehörigen Wortspiele zu Gemüte führt, kann man möglicherweise auch darauf kommen, dass ihre Werke die Auswüchse des Sexismus anprangern, anstatt sie huldigen, wie die Kritiker*innen der Bilder lautstark propagierten, ohne dafür jemals Gründe anzuführen. Halten sie die Darstellung von halb nackten Brüsten und einem knackigen Frauenhintern per se für sexistisch, sodass es einer weiteren Erklärung ihres Vorwurfs nicht bedarf? Oder woran liegt es, dass bisher alle Beteiligten stets einen großen Bogen darum gemacht haben, tatsächlich beim Namen zu nennen, worin dieser ungeheuerliche Sexismus denn nun eigentlich genau besteht. Dabei wäre die Beantwortung dieser Frage meiner Ansicht nach gleich zu Anfang der ganzen Debatte elementar gewesen. Deshalb wage ich mich im Folgenden an eine mögliche Interpretation der angeprangerten Bilder.

„aus laden“ 

In meiner Welt als Busenträgerin ist es mir leider nicht erspart geblieben, ungewollt angegrabscht zu werden. Und dabei handelt es sich – nebenbei bemerkt – nicht „nur“ um Sexismus, sondern um sexuelle Belästigung. Mit diesem Hintergrund sehe ich in Marion Vinas Zeichnung und dem dazugehörigen Wortspiel „aus laden“ eine Abfuhr an alle Männer, die es als Einladung betrachten, übergriffig zu werden, nur weil eine Frau Brüste hat und sich nicht dafür schämt. Man denke hierbei vielleicht auch an die Riot Grrrls-Bewegung, die gegen Sexismus und sexuelle Übergriffe demonstriert hat, indem sich die Aktivistinnen öffentlich entblößt haben.

„warte Schleife“

Auch das zweite skandalumwitterte Werk interpretiere ich persönlich als eine Verhohnepipelung aller Männer, die einen Frauenhintern für Freiwild halten. Denn meiner Ansicht nach möchte dieser knackige Arsch suggerieren, dass er sich eben gerade NICHT als Geschenk für das männliche Geschlecht begreift und dass Mann sich demütig ganz hinten anstellen muss, wenn Mann eine Chance haben will, an ihn ran zukommen. Möglicherweise besteht also der angeprangerte Sexismus dieser Zeichnung in der Unterdrückung und Benachteiligung des Mannes. But who knows.

Verdauungsprobleme

Kunst liegt im Auge des Betrachters und oftmals stört sie auch, weil es ihre Aufgabe ist, aufzufallen und die Menschen zum Nachdenken anzuregen. Natürlich steht es jedermann*frau frei, beim Anblick von Vinas Bildern Verdauungsprobleme zu bekommen und das Blaue vom Himmel hineinzuinterpretieren, doch dazu müsste man eben auch eine Interpretation vornehmen, anstatt einfach nur lautstark die Sexismus-Keule zu schwenken, um damit Zensur auszuüben und die Kunstfreiheit zu beschränken. Doch leider ließ sich auch auf der Podiumsdiskussion zum Thema „Ist das Kunst oder kann das weg?“, die Anfang Dezember von der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Jurist*innen organisiert wurde, trotz mehrfacher Einladungen keiner der offiziellen Sexismus-Ankläger*innen blicken, um seine*ihre Position zu vertreten oder die anwesende Marion Vina zu ihren Motiven zu befragen. 

Aufruf zum Aufschrei

Weil wir darauf brennen, endlich die Gründe für das ganze Brimborium um diese beiden Bilder zu erfahren, rufen wir die Göttinger Wohnrauminitiative, die Gleichstellungsbeauftragte der Georg-August-Universität, den AStA und andere Betroffene, die sich von Vinas Werken gestört, verletzt oder belästigt gefühlt haben, dazu auf, klar zu benennen, warum sie sich eigentlich so aufgeregt haben [E-mail an bescheid@vonwegenverlag.de]. Allem vorausgesetzt, dass sämtlichen Beteiligten bewusst ist, dass pralle Brüste, knackige Ärsche und Sexualität als solche nicht per se sexistisch sind.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 9. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im Januar 2018.

 

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