Aus den Tagebüchern
einer rasenden Reporterin #1

#Tagebücher #Lokales #Seelenleben #ÜberUns

Besonders weil es in diesen coronalen Zeiten quasi nichts zu feiern gibt, können wir es nicht lassen,  anlässlich unserer 25. Magazin-Ausgabe dicht und ergreifend auf den Putz zu hauen. In diesem Rahmen  offenbaren wir Euch unzensierte Auszügen aus den geheimen Tagebüchern der rasenden Reporterin Vanessa, die lange vom VONWEGEN träumte, bevor sie es sich traute.

[Text & Foto: Vanessa Pegel] 

 

 

Unzensierter Auszug aus den geheimen Tagebüchern einer rasenden Reporterin aus dem Jahre 2008

[...] Weil es mich wahnsinnig macht, nach der Pfeife eines kontrollwütigen Herausgebers zu tanzen, der sich noch dazu für die Chefredakteurin hält, obwohl ich das bin, sinnierte ich heute mal wieder darüber nach, wie wohl das Magazin heißen würde, das ich aus Protest zu gründen gedachte, und plötzlich erleuchtete mich der langersehnte Geistesblitz: VONWEGEN! Durch die Schlagkraft dieses ultimativen Wortes scheinbar völlig berauscht, hielt ich es für eine geniale Idee, schon mal die passende Website zu reservieren: www.vonwegenverlag.de. Das könnte ein bisschen voreilig gewesen sein. […]

 

Februar 2016

[...] Während der heutigen Redaktionssitzung kam es zum Eklat, weil ich es wieder mal gewagt habe, mich gegen unseren großen Meister aufzulehnen. Nachdem ich den Kampf um das letzte Wort gewonnen hatte, kommandierte mich unser Herausgeber in sein Büro und machte mir unmissverständlich klar, dass ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als mich zu feuern, falls ich mir so etwas noch einmal erlaube. Denn auch wenn er mich im Grunde sehr zu schätzen wüsste, sei er hier schließlich immer noch der verdammte Chef! Jetzt trage ich einen Maulkorb, obwohl ich doch eigentlich nur ein gutes Magazin machen will, und möchte ihm am liebsten die Worte von Jacques Palminger entgegen schmettern: „Du kannst einem Känguru das Hüpfen nicht verbieten!“ [...]

 

April 2016

[...] Wenn das so weitergeht, werde ich wahrscheinlich bald platzen. Diese ganzen unterdrückten Widerworte haben sich zu einem einzigen zusammengerottet: VONWEGEN! Mittlerweile reift dieses Ding schon so lange in meiner Schublade vor sich hin, dass es sie fast sprengt. Das Känguru in mir ist getrieben von kreativer Ekstase, unwiderstehlicher Abenteuerlust und dem unstillbaren Bedürfnis, spannende Themen als verbale Delikatessen zubereiten zu dürfen, ohne einen großen Meister um Erlaubnis bitten zu müssen. Deshalb plane ich nun jeden Tag die Revolution. [...]

 

Mai 2016

[...] „Mach es jetzt einfach, denn Du willst es unbedingt, und wenn Du es jetzt nicht probierst, wirst Du es eines Tages bereuen.“ Dieser Satz meiner liebestollen Mama war die Initialzündung, um am heutigen Tag mit einem Paukenschlag meinen Job an den Nagel zu hängen. Ich springe lieber ohne Maulkorb ins kalte Wasser, suche nach Höhepunkten, riskiere Tiefschläge und forsche nach dem Wunderbaren. [...]

 

Juni 2016

[...] Meine unbändige Lust auf dieses VONWEGEN ist so gewaltig, dass meine Gedanken nicht zum Schweigen gebracht werden können. Weil ich völlig begeistert und wahrscheinlich sogar absolut besessen davon bin, falle ich jedes Mal aus allen Wolken, wenn mir Gegenwind ins Gesicht geblasen wird. Oder wenn sich wieder mal jemand aus meinem alten, lasterhaften Kreis nicht mehr als Schreiberling verdingen will, weil er jetzt einen „richtigen Job“ hat. Umso glücklicher bin ich über diejenigen, die immernoch genügend Muse verspüren: der wortgewandte Olaf und sein hintersinniger Humor, der mir schon in Studienzeiten große Freude bereitet hat und nun unter dem Pseudonym Herr Dunkel eine eigene Kolumne schreibt, und meine in vielerei Hinsicht überaus kreative Freundin Desi, die sich gerade von ihrem letzten Job als Redakteurin bei einer Tageszeitung zu rekonvaleszieren versucht. Außerdem freue ich mich enorm, dass ich noch zwei weitere schöngeistige, mediengestaltenden Freundinnen in das VONWEGEN reinzuziehen: Micky für die grafische Gestaltung das Magazins und Tanja für die Annoncen unserer zukünftigen Kund*innen. 

[...] Weil ich beschlossen habe, nur noch mit netten Menschen zu kollaborieren, verkaufte ich heute die erste Annonce für das Magazin, das es noch gar nicht gibt, an Robert von Sehenswert. Das Gefühl war unbeschreiblich. [...]

 

Juli 2016

In Anbetracht der Tatsache, dass Micky und ich schon eine halbe Ewigkeit befreundet sind und bereits super zusammengearbeitet haben, war ich felsenfest davon überzeugt, dass ich keine Fragen mehr haben würde, wenn sie mir ihre grafischen Entwürfe präsentiert. Doch stattdessen ließen sie mich ratlos zurück. Auch wenn ihre Seiten zweifellos schön aussahen, konnte ich beim besten Willen nicht sagen, ob sie VONWEGEN waren. Später dann die erschreckende Erkenntnis: Ich habe für dieses Magazin zwar viele pornöse Wörter im Kopf, aber nur poröse Bilder vor Augen. [...]

[...] Heute haben Desi und ich entschieden, dass unser Slogan STOFF ZUM REINZIEHEN lauten soll. Danach war für Desi vollkommen klar, dass wir unbedingt einen gewissen Professor Stoff dazu berufen sollten, unseren zukünftigen Leser*innen die Welt zu erklären, auch wenn es ihn in Wirklichkeit gar nicht gibt. Von diesem perfiden Plan nicht hochprozentig überzeugt, gefällt mir doch unsere erste Frage an den imaginären Prof. Stoff: „Ist Sapiosexualität eigentlich nur was für Intellektuelle?“ Ich bin schon gespannt auf seine Anwort.

[...] Eigentlich sollte doch längst klar sein, dass es sich beim VONWEGEN aus guten Gründen um ein Print- und kein Online-Magazin handelt: Weil Anfassen nun mal geil ist, wenn man andere berühren will. Weil das Miniposter in der Magazinmitte, das uns die legendären Bringmann & Kopetzki zur Feier unserer Erstausgabe beschert haben, nur darauf wartet, liebevoll herausge­fummelt und an den Kühlschrank gehängt zu werden! Weil man das kleine Heftchen zum Abstempeln braucht, wenn man durch die Kneipen streunen will, um an unserer Schnäpschenjagd teilzunehmen und ein Wochenende im Baumhaushotel zu gewinnen! Deshalb möchte ich verdammt noch mal nie wieder zu hören bekommen, dass wir vielleicht lieber ein Online-Magazin machen sollten, aber dieser Wunsch wird sich wohl nicht erfüllen. [...]

 

August 2016

[...] Letzte Woche ist uns der erste VONWEGEN-Praktikant zugelaufen. Er heißt Fynn und macht einen ziemlich pfiffigen Eindruck, aber immer, wenn ich ihm etwas erkläre, zum Beispiel wie unser Drucker funktioniert, guckt er mich mit so großen Augen an, als hätte ich ihm gerade den Sinn des Lebens offenbart. Heute ging er für mich ans Telefon und verkündete, dass „die Chefin“ gerade leider nicht zu sprechen sei. Auch wenn gerne alle machen können, was ich will, fühle ich mich als Chefin irgendwie schräg. 

[...] Nachdem ich Micky mit meiner Suche nach dem ultimativen grafischen Kick, für den ich keine Worte finde, schier in den Wahnsinn getrieben habe, warf sie eine Woche vor Druckabgabe ihr schweißgebadetes Handtuch. Ich würde ihr gerne böse sein, aber ich glaube, ich bin selber Schuld. 

[...] Auch wenn ich jetzt keinem Herausgeber mehr dienen muss, so bin ich doch immer noch fremden Mächten ausgeliefert. Deshalb fiel mir ein Stein vom Herzen, als sich meinen alter Homie und ehemaligen Arbeitskollegen Roman, der eigentlich gerade woanders Grafik-Design studiert, aus der Reserve locken ließ, um das Ei des Kolumbus zu Ende auszubrüten. [...]

[...] Mittlerweile geht alles drunter und drüber. Ich befinde mich in dostojewskischer Verzweiflung und verliere langsam den Glauben daran, dass dieses VONWEGEN jemals fertig werden wird. Während Roman und mittlerweile auch Desi Tag und Nacht am Layout rumschrauben, weil der Drucktermin gnadenlos näherrückt, erwische ich mich dabei, wie ich längst fertige Artikel verschlimmbessere. Wie kann sich etwas so Schönes auf einmal so schrecklich anfühlen? [...]

 

September 2016

[…] Heute haben Desi und ich uns wieder den Mund fusselig geredet, um die insgesamt 7.777 Exemplare unserer Erstausgabe quasi in allen Etablissements dieser Stadt und in jedem Tante Emma-Laden im Umkreis von 60 Kilometern zu platzieren. Jetzt bleibt uns nichts anderes mehr übrig als zu hoffen, dass dieses aus Liebe, Tränen, Schweiß und Herzblut entstandene Wunderwerk des Wahnsinns einschlagen möge wie ein Feuerwerk! […] 

[…] Weil es wesentlich ist zu fühlen, dass die Worte, die man schreibt, nicht ins Leere fallen, war der Höhepunkt des heutigen Tages definitiv der Moment, als ich die E-Mail von Timo S. öffnete und feststellte, dass er ein VONWEGEN-Abo abschließen will. Darüber war ich so entzückt, dass ich unserem allerersten Abonnenten ein lebenslanges Abo schenkte. […]

 

Oktober 2016

[…] Nachdem ich die halbe Nacht damit verbracht habe, teilweise echt krasser Musik zu lauschen, um mir ein paar halbwegs kluge Worte über die Musiker*innen auf dem Jazzfestival abzuringen, präsentierte mir Roman heute das dazugehörige Layout. Selbiges war ziemlich fancy, hatte aber aus Design-Gründen meinen unter großen Anstrengungen herausgepressten Text in die Unleserlichkeit verbannt. Stattdessen sprangen mir folgende Worte ins Auge: JAZZ MUSS MAN FÜHLEN. JAZZ KANN MAN NICHT LESEN. Wahrscheinlich hat Roman recht. Aber es tut trotzdem weh, auch wenn es wahr ist. […] 

 

November 2016

[…] Wer denn der supersexy Typ auf unserem zweiten Cover sei und ob ich seine Telefonnummer hätte? Ich weiß nicht, wie oft mir diese Frage in letzter Zeit gestellt worden ist. Auch wenn sie mich schon alleine deswegen nervt, weil ich die verdammte Nummer gar nicht habe, freut es mich doch sehr, dass all diese hübschen Frauen das VONWEGEN offensichtlich gründlich unter die Lupe genommen haben. […] 

 

März 2017

[…] Gestern Nacht wären Sarah und ich beinahe aus dem Deja rausgeflogen. Bevor es dann aufgrund unseres hochprozentigen Charmes doch nicht dazu gekommen ist, konnte ich mich davon überzeugen, dass meine neue Praktikantin aus Berlin nicht nur über eine spitze Zunge verfügt, sondern auch Zähne zeigen kann. Letztere brachte sie zum Einsatz, als sie einem aufdringlichen Verehrer an der Theke in die Schulter biss. Während wir heute unseren Kater auslaborierten, fiel ihr ein, dass sie früher ja auch mal zeichnen konnte, was sie sogleich unter Beweis stellte. Sagenhafte Sarah.

 

 April 2017

[…] Wir befinden uns mal wieder kurz vorm Druck im Arbeitslager der Endredaktion. Meine Nerven liegen blank und Roman macht wie immer, was er will. Keine Seite sieht so aus wie eine andere. Jede einzelne ist ein Design. „Latest shit“, würde  Romans Grafik-Dozent wahrscheinlich sagen. Meistens finde ich das ja auch total super, aber manchmal überkommt mich eben das Gefühl, als würde sein Design einen Krieg gegen meinen Text führen, obwohl die beiden doch auf der selben Seite stehen sollten. Als ich ihm vorschlug, den Text vielleicht einen Tucken größer zu machen, sah ich in seinem Blick, wie er innerlich ausrastete, und mir wurde klar, dass ich zwei böse Fehler begangen hatte: 1. Ich hatte sein Layout kritisiert und 2. Ich hatte den Tucken bemüht und dieses Wort hatten wir unter der Machtherrschaft unseres damaligen großen Meisters zur Genüge zu hören bekommen, während wir die Augen verdrehten. Mittlerweile glaube ich offensichtlich selber daran, dass ein Tucken wahre Wunder bewirken kann.  […] 

 

Juli 2017

[…] Weil Roman nach unserer 5. Ausgabe mit dem VONWEGEN Schluss gemacht hat, habe ich die letzten zwei Wochen schwerst betrübt vor mich hin vegetiert, bis die folgenden Worte meines guten Freundes Michael zu mir durchdrangen: „Du musst Dir jetzt erstmal die Kontrolle über Dein Magazin verschaffen und Dir von Roman die Indesign-Dokumente holen!“ Dieser Satz war der Schlüssel, der meinen Motor wieder zum Laufen brachte. Umso länger ich mich in den Indesign-Dokumenten verliere, desto mehr vermisse ich Roman und desto weniger kann ich verstehen, warum sich der Kick bei Mickys Entwürfen damals nicht eingestellt hat.   

[...] Weil ich keine weiteren Freundschaften mehr riskieren will, habe ich beschlossen, das Layouten einfach mal selber zu probieren. Dabei stellte ich fest, dass es nicht einfach ist. Aber es machte soviel Spaß, dass ich die Zeit vergaß. Mein ultimativer Plan: Wenn ich das frei gewordene Grafik-Budget in die Illustrationen freischaffender Künstler*innen investiere, werden ihre wundervollen Werke hoffentlich über mein gestalterisches Unwesen hinwegtrösten. [...] 

 

September 2017

[...] Die kleine Dosis, die gemäßigte Liebe und die halben Wahrheiten interessieren mich nicht. Ich will mit Worten auf glühenden Kohlen tanzen. In jeder Endredaktion tauche ich so tief aus der Welt ab und ins VONWEGEN ein, dass ich an nichts anderes mehr denken kann und zu nichts anderem mehr zu gebrauchen bin. Dabei sind Euphorie und Selbstzweifel meine ständigen Begleiter, die sich darin abwechseln, mich in den Wahnsinn zu treiben. Solange ich im Flow bin, fühlt es sich fantastisch an, stunden-, tage- und nächtelang am Rechner zu sitzen, aber wenn der Flow partout nicht kommen will und nichts von dem, was ich zustande bringe, gut genug zu sein scheint, gerate ich in einen kafkaesken Zustand und sterbe tausend Tode. Wie jetzt gerade. [...] 

 

November 2017

[...] Mittlerweile finden sich immer mehr begabte Autor*innen und Illustrator*innen wie durch Zauberhand in unserer Kleinraumredaktion ein. Jede*r einzelne ist ein Abenteuer für sich und lässt das VONWEGEN über sich hinauswachsen. Manche ziehen weiter, andere bleiben. Letztere haben Folgendes gemeinsam: Sie denken nicht nur mit dem Hirn, sondern auch mit dem Herz und verlieren nur selten den Humor aus den Augen.* [...]  

*Weil dieses Tagebuch und diese wundervollen Menschen, die darin eine wesentliche Rolle spielen, jeden Rahmen sprengen, folgt nun ein uneleganter Riesenzeitsprung in die Gegenwart ...

 

April 2021

[...] Als ich Charlotte vor fast zwei Jahren zum ersten Mal sah, tanzte sie auf der Party des Jahrhunderts bei aufgehender Sonne zu elektronischer Musik und sah aus wie ein elfenhaftes Wesen aus einer anderen Galaxie. Mittlerweile weiß ich, dass sie auch zaubern kann. Und damit meine ich nicht nur ihre bildhaften Texte, vielsagenden Illustrationen und mitreißenden Videos. Sie schafft es außerdem immer wieder, mich auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, wenn ich zwischen Euphorie und Selbstzweifeln mal wieder kurz vorm Durchdrehen bin. Sie ist das Yin zu meinem Yang und zusammen sind wir BORN TO BE VORN, wie Charlotti sagen würde. Deshalb will ich sie unbedingt fest anstellen, auch wenn wir noch nicht so genau wissen, wie das gehen soll. Jedenfalls brauchen wir dringend ein neues Büro, weil Charlotte in unser altes eingezogen ist. Unsere ultimative Idee: die VONWEGEN-Pop-up-Redaktion. Damit ziehen wir dann um und in die Häuser und hauchen leeren Läden in unserer sterbenden Innenstadt kulturelles Leben ein. Wir freuen uns schon, dann hautnah festzuhalten, wenn unsere schöne Stadt hoffentlich bald aus ihrem coronalen Schlaf in einem neuen Normal erwacht ... 

 

Mehr unzensierte Auszüge aus den Tagebüchern einer rasenden Reporterin findet Ihr in der 26. Ausgabe unseres heiß geliebten VONWEGEN-Magazins und hier.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 25. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im April 2021.

 

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