Rappen in Rosa

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„Klassenkampf und Kitsch” – so heißt das neue Album des Hamburger Rappers Disarstar und dieser Name ist eine treffende Inhaltsangabe. Die sprachlich und technisch grandios gerappten, radikal-romantischen, antifaschistischen Statements und gefühlvollen Selbsterkenntnisse des 26-jährigen Wortkünstlers gab es in der musa zu hören und zu sehen. Was Disarstar auf unsere Satzfetzen geantwortet hat, erfahrt Ihr hier und jetzt.

[Text: Charlotte Karnasch | Foto: Disarstar]

Wie verheißungsvoll ist es doch, wenn man in der reizüberfluteten Deutschrap-Szene etwas serviert bekommt, das tief geht  – ja dort berührt, wo es so richtig was auslöst, weil es ohne viel Bling-Bling durch die Oberfläche straight Richtung Herz und Hirn geht. Auch wenn die gewissenhaft gewählten und geschmeidig gerappten Worte des Rappers Gerrit Falius alias Disarstar mitunter weh tun, machen sie das aus einem Grund, der es allemal wert ist: Sie wollen etwas bewirken. Das hört man und das fühlt man vor allem. Eine eindringliche Stimme, die technisch grandios und mit lyrischer Raffinesse bedeutsame Inhalte auf geschmeidige Beats flowt, kann das seltene Gefühl echter und umfassender, musikalischer Befriedigung hinterlassen. Was uns der Hamburger Rapper bietet, ist alles andere als leichte Kost, aber ziemlich bereichernd, weil man die eigene geistige Muskulatur mal wieder kontrahieren lassen muss, um den vollen Umfang seiner Kunst zu begreifen – und nicht nur in intellektueller, sondern auch in emotionaler Hinsicht. 

Therapeutischer Rap versus linksradikale Politparolen 

Ein Blick auf das Cover seines neues Albums lässt Prinzessinnen und Waffennerds simultan ergriffen aufseufzen. In einem blassrosa Puppenhaus steht Disarstar im Schussfeld eines schaukelnden Mädchens, das mit einer pinken G36 von Heckler & Koch auf ihn zielt. Nicht nur die Aufmachung, sondern auch der Titel Klassenkampf und Kitsch verbindet diese zwei Seiten seines kreativen Schaffens: Knallharte Gesellschaftskritik und politische Statements versus tiefgehende, emotionale Sinnsuche und romantische Selbstbekenntnisse, denn dieser Rapper akzeptiert auch seine softeren Persönlichkeitsanteile. Die Gründe für seine oft düsteren Texte liegen in seiner Kindheit unter sozial schwierigen Bedingungen im Hamburger Viertel Sankt Pauli, aber auch in den Versuchen, sein energetisches Wesen mit Ritalin zu besänftigen und in seinen anschließenden Erfahrungen mit Drogen, Gewalt und Depressionen. Klar hinterlässt das Spuren und die prägen maßgeblich sein thematisches und musikalisches Profil. Aber all das hat ihn nicht zu einem ach so harten Goldkettchengangster gemacht. Schmerzliche Lebensabschnitte verarbeitet Disarstar in und zu Tracks. Mit All die Jahre legt er nicht nur tröstlich sich selbst, sondern auch den Hörer*innen den „Trumpf in die Hände”, wenn er rappt: „Auch wenn Du oft genug dachtest, hier geht's nicht weiter, hier wird es scheitern, war keiner der vielen Tiefpunkte das Ende.” Hoffnung hat er übrigens auch für die Gesellschaft, denn „Kapitalismus ist nicht das Ende”.

Wo andere Künstler dieses Genres rumeiern, nimmt der bekennende Marxist und Antifaschist politisch Haltung an und beschallt besonders das linke Ohr mit Songs wie Alice im Wunderland [eine schonungslose Abrechnung mit der AfD-Politikerin Alice Weidel]. Auf den ersten Blick scheint alles zu stimmen: Musikalisch extrem talentiert und alles andere als Nischensound, gut aussehend und die Inhalte seiner Aussagen treffen zielsicher Zeit, Geist und Herz. Nur der Durchbruch lässt auf sich warten.

Am aufsteigenden Ast hängen

Das soll sich jetzt ändern, denn Disarstar hat große Pläne und einiges zu sagen [sein nächstes Album ist schon in Arbeit], besonders wenn es um seine herzhaft extreme und auch fundierte politische Haltung geht. Die wirkt auch authentisch, denn, dass er genau weiß, wovon er redet, demonstriert er argumentativ wortgewaltig und offensichtlich bestens informiert in ausgedehnten, fachlich-fundierten Sprachergüssen in diversen Interviews. Für die deutsche Rapszene ist er wirklich eine Bereicherung. Übrigens auch für sein Plattenlabel, welches – man lese und staune – Warner Music heißt und bekanntermaßen zu den absoluten Giganten der weltweiten Musikindustrie zählt. So gab dieses unpassende Pärchen natürlich schon zuhauf Anlass für lautstarke „Doppelmoral”-Rufe und die sind auch berechtigt, denn Warner Music symbolisiert so einiges, wogegen der antikapitalistische Rapper eigentlich wettert. Er argumentiert hier mit dem Satz: „Man muss am System teilnehmen, um das System zu kritisieren.” Allerdings ist der seinige nicht der einzige Weg, um zu sagen, was einem auf den Geist geht und dabei trotzdem Massen zu erreichen. Das wissen wir von Künstler*innen, die Stellung beziehen und sich dabei selbst produzieren oder unter Vertrag sind bei alternativen Labeln, wie Audiolith. Ohne die Hintergründe der Vermarktung seiner Musik oder auch seines Werbeauftritt beim Zalando ähnlichen Modeverkäufer About You bewerten zu wollen, ist es dennoch ein Segen, dass Disarstar an diesem aufsteigenden Ast hängt. Da wird er nämlich gesehen und gehört und das am besten von ganz vielen, denn was er zu sagen hat, geht uns alle an. 

 

 

#ba372a; ">SATZFETZEN* mit #ba372a; ">Disarstar

Worte sind für Dich ... eine Waffe.

Etwas, das Dich ganz besonders inspiriert, ist ... Reisen. 

Glücklich warst Du das letzte Mal als ... ich auf der Bühne stand. 

Du möchtest Philosophie studieren, weil ... Philosophie das beste Mittel ist, sich die Welt zu erklären. 

Du sagst, Du bist politisch links, aber nicht in der linken Blase. Darunter verstehst Du ... ein Dogma, das Abseits der Mitte der Gesellschaft stattfindet. 

Du äußerst deutliche Kapitalismuskritik, bist aber gleichzeitig unter Vertrag beim Produktionsgiganten Warner Music. Das klingt widersprüchlich. Für Dich ist das ... kein Widerspruch. Ich möchte mein Leben frei gestalten. Dazu muss ich Geld verdienen, genau wie jeder andere auch. Der Zwang zur Teilnahme an diesem System ist Teil der Systemkritik.

In Deinem Song Dystopia fährst Du wartend und suchend mit dem Panzer durch Straßen. Dabei suchst Du nach ... Gelassenheit. 

Auf der Straße spricht Dich eine Frau an. Es ist Alice Weidel! Du sagst ... bitte lächeln. 

Und Du denkst ... Abschaum. 

Auf einer Skala von 1 [nicht vorhanden] bis 10 [pathologischer Narzissmus] liegt Dein Selbstvertrauen bei ... 7,439.

Und diese Zahl kommt zustande, weil ... mein Selbstvertrauen tagesformabhängig ist. 

Dass Du als Kind Ritalin genommen hast, veränderte Dein Leben insofern, als dass ... ich Psychopharmaka, außer wenn absolut nötig, ablehne. 

Wenn Du Texte schreibst, dann brauchst Du ... Zigaretten. 

Zwischen Deinem Debütalbum Kontraste und Deinem neuen Album Klassenkampf und Kitsch liegen viele Jahre. Im Vergleich der beiden veränderte sich besonders, dass ... ich viel weniger Stress und Druck beim Erarbeiten der Musik verspüre. 

In Deinen Songs gibst Du viel von Dir preis, womit man sich auch verletzlich macht. Deine Offenheit beschert Dir ... Offenheit im Tausch. 

Am Ende muss dringend noch gesagt werden, dass … ich mich für das Interview bedanke!

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 21. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im März 2020. 

 

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