Der #Hä? !-Duden

#Duden #Netzwerken

Vor allem im world wide web, aber auch im realen Leben kursieren so einige erfundene oder zweckentfremdete Begrifflichkeiten, die bei vielen Menschen Fragezeichen hervorrufen. Deshalb sorgt unsere Autorin und Illustratorin Sarah – nicht ganz ohne Zynismus – mit ihrem sich stetig erweiternden, fulminanten  #Hä? !-Duden für mehr Durchblick. 

[Text & Illustrationen: Sarah Elena Kirchmaier]

A

– Aesthetic, die [N., auch: #aesthetic ]: bedeutet auf Englisch eigentlich – wer hätte es gedacht! – das Selbe wie auf Deutsch, also Schönsinnigkeit. Im Internet wir es durch den Kommentar „my aesthetic!!1“ oft verwendet, um die eigene Zugehörigkeit zu apolitischen Eintags-Subkulturen zu demonstrieren, die sich hauptsächlich über unmögliche Looks definieren [siehe auch: Seapunk, Vaporwave, etc.].

 

B

– Bae, das [N.]: Als Abkürzung für den englischen Ausdruck „before anything else“, also „vor allem anderen“, bezeichnete dieser Begriff zunächst das Nonplusultra in vielerlei Hinsicht. Inzwischen sind diese drei Buchstaben jedoch aufgrund ihrer phonetischen und orthografischen Ähnlichkeit zu „Babe“ hauptsächlich als pseudo-cooler Kosenamen für Partner*innen in Gebrauch.

 

– @bestofkleinanzeigen1: Was lässt selbst diejenigen unter uns, die sich rühmen, eine besonders gute Kinderstube genossen zu haben, all ihre Manieren vergessen? Genau! Ein richtig geiles Schnäppchen. Und niemandem unter uns gewieften Sparfüchsen dürfte entgangen sein, dass man über Ebay Kleinanzeigen wohl alles, was das Herz begehrt und noch viel mehr, herbekommen kann. Dabei begeben sich im metaphorischen zwischenmenschlichen Gerangel leider oftmals nicht nur die Preise auf ein Wühltischniveau, auch der Anstand und die Eloquenz einiger Mitmenschen scheinen dabei verloren zu gehen. Sogar erfahrene Kleinanzeiger*innen, die glauben, wohl schon alles erlebt und gesehen zu haben, können durch diesen Account eines Besseren belehrt werden, während sich Knigge und Duden im Grab umdrehen. 

– @berlinclubmemes: Klingt zunächst zwar recht spezifisch und wenig #relatable für Menschen außerhalb Berlins, aber zahlreiche Drogen-Anspielungen und generelle Lustigkeit sorgen dafür, dass sich auch die Stubenhocker fernab der hauptstädtischen Technopaläste so fühlen können, als stünden sie seit fünf Stunden in der Schlange vor irgendeinem hippen Schuppen. Schließlich gibt es wenig Besseres, als sich der Schadenfreude gegenüber Menschen hinzugeben, die des Nachts lieber ihr Glück herausfordern, nur um dann letztendlich vielleicht doch abgewiesen zu werden, während man selbst  im Pyjama und mit zerzausten Haaren vor Netflix sitzt.

 

– @birdgraveyard: Dass der E-Scooter-Trend ein Vorbote der endzeitlichen Plagen ist, sollte wissenschaftlich anerkannt sein. Schließlich nerven die Dinger nicht nur – auf dem Fußgängerweg fahren sie regelmäßig fast Passanten um, auf dem Radweg benehmen sich ihre Fahrer*innen wie die letzten Arschlöcher, von der Straße fangen wir gar nicht an und wenn sie abgestellt werden, dann aus Prinzip möglichst bescheuert, sodass niemand dran vorbei kommt – sie vermitteln auch das Gefühl von Freiheit und Nachhaltigkeit, obwohl in ihren Akkus bedenkliches Lithium verbaut ist und sie bei normaler Nutzung sowieso nur zwischen 28 Tagen und drei Monaten halten. Diesem verblendeten Wir-sind-ja-alle-so-hip-und-frei-Phänomen versucht das @birdgraveyard-Profil ein bisschen entgegenzuwirken. „Bird“ ist ein bekannter Hersteller der Scooter und „Graveyard“ bedeutet Friedhof – wie der Name erahnen lässt, honoriert der Account all jene, die sich in Städten rund um die Welt gegen diesen Yuppie-Blödsinn wehren und aus Versehen – denn Vandalismus unterstützen wir schließlich keinesfalls – die blöden Teile umwerfen, treten oder Ähnliches. Das bloße Zusehen dabei hat eine ähnliche Wirkung wie Yoga.

– Bot [von Englisch „robot“ für Roboter]: Den Begriff hat wohl jede*r schon mal mehr oder minder bewusst wahrgenommen, die Gutgläubigeren, Pechvögel und technisch weniger Versierten unter uns sind ihnen vermutlich schon zum Opfer gefallen. Bots sind weniger niedlich als auf dem Beispielbild und physisch eigentlich nicht vorhanden, sondern vielmehr Computerprogramme, die dafür angelegt sind, selbstständig gewisse Aufgaben im Internet zu erfüllen. Das umfasst beispielsweise das Abgrasen vom im Internet aufgeführten Email-Adressen, um diese zu dubiosen Zwecken zu nutzen. Wie könnte es anders sein: Auch in den sozialen Netzwerken spielen Bots eine nicht unerhebliche Rolle. Accounts auf Twitter, die täuschend real wirken, haben oftmals zum Ziel, noch mehr Werbung ins Internet zu schleudern oder sogar die öffentliche Meinung durch eine verzerrte Darstellung von vermeintlichen Mehrheiten zu beeinflussen – so haben zum Beispiel sowohl Clinton als auch Trump sie im letzten Wahlkampf für ihre Zwecke genutzt. Doch die Programme werden auch zu weniger heiklen Zwecken verwendet, z. B. im Kundenservice, um mit echten Menschen zu kommunizieren, und das Instagram-Profil von →@lilmiquela beweist, dass auch Bots durchaus einen Unterhaltungswert besitzen können.

 

C

– @cheekyexploits: Instagram-Account der Stunde, verbindet er doch zwei Dinge, die alle Menschen mögen: hübsche Hintergründe und hübsche Hinterteile. Der Teil der Menschheit, dem es im Urlaub nicht genügt, wahlweise im Bikini am Strand oder in Jogginghose im Bungalow herumzulümmeln, macht sich frei, setzt seinen Po in Pose und hofft, auf einem von Hunderttausenden verfolgten Profil zu landen.

 

D

– Dickpic, das [N., Kunstwort aus dick für Schwanz und der Kurzform von picture für Bild]: Für aufmerksame Lesende unseres feinen Magazins ist dieses Phänomen kein neues Thema. Dennoch soll es ob seiner Abartigkeit auch hier nicht unerwähnt bleiben. Im Zeitalter hochauflösender Handykameras dürfte es jedermann ein Leichtes sein, ästhetisch zumindest halbwegs passable Bilder seines Gemächts an das Objekt der Begierde zu verschicken, doch die Realität sieht leider anders aus: Schlecht belichtete Fotos verkümmerter Cornichons landen zu Tausenden in den Inboxen der Angebeteten. Adrig, voller Schlonze und mit einer Behaarung, die jeden Vierzehnjährigen unter dem Bartflaum vor Neid erblassen ließe, hinterlassen sie häufig weniger Eindruck als gewünscht. Doch auch hier gibt es Hoffnung: Eine besonders gute Seele nimmt sich die Zeit, auf dem Blog critiquemydickpic.tumblr.com den Kronjuwelen zu einer besseren Inszenierung zu verhelfen. Einen Dickpic-Erfahrungsbericht findet Ihr hier.

 

– @deutschedings: Entfernt verwandt mit einem Account im letzten #Hä? !-Duden, der bedeutenden Persönlichkeiten der Bundesrepublik eine Bühne bietet [@deutschland.seine.promis], zeigt dieses Profil, dass sich unser Land auch sonst im internationalen Vergleich auf keinen Fall verstecken braucht. Angelehnt an aktuelle Trends und bedeutende kulturelle Errungenschaften, beweist dieses Instagram-Profil, dass es von allem eine deutsche Version gibt, man muss nur lange genug darüber nachdenken und ein bisschen kreativ sein. Allerdings muss man dann [Änderungen hier, weil ganz oft „wenn“ verwendet] die eigene Kartoffeligkeit auch aushalten können, zieht man sich diesen Account rein, denn gewisse deutsche Idiosynkrasien fallen einem erst auf, wenn man sie aufgezeigt bekommt und sich dann ein bisschen schämt – aber das ist es wert. Denn Hand auf's Herz: Wer braucht schon Sojasauce, wenn er Maggi haben kann?

– @deutschland.seine.promis: Aufgehender Stern und zugleich Lichtblick am Horizont des Instagram-Firmaments. Dass man auf unserer aller Lieblings-Social-Media-App vor lauter Möchtegern-Models und Pseudo-Promis die wahren Stars nicht mehr sieht, ist tief betrüblich. Doch dieser Account schafft es, dem Influencer-Treiben Einhalt zu gebieten und versammelt auf seiner Seite die absoluten Glanzmomente der deutschen Avantgarde. Wer Großes für unser wunderschönes Heimatland geleistet hat und uns allen ein Vorbild war, findet sich hier bildlich verewigt und mit einer absolut zutreffenden Bildunterschrift versehen. Auf dass die Höhepunkte deutscher Kultur niemals in Vergessenheit geraten! *gröhl*

 

E

– E-Girl, das: Nein, dabei handelt es sich nicht etwa um einen → Bot, der einsamen Seelen ein bisschen Nähe vorgaukeln soll – ein E-Girl [von engl. „electronic“ für elektronisch und „girl“ für Mädchen] ist die Vertreterin einer neuen Subkultur, welche zwar aus Fleisch und Blut besteht, die man aber im echten Leben kaum zu Gesicht bekommt, da ihr Look wenig alltagstauglich daherkommt. Dafür sind die jungen Damen auf → Instagram, → TikTok und anderen sozialen Medien umso präsenter, wo sie fleißig Bilder und Videos teilen. Die entsprechende Kostümierung orientiert sich an der Ästhetik verschiedener anderer Subkulturen [wie Goth oder der Anime-Szene] und fällt zumeist sehr, sehr knapp, das zugehörige Make-Up mit überlangem Eyeliner, Rouge auf der Nase und aufgemalten Sommersprossen dafür umso üppiger aus. Dabei wollen die E-Girls an das Klischee des Schulmädchens erinnern und scheuen auch nicht davor zurück, sich expliziter Gesichtsausdrücke aus der japanischen Pornografie zu bedienen. Dass viele von ihnen tatsächlich noch die Schulbank drücken, macht das Phänomen umso fragwürdiger. Ein männliches Pendant gibt es übrigens auch: Wie scharfe Denker schon ahnen werden, handelt es sich um den E-Boy, der aber deutlich weniger provokant daherkommt und sich außer durch Pseudo-Tiefsinnigkeit, Kapuzenpullis und hübsches Haar durch recht wenig auszeichnet.

 

– Emoji, das [N.]: Dass dieser Begriff hier erklärt wird, dürfte für die Generation Snapchat rückständig und wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten scheinen – aber sei’s drum: Emojis sind klitzekleine Bilder, die nach eigenem Gusto in digital verschickte Nachrichten eingebaut werden können. Im Gegensatz zu den früher gebräuchlichen Punkt-Punkt-Komma-Strich-Smileys haben die Emojis einen deutlich größeren Bedeutungshorizont, da von lesbischen Pärchen über japanischen Grüntee bis hin zu Einhörner graphisch alles vertreten ist.

 

F

– Flatearther, die [N., pl., von flat für flach und earth für Erde, auch: Flat Earth Society]: besonders debile Exemplare unter den Verschwörungstheoretikern. Wie sich an ihrem Namen unschwer erkennen lässt, glauben Flatearther im 21. Jahrhundert noch immer ernsthaft daran, dass die Erde eine Scheibe sei und wir uns im Zentrum des Universums befänden – von der natürlich sowieso gefakten Mondlandung ganz abgesehen. Bestehend aus Vollhonks und religiösen Fanatikern, die am liebsten wohl noch zu biblischen Zeiten leben würde, bekommt diese irre Gruppierung Dank Facebook, Twitter und Co unbegreiflicherweise seit kurzer Zeit wieder mehr Zulauf.

– 4/20, [ausgesprochen four-twenty]: ein eher nicht-so-geheimes Codewort innerhalb der Cannabis-Szene, das aus dem amerikanischen Raum stammt. Bezog sich zunächst auf die Uhrzeit 16:20, aber auch das Datum des 20. Aprils. Erstere wurde als sozial akzeptable Uhrzeit, sich die erste Tüte anzuzünden, deklariert. Letzteres ist der inoffizielle Feiertag aller Stoner, an welchem sich in den USA seit Jahrzehnten und mittlerweile auch hierzulande Menschen im öffentlichen Raum treffen, um gemeinsam den Cannabis-Konsum zu zelebrieren. Im weitesten Sinne wird 4/20 inzwischen aber auch als Umschreibung für’s Kiffen im Allgemeinen verwendet.

 

– Fuckboy, der [N.].: Alle kennen ihn, keiner mag ihn. Der Fuckboy ist zwar kein exklusives Online-Phänomen, das word wide web und Dating-Platformen im Besonderen sind aber dennoch das präferierte Jagdgebiet jenes tristen Auswuchses der menschlichen Rasse. Grenzdebil und kognitiv eingeschränkt anmutend, scheint er soziale Normen völlig zu ignorieren und es für durchaus akzeptabel zu halten, Gespräche im Netz ohne Grußwort und mit einem eloquenten „Geile Titten!!!1“ oder „Bock zu ficken?“ einzuleiten. Weitere kognitive Begrenzungen werden spätestens dann offenkundig, wenn seine Gesprächspartnerin gar nicht oder mit einem simplen „Nein“ antwortet – dieser Terminus ist nämlich leider nicht im Wortschatz des gemeinen Fuckboys vertreten.

 

– Furry [N., der, von engl. furry = pelzig]: Bezeichnet eine weitere recht befremdliche – aber harmlose – Subkultur und meint Menschen, die sich mit anthropomorphisierten Tieren identifizieren [sogenannte Fursonas]. Neben der künstlerischen Darstellung seiner pelzigen Projektionsfläche frönt der Furry unter Anderem gerne dem Design ausgefeilter Kostüme [auch Fursuits genannt], Rollenspielen in der virtuellen wie der realen Welt und dem Besuchen von Conventions. Für manche Furries hat das doch recht spezielle Hobby auch einen sexuellen Aspekt, wodurch das Dissen dieser Gruppierung so eine Art Volkssport im Internet wurde. Naja. Jedem Tierchen sein Pläsierchen.

 

G

– Ghosten, das [N., auch: Ghosting, von ghost für Geist]: Vermutlich die einzig effektive Methode gegen Fuckboys. Denn dieser Begriff bedeutet, dass alle Kommunikation [sowohl online wie auch im echten Leben] ohne vorherige Ankündigung eingestellt wird. Das ist zwar weder die effektivste noch die erwachsenste Methode, zwischenmenschliche Beziehungen auf Eis zu legen, aber für Menschen, die glauben, dass sich Probleme mit genug Geduld von selbst lösen, durchaus die angenehmste.

 

H

– Hashtag: #, der/das [N., zusammengesetzt aus hash für das Doppelkreuz und tag für Markierung]: Wurde ursprünglich etabliert, um in den sozialen Netzwerken bestimmte Beiträge schneller auffindbar zu machen, indem man ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten #Thema kennzeichnet. Natürlich schlug das innerhalb kürzester Zeit in ein effektives Mittel um, die eigene Internet-Persona zu bewerben [prominentes Beispiel: #likeforlike , weil „Gefällt mir“-Angaben offensichtlich schon lange nicht mehr bedeuten müssen, dass man etwas oder jemanden wirklich mag]. Daher ist der Hashtag mittlerweile  auch als ironisches Stilmittel in Gebrauch.

 

I

– Incel [N., der; Neologismus von engl. involutarilyfür unfreiwillig und celibatefür sexuell abstinent]: Ist die wohl abartigste Subkultur, die das Internet seit seiner Entstehung zustande gebracht hat. Entsprungen aus einem Subreddit, das inzwischen geschlossen wurde, beschwert sich dieser Abschaum beständig darüber, nicht flach gelegt zu werden, ohne jemals die eigenen Verhaltensmuster zu hinterfragen. Frauen bezeichnen sie nur alsfemoids (Kunstwort aus femalefür weiblich und humanoid, impliziert also, Frauen seien irgendwie nur menschenähnlich) und glauben fest daran, dass diese ihnen Sex schuldeten, zu dessen Einforderung sie notfalls auch vor Gewalt nicht zurückschrecken würden. Incels kommen aber auch auf besonders bescheuerte Ideen wie die Legalisierung von Sex mit kürzlich verstorbenen Frauen, da hierbei ja keiner zu Schaden käme. Insgesamt einfach widerlich.

– Instagram: Leser*innen, die sich selbst als hip empfinden, werden an dieser Stelle nur müde mit den Augen rollen und sich fragen, wer auf dieser Welt denn bitteschön nicht weiß, was es mit Instagram auf sich hat. Ihnen sei gesagt, dass es unvorstellbarerweise tatsächlich Leute gibt, für die es wichtigere Dinge gibt, als die fotogenste Avocado zu ergattern, um anschließend ein Bild von dieser hochzuladen. Für alle anderen: Instagram ist eine App [und Website], über die man Bilder aus dem eigenen Leben hochladen kann, um sie seinen Followern zu präsentieren. Natürlich perfekt, um die Fremdwahrnehmung vom eigenen Leben nach oben zu korrigieren und möglichst viel über die Menschen, die man nicht direkt fragen möchte, herauszufinden.

 

J

– Japan, History of [N.]: Beliebtes Youtube-Video, das wohl den derzeitigen Stand des Internethumors wie kein anderes verkörpert. Im Video wird die lange und nicht ganz einfache Geschichte Japans auf absurd-humoristische Weise, wie zum Beispiel durch gewollt plumpe Animationen oder schreckliche PowerPoint-Effekte, erklärt. Der Informationsgehalt des Videos ist dennoch beachtlich – und trägt nur noch mehr zu dessen Witz bei. Anzusehen ist das Ganze auf youtu.be/Mh5LY4Mz15o.

 

K

– Kittenfishing, das [N., von kitten für Kätzchen und fishing für Angeln]: bezeichnet die kleine, ähnlich fiese Schwester des Catfishing – also des „Angelns“ von Dating-Partnern auf Online-Plattformen oder Apps mit fremdem [hübscherem] Bildmaterial. Kittenfishing hingegen bedient sich des eigenen Selfie-Repertoires – auch wenn man dafür tief in den Archiven buddeln muss. Bilder, die einen in postpubertärer Blüte zeigen und mit dem aktuellen Ich des*der Postenden, ob des enormen Zeitunterschiedes, optisch nur noch wenig gemein haben, ziehen in der oberflächlichen Online-Welt natürlich viel eher als Nahaufnahmen der ersten Fältchen, Geheimratsecken oder des erschlaffenden Dekolletés. Kittenfishing dient, wie so vieles im Internet, dem Ausradieren eigener,  vermeintlicher Fehler auf Kosten der Glaubwürdigkeit und fliegt spätestens beim ersten Date eh auf. 

 

#KylieJennerChallenge , die [N.]: Für Internet-Verhältnisse zwar schon ein uralter Hut – zwei Jahre ist das schon her! – aber an Irrwitzigkeit unübertroffen: Im Frühjahr 2015 brach ein Hype um die Lippen von Kylie Jenner, ihres Zeichens Reality-TV-Star und ungekrönte Prinzessin der sozialen Medien, aus. Irgendwie verständlich, denn das Nesthäkchen der millionenschweren Kardashian-Dynastie hatte scheinbar über Nacht ihr Schmollmundvolumen vervierfacht – was Tausende und Abertausende von Teenagern veranlasste, es ihr gleich zu tun. Nur irgendwie doof, dass Letztere lediglich zum allerkleinsten Teil genug Taschengeld bekamen, um sich das Schlauchboot im Gesicht mit plastischer Chirurgie zu finanzieren. Da Not bekanntlich erfinderisch macht, saugten Kylies Altersgenossen dann also bis zur Schmerzgrenze an Flaschen, um ihre Lippen optisch zu boosten. Die Folgen: Weltweit liefen Hunderte von Kids tagelang mit blauen Flecken und Wunden um die Mundpartie herum. Blöd, aber wohl immer noch besser als eine verkackte OP.

 

L

– lit [Adj., wörtlich: angezündet]: Neben seiner wörtlichen Bedeutung ist „lit“ im Englischen eigentlich ein Slangwort für berauscht. Das Wort wandelte sich in der letzten Zeit zu einer Bezeichnung für allerlei spaßige und kurzweilige Aktivitäten hin – unter anderem sind Parties häufig „lit“.

 

– @lilmiquela: Von sogenannten Influencern kann man halten, was man möchte – im besten Falle natürlich nichts – aber es gibt tatsächlich auch in diesem zweifelhaften Geschäftsfeld interessante Ausnahmen. Lil Miquela, ihres Zeichens Instagram-Model, Sängerin und It-Girl, ist deutlich spannender als ihre Kolleginnen, obwohl ihre Karriere ebenfalls nur daraus besteht, Bilder von exotischen Urlauben oder Selfies mit lachhaft teuren Gesichtsmasken für ihre fast zwei Millionen Follower zu posten. Der Grund? Die halbbrasilianische Kalifornierin gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Zumindest nicht so richtig. Miquela Sousa, wie sie mit vollem Namen heißt, ist rein virtueller Natur, ein Avatar, möglicherweise ein Kunstprojekt – so genau weiß das niemand – das uns auf richtig abgefuckte Weise den digitalen Spiegel vorhält. Wie ihre erfolgreichen Berufsgenossinnen postet auch sie Texte, die mal witzig und mal pseudo-tiefsinnig sind, unter Bilder, auf denen sie mit perfekter Haut, perfekten Klamotten und dem perfekten Gesichtsausdruck an einem perfekten Ort steht. Als eigens zu diesem Zweck entworfenes Programm kann sie das natürlich besonders gut, wirft so aber auch die Frage auf, ob Influencer*innen aus Fleisch und Blut, die uns ebenfalls nur die schönsten [gestellten] Häppchen ihres Lebens präsentieren, nicht auch eher wie Roboter als wirklich menschlich funktionieren. 

PS: In diesem Zusammenhang empfehlen wir unser eigenes  Instagram-Profil [instagram.com/vonwegenverlag]: von richtigen Menschen für richtige Menschen. 

 

M

– Meme, die [N.]: Hierbei handelt es sich um ein kaum zu erklärendes Internetphänomen, das wohl genau aus dieser Tatsache seinen Reiz bezieht. Bilder in Kombination mit Text, welche immer nach einem bestimmten Schema aufgebaut sind, bilden den Ursprung der Memes. Inzwischen meint der Begriff auch anders geartete, sich inner- und außerhalb einer Community wiederholende Witze (beispielsweise in reiner Textform oder im Videoformat), welche in unserem kulturellen Kurzzeitgedächtnis zu einer Art Archetyp des Humors wurden.

 

N

– netflix and chill [V.]: das Briefmarkensammlung-Zeigen des gegenwärtigen Jahrtausends. Zur Film- und Entspannungssession wird nur anstandshalber geladen – sowohl Gast wie auch Gastgeber*in wissen insgeheim, dass man sich wohl viel eher auf einen Abend der körperlichen Ertüchtigung einstellen sollte.

 

O

– on fleek [Adj., auch: on point]: Unübersetzbares Internetsprech-Kompliment-Wort. Wird unerklärlicherweise überproportional häufig für beeindruckend schöne Augenbrauen verwendet, kann sich aber auch auf Frisuren, Make-Up oder Klamotten beziehen. Zumeist benutzt von Menschen, deren sozialmediale Präsenz ihnen wichtiger sind als ihre Familie, ihr Job und ihre Freunde zusammen.

 

– OK Boomer: Der Ursprung dieses gleichsam simplen wie süchtig machenden Satzes liegt im Obskuren, Fakt ist jedoch, dass er sich seit Herbst letzten Jahres wachsender Beliebtheit erfreut und seinen Siegeszug als Internet-Meme und Reaktion auf veraltete Ansichten weiter fortsetzt. Zum ersten Mal in einem öffentlichen Kontext gebraucht wurde die Phrase von der neuseeländischen Politikern Chlöe Swarbrick, welche im Parlament eine Rede über den Klimawandel hielt und dabei von einem älteren Kollegen unterbrochen wurde: „Boomer“ bezieht sich auf die Generation der Babyboomer, also auf die Menschen, welche in der Nachkriegszeit bis Mitte der 1960er Jahren geboren wurden. Da einige Vertreter dieser Altersgruppe [aller Gegenbeweise zum Trotz] nicht müde werden, die jüngeren Mitglieder der Gesellschaft als faul oder uninformiert abzutun, während sie selbst an engstirnigen und überholten Meinungen festhalten, scheint die Erfolgsgeschichte dieses Satzes mehr als nur gerechtfertigt. 

P

– plandid [Adj., Kunstwort aus „candid“ für ungestellt und „planned“ für geplant]: Bezeichnung für jene Kunstform, die von der Generation Y perfektioniert wurde. Bedeutet bis zum letzten Detail durchkomponierte, aber ungepost aussehende Fotos. Beliebte Kulissen sind unter anderem Hipster-Cafés, Graffiti-Wände und Badestrände.

 

Q

– quality content, der [N.]: Beschreibt digitale Inhalte höchster Güteklasse – glaubt zumindest deren Ersteller*in. Da es bislang leider [oder Gott sei Dank] noch kein System gibt, den Wertgehalt von Instagrambildern o.Ä. objektiv und zuverlässig zu bestimmen, kann ein*e jede*r sich einreden, die eigene Onlinepräsenz sei der absolute quality content.

 

R

– Resting Bitch Face, das [N., frei übersetzt etwa Ruhendes Zicken/Schlampen-Gesicht]: Das RBF beschreibt Gesichtszüge, die auch im entspannten Zustand immer latent angepisst wirken, mimisch laut „Sprich mich bloß nicht an“ rufen und ist meist durch einen Schmollmund sowie einen eisigen Blick gekennzeichnet. Gilt ironischerweise trotz des pejorativen und misogynen Untertons für viele Mädels als erstrebenswert – anders hat frau wohl auch keine Ruhe vor übergriffigen Idioten, für die Privatsphäre ein Fremdwort ist.

 

– reaction image, das [N., etwa: Reaktionsbilder]: Die Weiterentwicklung der Emojis. Normalerweise animierte Bilder, die den momentanen Gemütszustand des oder der Absender*in ausdrücken sollen, ohne dass diese*r diese lang und breit in Worte fassen muss. Oftmals abgebildet wird die Gesichtsakrobatik popkultureller Figuren.

 

S

– Seapunk [N., auch Adj.]: Hat eigentlich so rein gar nichts mit herkömmlichem Punk zu tun und ist – wie die meisten im Internet geborenen Subkulturen – sowieso viel eher auf Erscheinungsbild als auf Musik fixiert. Soll heißen: Teenager mit blaugrüntürkisgefärbten Haaren und bombenfestem Make-Up stellen eifrig Blogs mit animierten sinnlos-Delfin-Bildern, die bei längerer Betrachtung einfach Epilepsie verursachen müssen, zusammen und warten auf Likes ihrer ebenso geistreichen Cyberfreunde.

 

– Simp, der: Trotz der klanglichen Verwandtschaft zum Pimp [engl. für Zuhälter, auch im übertragenen Sinne verwendet] handelt es sich bei diesem männlichen Vertreter der menschlichen Rasse um dessen genaues Gegenteil. Während der eine sich vor Frauen – zumindest in der Klischeevorstellung  – kaum retten kann, hetzt der andere diesen hinterher und kommt doch nicht zum Zug. Das mag daran liegen, dass ein Simp seinem Subjekt der Begierde zumeist monetäre Gefälligkeiten zukommen lässt, um die Angebetete für sich zu gewinnen, dabei aber null emotionale Intelligenz besitzt. Man möchte fast Mitleid mit diesem armen Würstchen haben, wären das obsessive Verhalten und der Grundgedanke, dass Gefühle käuflich seien, nicht dermaßen abstoßend, dass man davonlaufen möchte.

 

T

#tbt [Abkürzung für Throwback Thursday, etwa: Rückblicks-Donnerstag]: Dieser Hashtag wird meist dafür verwendet, im Internet verhältnismäßig betagte Bilder zu posten. Wunderbar, um sich auf hippe Weise in Nostalgie zu suhlen.

 

– TikTok: Die nicht-mehr-ganz-so-neue Trend-App, um die man aber kaum mehr herumkommt – sofern man am Peter-Pan-Syndrom leidet und sich beharrlich weigert, erwachsen zu werden. Denn dominiert wird sie von Teenagern und ist die Wiege aller möglichen Online-Trends und → Memes. Ziel der Platform ist es, kurze Videos von drei Sekunden bis hin zu wenigen Minuten zu produzieren, die möglichst viele Ansichten generieren sollen. Dem Ganzen liegt das bekannte Prinzip zugrunde: Folgen, Kommentieren, Liken, Sharen. Begonnen hat alles mit kurzen Clips, in denen die Nutzer*innen Lipsynching zu ihren Lieblingssongs performen, doch inzwischen werden auch andere Schienen bedient. Was der Großteil dieser Kurzvideos gemeinsam hat, ist der komödiantische bis sarkastische Unterton. Zugegebenermaßen: Da man der Jungend auf keinen Fall Kreativität und fehlenden Humor vorwerfen kann, lohnt sich auch für Leute diesseits der Volljährigkeit ein Blick in diese App.

 

– Trigger Warning (N.; von Englisch Triggerfür Abzug und warningfür Warnung, abgekürzt auch tw): Wird hauptsächlich dazu verwendet, Internetinhalte mit sensiblen Inhalten zu kennzeichnen, welche den*die Konsument*in triggern –also Gedankenprozesse in Gang setzen, welche ihm*ihr Flashbacks in traumatische Situationen verpassen. Markiert wurden damit zunächst alle möglichen -ismen, um marginalisierte Gruppierungen nicht noch weiter zu verstören. Ob der Unfähigkeit mancher Identitätspolitiker*innen, sich selbst auch mal nicht zu ernst zu nehmen und Kritik zuzulassen, wird der Begriff heute aber mitunter auch ironisch bis abwertend verwendet.

 

U

– UwU: Ursprünglich ein Smiley, der an einen in Animes gängigen Gesichtsausdruck angelehnt ist [Obacht, für Menschen, die keine –>Weeaboos sind, ist ganz viel Fantasie vonnöten, um überhaupt irgendwas zu erkennen!]. Innerhalb der letzten Jahre jedoch vorrangig als Stilmittel verwendet, um blauäugige Weltanschauungen ins Lächerliche zu ziehen.

 

V

– Vaguepost, der [N.]: Begriff, der Posts auf den sozialen Plattformen bezeichnet, die bewusst schwammig gehalten werden, aber dennoch relativ deutlich auf eine bestimmte Person[engruppe] abzielen. Quasi also der kleine, moderne Bruder vom passiv-aggressiven Post-It-Zettel über der Spüle, der die Mitbewohner*innen freundlichst zum „Spülen :)“ auffordert.

 

W

– Weeaboo, der [N.]: Leicht bis extrem abwertende Bezeichnung für nicht aus Fernost stammende Menschen, welche sich dennoch unkritischst über jedes kleine Stückchen japanische Kultur hermachen und diese zu ihren Götzen erheben. Geht normalerweise mit der Ablehnung der eigenen Nationalität und Ethnie einher. Das natürliche Umfeld des gemeinen Weeaboos sind leere Pfandflaschen und Pizzakartons in einem abgedunkelten Zimmer des Elternhauses. Riecht außerdem zumeist leicht bis extrem nach Schweiß.

 

X

– XXX: Einerseits eine Art, pornografisches Material zum umschreiben und andererseits eine Abkürzung für „Straight Edge“, eine in den 80er Jahren entstandenen Subkultur, die den Drogen, dem Alkohol und, ja, auch dem Herumvögeln abschwört. Irgendwie ironisch also.

 

Y

– „Your fave is problematic“ [etwa: Dein Liebling ist problematisch]: Lieblingsausspruch all jener, die es um’s Verrecken nicht lassen können, anderen Menschen den Spaß an alltäglichen Dingen zu nehmen. Bezieht sich auf die präferierte [berühmte] Person der oder des Angesprochenen und meint, dass diese sich in der Vergangenheit irgendwann einmal etwas erlaubt hat, das man politisch inkorrekt nennen müsste – wie so ziemlich jede*r, wenn man tief genug gräbt.

 

Z

– Zoom: Die andere App, um die man momentan nicht herumkommt – besonders, wenn man dem TikTok-Alter entwachsen ist. Dass man darüber wunderbar für alle Beteiligten unangenehme Meetings abhalten kann, dürften inzwischen die meisten von uns am eigenen Leib erfahren haben. Dass das Video-Konferenz-Programm auch massenhaft ungewollt lustige Momente für die Ewigkeit produziert, ist weniger bekannt. So zum Beispiel hat sich im letzten Jahr ein Streich namens Zoom Kidnappings unter Schüler*innen und Studierenden großer Beliebtheit erfreut. Personen, die am Online-Unterricht teilnehmen, werden auf höchst einfallsreiche und unterhaltsame Weise von ihren Mitbewohner*innen daran gehindert, dass sie weiter an den Vorlesungen teilnehmen müssen:  Als Kriminelle verkleidet entführten diese nämlich das vermeintliche Opfer. Doch damit nicht genug der witzigen Zoom-Momente: Nachdem sich der Begriff zumping entwickelt hat [ein Kofferwort aus dem Namen der App und engl. „dumping“ für sich trennen; bezeichnet das Schlussmachen via Videocall] und ein renommierter Journalist bei vermeintlich abgestellter Kamera masturbierte und anschließend gefeuert wurde, ist Zoom diesen Monat erst mit dem wahren Sinn des Internets verschmolzen: Katzen. Der Vorfall, bekannt als Zoom Cat Lawyer [zu deutsch etwa: Zoom-Katzen-Anwalt], dürfte wohl in die Geschichte des Internets eingehen. Bei einer offiziellen Gerichtsanhörung geriet ein texanischer Anwalt schier in Verzweiflung, weil er bei der Konferenz einen Gesichtsfilter, der ihn als kleines Kätzchen auftreten ließ, ums Verrecken nicht abstellen konnte. Was für die Beteiligten ziemlich irritierend bis nervtötend gewesen sein dürfte, ist dafür ein Segen für das gesamte Internet.

 

– zucked [Adj.]: Bezeichnet das Gesperrtwerden auf Facebook aufgrund von vermeintlichem oder tatsächlichem Fehlverhalten im Internet. Leitet sich vom Namen des Gründers der Plattform, Mark Zuckerberg, ab. Recht willkürlicher und undurchsichtiger Mechanismus, aber was soll’s. Gibt hoffentlich Wichtigeres.

 

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