Die fünfte Gewalt

#Macht+Protest #Netzwerken

Viele Menschen fragen sich, warum die Massentier­haltung trotz BSE, Gammelfleisch-Skandal und Anti­biotika-Desaster weiterhin genauso betrieben wird wie zuvor. Andere reiben sich ungläubig sie Augen, weil das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat trotz seiner krebserregenden Wirkung noch weitere fünf Jahre erlaubt ist. Und kaum jemand versteht, wieso die Automobilindustrie anlässlich ihrer Abgas-Skandale nicht mal so richtig einen auf den Deckel bekommt. Die Antwort lautet: Lobbyismus. 

[Text: Vanessa Pegel & André Grube | Illustration: Sören Pawlik]

Nun werden sich möglicherweise einige Leser*innen noch dazu fragen, was dieser Lobbyismus denn eigentlich sein soll. Und das ist völlig verständlich, spielt er sich doch oftmals im Hintergrund ab. Eine Lobby ist eine Interessengruppe. Ihre Mission ist die Vertretung von Interessen einzelner Personen oder Personengruppen gegenüber der Gesellschaft und dem Staat. 

Sind wir nicht alle ein bisschen Lobbyist?

In Anbetracht der Tatsache, dass jeder Mensch bestimmte Interessen verfolgt und es in seiner Natur liegt, sich mit Gleichgesinnten zu vereinen, um gemeinsam etwas zu erreichen, steckt wahrscheinlich in vielen von uns ein kleiner Lobbyist. Manche gehen für mehr Gerechtigkeit oder gegen Nazis demonstrieren, einige engagieren sich in Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch für die Menschenrechte und andere kämpfen bei Fossil Free für unsere Umwelt [siehe dazu auch Seite 13], um nur ein paar Beispiele zu nennen. Diese, wir nennen sie mal,  „altruistischen Lobbyist*innenen“, von denen sich viele wahrscheinlich eher als Aktivist*innen betrachten, zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich uneigennützig und meistens mit Herzblut für etwas oder jemanden einsetzen. Darüber hinaus gibt es allerdings auch noch die, wir nennen sie mal, „egoistische Lobbyisten“,  wie z. B. einige große Unternehmen und Konzerne sowie ihre Interessenvereinigungen und -vertreter, die nur ihren eigenen Profit im Blick haben. Um ihre Interessen durchzusetzen, versuchen sowohl die altruistischen als auch die egoistischen Lobbyisten politische Entscheidungen in bestimmte Richtungen zu lenken, indem sie auf die Legislative und die Exekutive – also die gesetzbeschließende und die vollziehende Gewalt des Staates – Einfluss nehmen. Neben der Judikativen als dritte Staatsgewalt und den Medien als „vierte Gewalt“ führen der Journalist Thomas Leif und der Politologe Rudolf Speth Lobbyismus daher als „fünfte Gewalt“ an. So gesehen könnte man Lobbyismus als demokratische Form der Interessenvertretung gegenüber der Staatsgewalt im Sinne der Allgemeinheit beschreiben, wenn da nicht ein Haken wäre: „Lobbyismus gehört zur Demokratie, doch die Waffen sind ungleich verteilt: Einfluss haben zu oft diejenigen, die ihn sich leisten können“, so Imke Dierßen, die politische Geschäftsführerin von LobbyControl. Und damit sind wir bereits beim Pudels Kern: „In Brüssel und Berlin arbeiten tausende Lobbyisten daran, Gesetze im Sinne ihrer Auftraggeber zu beeinflussen. Finanzkräftige und mächtige Akteure sind dabei im Vorteil. Sie können Siftungen gründen, Universitäten sponsern, Studien in Auftrag geben, teure Werbekampagnen starten und natürlich auch gut ausgebildetes und bestens vernetztes Lobby-Personal einkaufen“, schreibt Imke Dierßen in einem Gastbeitrag im Spiegel.  Damit man sich als Politiker*in von seinen Lobbyisten-Homies zumindest keinen Unsinn erzählen lässt, gibt es ein gutes Gegenmittel: die eigene, ungefärbte Informiertheit. Deshalb ist es umso wichtiger, dass Abgeordnetenbüros mit genügend wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, Parlamente mit eigenen wissenschaftlichen Diensten und Behörden mit Fachbeamt*innen ausgestattet sind. In der Realität sieht es leider anders aus, wie die Verteilung von sogenannten „Hausausweisen“ des Deutschen Bundestages vermuten lässt: 2017 standen den 630 Bundestagsabgeordneten 706 Lobbyisten mit Bundestagsausweis gegenüber. 

How to be a Lobbyist

Der Lobbyist ist nicht nur ein Spezialist in seinem Fachgebiet, sondern auch ein Netzwerker par excellence, der seine Finger am besten überall im Spiel hat. Er kennt die richtigen Leute, weiß über alles Bescheid, mischt ganz oben mit, geht im Bundestag ein und aus, und betreibt Beziehungspflege mit Entscheidungsträgern. So kann er „seine Freunde“ in der Regierung in seinem Sinne informieren und gegebenenfalls Abänderungsvorschläge für Gesetze an sie herantragen oder seine Interessen in maßgeblichen Gremien als Politikberatung platzieren. Viele Abgeordnete sind ihm für seine Expertise überaus dankbar, bedenkt man doch, dass Politiker in dichter Abfolge weitreichende Entscheidungen treffen müssen und sich das dazu notwendige Fachwissen schließlich irgendwie aneignen müssen! Einen weiteren dankbaren Abnehmer findet er in vielen Massenmedien, die er mit seinen Presseerklärungen und – manchmal auch undercover – mit Leserbriefen versorgt. So nimmt der Lobbyist, der zum Beispiel in Unternehmens- oder Arbeitgeberverbänden, in Gewerkschaften, in der Kirche, in Nichtregierungsorganisationen sowie anderen Verbänden und Vereinen organisiert ist, gezielt Einfluss auf den politischen Meinungsbildungsprozess.

An die Waffen

Um Einfluss zu nehmen, muss man sich zu allererst Gehör verschaffen und dazu rückt man am besten in geballter Ladung an – und spätestens hier geht die ungerechte Verteilung der Waffen los. Während altruistische Lobbyvereine meistens knapp bei Kasse sind und den politischen Entscheidungsträgern lediglich ihre Expertise – also vernünftige Ratschläge – zu bieten haben, verfügen die egoistischen Lobbyisten über ein viel größeres Repertoire, um an den Strippen zu ziehen. In diesem Sinne hat allein die Finanzindus­trie rund 1700 Lobbyisten in Brüssel positioniert. „Das sind vier für jeden EU-Beamten, der mit diesem Thema beschäftigt ist“, schreibt Imke Dierßen von LobbyControl und fügt hinzu: „Das ist 30 mal so viel, wie allen Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltorganisationen gemeinsam für ihre Lobbyarbeit zu diesem Thema in Brüssel zur Verfügung steht.“ Neben der Finanzbranche pflegen dort auch mehr als 40 große Konzerne, wie BP, Shell, Daimler, BASF, Deutsche Bank, Unilever, Bertelsmann oder Facebook  teilweise in gleichen Bürogebäuden ihre direkte Nachbarschaft zu zentralen EU-Institutionen und laden die Parlamentarier gerne mal zu ausufernden „Informationsveranstaltungen“ ein, um mit ihnen „Freundschaft“ zu schließen. Um dem Einhalt zu gebieten, hat das Europäische Parlament im Dezember 2016 beschlossen, dass Abgeordnete keinen Lobbynebentätigkeiten mehr nachgehen dürfen. „Auch dem Bundestag stünde eine solche Entscheidung gut zu Gesicht“, findet Imke Dierßen. Es gäbe zwar keine systematische Käuflichkeit – sprich Korruption – deutscher Politiker*innen, meint sie, doch die finanzielle Verflechtung und die Finanzkraft von Lobbyakteuren habe sehr wohl Einfluss. Denn schließlich ist nicht nur Bares Wahres! Auch die Erinnerung an eine dufte Party, eine luxoriöse Reise, eine großzüge Parteispende um fünf Ecken oder einen lukrativen Job während oder nach der Amtszeit sind durchaus Parameter, an denen man sich als Politiker festhalten kann, wenn es darum geht, weitreichende politische Entscheidungen zu treffen. 

Der Glyphosatan und die Strippenzieher 

Laut der Organisation Abgeordnetenwatch sind Landwirte neben Rechtsanwälten die am meisten vertretene Berufsgruppe unter den Lobbyisten im Bundestag. Viele von ihnen sind darüber hinaus Mitglied im Deutschen Bauernverband [DBV], der größten Lobbyorganisation der mehrheitlich konventionellen Landwirte, dessen Sitz übrigens in direkter Nähe zum Kanzleramt zu finden ist. Keinem anderen Wirtschaftsverband in Deutschland wird so großer, unmittelbarer Einfluss auf die Politik zugeschrieben. So habe der Bauernverband in den vergangenen Jahren sehr erfolgreich verhindert, dass Umwelt- und Tierschutzvorgaben verschärft werden, ließ ein Abgeordneter des Bundestags die Süddeutsche Zeitung wissen. Dass den konventionellen Landwirten ein strengeres Düngerecht, eine Beschränkung der Massentierhaltung oder ein Verbot des Unkrautvernichtungsmittel  Glyphosat von Monsanto bzw. Bayer nicht schmecken würde, liegt auf der Hand, denn für sie geht es um's Geschäft. Und ihr Getreide wächst nun mal am besten, wenn man das Feld mit dem krebserregenden sowie umweltverheerenden Glyphosat behandelt, und es lässt die Pflanzen sogar „kon­trolliert abreifen“, wenn man das Zeug kurz vor der Ernte nochmal direkt auf das Getreide kippt. Vor diesem Szenario ruft man sich jetzt bitte kurz ins Gedächtnis, wie um Himmels Willen es dazu gekommen ist, dass dieses gefährliche Gebräu auch in Deutschland noch weitere fünf Jahre auf die Äcker geschüttet werden darf: Nämlich, weil der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt die Verlängerung scheinbar in einem Zustand geistiger Umnachtung unauthorisiert abgenickt hat – was ihm in der Heute-Show zurecht den Spitznamen Glyphosatan einbrachte. Nach dieser Nummer muss man sich doch ernsthaft fragen, ob Christian Schmidt zu viel mit seinen Homies vom Bauernverband und der Agrarlobby rumgehangen hat und möglicherweise nach seiner politischen Amtszeit eine Karriere bei Bayer anstrebt.

Im Diesel-Dunst

Auch die Automobilbranche ist ziemlich gut darin, ehemalige Politiker als Lobbyisten zu anzuheuern. „Und es macht natürlich einen Unterschied, wenn ihr Cheflobbyist, Matthias Wissman, mal eben seiner Ex-Kollegin Angela Merkel anrufen kann und sagt ‚Liebe Angela …‘“, schreibt Imke Dierßen. Als anlässlich des Abgas-Skandals ein Einschreiten der schwarz-roten Bundesregierung erforderlich wurde, gab es beim sogenannten „Diesel-Gipfel“ dann auch lediglich einen vom Ton her eher freundschaftlich anmutenden Austausch darüber, eine Manipulation der Abgaswerte doch bitteschön in Zukunft zu unterlassen. Auch hier darf man gespannt sein, ob die enge Bindung zwischen der Regierung und den großen deutschen Automobilkonzernen wie VW und Daimler dazu führt, den Schaden nicht etwa für den Verbraucher, sondern für die Konzerne möglichst gering zu halten. Nun droht erstmal das Fahrverbot für Innenstädte und auch hier ist der Verbraucher der Gelackmeierte, während sich die Automobilbranche wahrscheinlich schon darauf freut, dass so mancher Diesel-Fahrer womöglich schon bald ein neues Auto kaufen wird. 

Zum Schluss

Die altruistischen Lobbyisten fahren lieber mit der Bahn zum Bundestag, schmeißen keine ausufernden Parties für Parlamentarierer, haben keine Kohle für Parteispenden und meistens auch noch schlechte Nachrichten über den Zustand unserer Welt im Gepäck. Deshalb stehen sie oft als Spielverderber da, während sie die Welt verbessern wollen. Kein Wunder also, dass so mancher Politiker lieber mit den egoistischen Lobbyisten kollaboriert, die behaupten, Glyphosat sei unbedenklich und der Abgas-Skandal bloß ein Softwareproblem. Denn dann ist plötzlich alles viel leichter. Nur das Einschlafen mit ruhigem Gewissen wird vielleicht irgendwann zum Problem, wenn man sich eingestehen muss, dass man als Politiker und als Mensch versagt hat. Aber darum kann sich ja dann die Pharmalobby kümmern.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 10. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im März 2018.

 

 

 

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