Zart, hart und in Fahrt

#VerwegeneUnternehmer*innen #Kultur #Musik #Lokales #Techno #Feminismus

Techno ist viel mehr als eine Musikrichtung. Es ist ein eigenes Universum, in dem man sich verlieren, wiederfinden und neu entdecken kann. Techno bedeutet Freiheit, so schallt es aus den Clubs, wo dann aber doch oft das Patriarchat den Ton angibt. Deshalb braucht diese Welt mehr DJanes wie El!sai und mehr Feminist*innen auf dem Dancefloor.

[Text: Vanessa Pegel | Fotos: Club e-lectribe, Ralph Raabe]

Als Lisa beschloss, zum ersten Mal in ihrem Leben alleine auszugehen und im berühmt-berüchtigten Electro-Club A.R.M. in Kassel abzutauchen, ahnte die damals 29-Jährige noch nicht, dass sie als DJ nach Göttingen zurückkehren würde. Seither sind drei Jahre vergangen, in denen die sweete Mutter von drei Kindern zum Resident-DJ im A.R.M. emporstieg, bis Anfang diesen Jahres eine Ära zu Ende ging und der Techno-Palast seine Pforten schloss. Doch beginnen wir dort, wo aus der kleinen Lisa die großartige EL!SAi wurde: in Ralph Raabes Wohnzimmer.

Die Metamorphose 

Weil die Afterhour zum Techno gehört wie die Sahne auf den Kuchen und weil Lisa eine Lady ist, die nicht unbemerkt davon kommt, verwundert es kaum, dass sie am Morgen nach ihrem ersten Alleingang im A.R.M. im Wohnzimmer von niemand Geringerem als dem Clubbesitzer Ralph Raabe höchstpersönlich versackte. „Am Abend sollte dann die erste Rollercoaster [Partyreihe] in der Wiese [einer von vier Floors im A.R.M.] stattfinden, wo Ralph ausnahmsweise mal selber auflegen sollte. Deshalb kam Der Spieß [DJ aus dem A.R.M.] vorbei und verabreichte dem Ralph einen Einführungskurs im Auflegen mit Traktor [Computer-Programm für DJs], als ich zufällig dabei war, und abends hieß es dann plötzlich: ‚Lisa, mach mal!‘, erinnert sich die heute 32-Jährige mit einem breiten Lächeln und mit Worten, für die es fast eines Glossars bedarf. So kam es, dass sie an ihrem zweiten Abend im A.R.M. zum ersten Mal vor Publikum aufgelegt hat. „Die Leute haben mich gefragt, ob ich der neue DJ sei und ich habe gesagt: ‚Nein, ich bin nur die Praktikantin und das hier ist eigentlich ein Witz.‘ Doch da hatte ich bereits Blut geleckt.“ Es war wohl Schicksal. Also fuchste sie sich rein, sammelte sich Equipment zusammen, kaufte Tracks und drehte wie eine Besessene an den Reglern. 

 Die große Weinkirche im legendären Club A.R.M. in Kassel. 

 

Das Patriarchat auf dem Dancefloor

„Techno ist für mich Freiheit. Mich spüren, alles spüren, loslassen, sich bewegen, an nichts denken, an alles denken. Techno ist Familie, ein Gefühl, eine Einstellung. Es ist wahrscheinlich für jeden was anderes, aber es ist etwas sehr Verbindendes“, sagt Lisa, die ihren beide jüngsten Kindern gerade das Shuffeln [Tanzart im Techno] beibringt, weil die beiden es toll finden, dass ihre Mama ein DJ ist – ganz im Gegensatz zu ihrer 14-jährigen Tochter. „Wenn ihre Freunde zu ihr sagen: ‚Du hast ja voll die coole Mutter‘, dann findet sie es noch peinlicher“, seufzt Lisa und hofft, dass sich das mal noch in Wohlgefallen auflösen wird, denn in ihrer Welt sollen sich am liebsten alle lieben. Deshalb nervt es sie auch so, dass es in der Kasselaner Techno-Szene nur wenig kollegial zugeht, sodass nicht selten Hauen und Stechen anstatt Beat, Bass und Melodie den Ton angeben. „Es gibt kein gutes Miteinander unter den DJs und Clubs“, bemängelt Lisa. „Man könnte einfach mal offen und ehrlich untereinander kommunizieren und zusehen, dass es für alle gut läuft, aber weil jeder Angst hat, zu kurz zu kommen, herrscht Ellbogenmentalität, und als Frau hat man es besonders schwer.“ Wirft man einen Blick auf die Timetables der Clubs, dann sind selbige meistens nur mit Männern besetzt. Ähnlich sieht es dann oft auch auf vielen Dancefloors aus, wo das ganze Testosteron zum Überkochen gebracht wird und sich auf die wenigen weiblichen Wesen fokussiert. „Wenn Du Dich als Frau ohne offensichtlichen Partner in dieser Feier-Szene bewegst, dann musst Du Dich schon ziemlich behaupten, denn sexuelle Übergriffe sind leider keine Seltenheit“, sagt Lisa und rümpft die Nase.

 Die kleine Weinkirche im Club A.R.M. 

 

Der Rhythmus, bei dem sie mit muss

„Ich bin auf jeden Fall eine Feministin, aber nicht, weil ich Männer hasse, ganz im Gegenteil! Ich liebe Männer. Ich liebe aber auch Frauen und ich möchte, dass sie ohne Probleme im Club feiern gehen können, wie es ihnen gefällt“, postuliert Lisa und fügt hinzu, dass dies gefälligst auch möglich sein muss, wenn Frauen keinen BH tragen oder wenn sie total besoffen sind. „Das kann aber nur funktionieren, wenn wir aufeinander achtgeben und die vernünftigen Männer Stellung beziehen, wenn sie sehen, dass irgendein Typ eine Frau anfasst, die das nicht will“, sagt sie. „Doch tatsächlich werden solche sexuellen Übergriffe von den Anwesenden viel zu oft nicht ernstgenommen und einfach abgetan, anstatt sich dafür einzusetzen, einen Safe Place zum Feiern für alle zu schaffen. Dabei könnte alles so schön sein, wenn alle mal ein bisschen mehr ihre Hände bei sich lassen und erstmal schauen würden, was passiert, denn schließlich ist im Techno alles möglich. Also benehmt Euch doch einfach, Jungs, dann kommen auch die Mädels! Und wenn die Mädels Bock auf Ficken haben, dann werden sie sich schon melden!“ Nach Lisas erfrischenden Appell an die gesunde Männlichkeit, kommt hier noch ein heißer Tipp für mehr Love, Peace und Happiness im Club: „Wenn ich auflege, sind erfahrungsgemäß viel mehr Frauen am Start, und damit ist am Ende dann allen geholfen, weil sich alle viel besser miteinander entspannen können und die Amüsierwahrscheinlichkeit wächst. Also bucht mich!“

Fröhlicher Techno mit krassem Bass

EL!SAis Techno hat eine so gewaltige Schubkraft, dass einem selbst als Unbeteiligte*r Hören und Sehen vergehen und einem kaum etwas anderes übrig bleibt, als mindestens mitzuwippen. Dabei ist er nicht monoton, sondern bleibt ein Abenteuer. „Ich würde meinen Sound als fröhlichen Techno bezeichnen, der melodisch ist, von zart bis hart, aber sehr fordernd. Es geht auf jeden Fall gut vorwärts“, sagt Lisa. „Aber ich nehme die Leute auch immer gerne mit, deshalb beginnt es eher soft und dann steigern wir uns. Ich nehme auf, was die Gäste mir anbieten und stelle mich auf sie ein. Es ist ein Pingpong-Spiel. Manchmal reizt es mich natürlich auch, die Leute ein bisschen zu lenken wie eine Art Marionettenspieler. Ich liebe es, wenn zwischen den Tänzer*innen und dem DJ so ein Flow entsteht. Darauf stehe ich auch selber total, wenn ich auf dem Dancefloor bin und merke, dass der DJ ein Gespür für die Tänzer*innen hat.“ 

 Das Tingeltangel im Club A.R.M. 

 

Das A.R.M. ist tot, lang lebe das A.R.M.

Anfang diesen Jahres hat das A.R.M. nach einer grandios-famosen Silvesterparty die Schotten zu seinem technoiden Universum vielleicht für immer dicht gemacht. Kein Tingeltangel, keine Kleine und Große Weinkirche mehr und auch kein Morgengrauen in der Wiese. „Es ging einfach nicht mehr so weiter“, sagt Lisa, „weder finanziell noch mit den Anwohnern, die sich vom Lärm belästigt fühlten.“ Mit dem Aus vom A.R.M. ging eine über 21-jährige Ära zu Ende, doch die von EL!isai hat gerade erst begonnen. Wie soll das Leben ohne das A.R.M. weitergehen? „Das fragen wir uns alle, aber wie heißt es so schön? Jedem Ende wohnt ein Anfang inne“, sagt Lisa betrübt, aber hoffnungsfroh. „Vielleicht muss sich Kassel jetzt erstmal ein bisschen erholen, neu sortieren und formatieren und dann geht’s wieder vorwärts. Ob es die Wiederauferstehung des A.R.M. sein wird, kann man jetzt noch nicht sagen, aber Kassel ist eine große Stadt mit vielen Möglichkeiten und dort wird sich auf jeden Fall was finden.“ Auch Lisa muss sich jetzt erstmal ein bisschen ausruhen, denn während der letzten Züge des A.R.M. hat sie wie immer alles gegeben. Aber sie plant schon eine neue Veranstaltungsreihe in Göttingen und ihren nächsten Gig in Berlin, wo sie im Mensch Meier die Berliner mit einem sechs Stunden Set zum Tanzen bringen. Außerdem wird sie ein Teil der Booking-Agentur Uliversum, in der unter anderem auch Der Schmeisser anzutreffen ist. Darüber hinaus will sie in diesem Jahr noch eins drauf setzen und sich im Studio im Musik produzieren ausprobieren. „Der Schmeisser hat in Espenau ein richtiges Studio und weil ich auch total auf Vocals, Sprechgesang und Lyrik abfahre, werde ich mal versuchen, ein paar geile lyrische Texte technoid zu vertonen und mit meiner Klarinette kann man vielleicht auch irgendwas machen“, sprudelt die Begeisterung aus ihr heraus. Im Techno ist eben alles möglich und wenn Lisa ihre Finger im Spiel hat, wird es bestimmt zart, hart und ordentlich schieben. 

 

 Die Wiese im Club A.R.M. 

 Diane El!sai und VONWEGEN-Reporterin Vanessa nach dem Interview

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 15. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im Januar 2019.

 

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