Wenn die Seele singt
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Sie sieht aus wie eine Prinzessin, singt wie eine Elfe und wenn sie nicht aus tiefstem Herzen auch ein Punk wäre, könnte man sie für einen Engel halten. Die Rede ist von Carinha, dem märchenhaften Wesen aus dem Eichsfeld, deren Leben wegen Drei Haselnüsse für Aschenbrödel ein anderes wurde.
[Text: Vanessa Pegel | Foto: Isabella Jaine Photography]
Es war einmal ein kleines, wildes Mädchen namens Karin, das eine halbe Stunde von Göttingen entfernt im idyllischen Bodensee eine unbeschwerte Kindheit erlebte. Wie fast alle kleinen Mädchen fühlte auch sie sich verzaubert von diesem abenteuerlustigen Aschenbrödel, das von seiner Stiefmutter terrorisiert wurde, seinen Schuh verlor und dennoch den Prinzen im Sturm eroberte. „Für mich war Aschenbrödel das Märchen schlechthin und dabei ging es mir gar nicht um dieses Prinzessinnen-Brimborium, sondern um ihre fast schon feministische Wesensart. Ich fand es einfach großartig, dass sie gemacht hat, was sie wollte und reiten konnte wie ein Teufel“, spricht die kleine Karin von damals, die selbst auf Pferden groß geworden ist, aus der erwachsenen Frau von heute, die sich nun Carinha nennt, weil das einfach viel besser zu ihr passt.
Schon bald wird er wieder auf fast allen Kanälen im Weihnachts-programm des Fernsehens zu sehen sein, dieser Märchenfilm aus den 70er Jahren, der mittlerweile zum Kult geworden ist, und Carinha auch als Erwachsene in seinen Bann zieht. So kam es in einem kalten Winter, als sie sich am wärmenden Bollerofen ihres Elternhauses das Rauchen abgewöhnen wollte, in einem Anflug von Nostalgie dazu, dass sie dem berühmten Titelsong von Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, den Karel Svoboda geschrieben hat, mit einem eigenen, englischen Text ausstatte. Nachdem ihr – auch als es schon längst warm geworden war – dieser Song immer noch im Kopf herumschwirrte, nahm sie ihn gemeinsam mit dem Nesselröder Musiker Matthias Matschek Hellmold unter dem Titel Believe In Three Hazelnuts im Studio auf. Doch eigentlich durfte sie das aufgrund des Urheberrechts gar nicht und das konnte sie keineswegs so stehen lassen. Also stieg sie eines mutigen Morgens im Jahr 2008, bewaffnet mit einem Rucksack und ihrer CD, in einen Zug nach München, um dort ohne Termin im deutschen Subverlag von Drei Haselnüsse für Aschenbrödel reinzuschneien und sich erst wieder aus dem Staub zu machen, nachdem ihr Gehör verliehen wurde. Dort angekommen brachte sie zuerst den Verleger mit ihrem ungewöhnlichen Anliegen und ihrer elfenhaften Erscheinung so dermaßen aus dem Konzept, dass selbiger versuchte, ihre CD in den Videorekorder einzulegen. Nachdem dies misslang, geleitete er sie ins Aufnahmestudio des Verlags, wo nicht nur die passende Technik auf Carinha wartete, sondern auch noch ihr zukünftiger Traumprinz hinterm Mischpult saß. Doch dazu später mehr.
Die Metamorphose des Aschenbrödels
Hatte Carinha in ihrem vorherigen Leben hauptsächlich unter der Dusche gesungen, während sie hauptberuflich in ganz Deutschland Edelsteine und Uhren verkauft hat, war dank Aschenbrödel nun ein unlöschbares Feuer in ihr entfacht. Sie nahm professionellen Gesangsunterricht und fing damit an, eigene Songs zu schreiben – mit nordischen Einflüssen, sphärischen Melodien und mystischen Texten auf Deutsch oder Englisch und wenn ihr diese Sprachen nicht mehr genügen, um auszudrücken, was sie in sich fühlt, dann lässt sie ihre Seele auch schon mal in ihrer eigenen Sprache singen, die sie Carinhisch nennt. So nahm ihr eigenes Märchen seinen Lauf: Schon bald nach der Veröffentlichung von Believe In Three Hazelnuts 2008 bekam sie das Angebot, ihren Song auf Schloss Moritzburg in Dresden zu performen. Denn das Schloss, in dem Aschenbrödel im Film seinen Schuh verlor, verwandelt sich jedes Jahr um die Weihnachtszeit in eine Ausstellung rund um den Film und lockt alljährlich Hunderttausende von Besucher*innen an. Mittlerweile gehören Carinhas Songs [zu hören auf ihrer CD Magische Momente auf Schloss Moritzburg] und ihre musikalischen Märchenlesungen für Kinder [auch als Hörspiel: Tuli und die drei Eisblumen] seit zehn Jahren zum festen Bestandteil des mehrmonatigen Festival-Programms. „Als meine Aschenbrödel–Lala-Version auf Spotify 300.000 Mal angeklickt wurde, bin ich fast vom Glauben abgefallen“, sagt Carinha, die eine kleine, gemütliche Wohnung in Dresden zu ihrem Zweitwohnsitz erklärt hat. Als sie 2011 aufgrund unvorhersehbarer Umstände von ihrem eigentlich eher friedfertigen Kater Kasper in den Finger gebissen wurde und selbiger daraufhin taub wurde und blieb, verzeihte sie ihm sofort und gründete mit dem Geld von der Katzenversicherung ihr eigenes Label, das sie Meyaka nannte. Als auch Svobodas Erben im Jahr 2017 endlich einsahen, dass Carinha und Aschenbrödel nun mal zusammengehören wie die guten Linsen ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen, durfte sie Believe In Three Hazelnuts dann auch endlich ins Deutsche übersetzen und ihn unter dem Titel Lachen, lieben, leben auf ihrem eigenen Label veröffentlichen.
Elfenpower im Eichsfeld
Jenseits ihres Prinzessinnen-Daseins in Dresden startete Carinha in ihrer Eichsfelder Heimat diverse Projekte mit verschiedenen Musikern wie Zephaya music mit Maaf Kirchner, Katrin Beischer und Jann Engel von Mila Mar oder Musikprojekte mit dem Zen–Buddhisten Jan Balyon und natürlich mit ihrem Traumprinzen Adrian Thomé, dem sie dank Aschenbrödel einst in München zum ersten Mal in die Augen sah und seitdem nicht mehr aus dem Kopf bekam. Nachdem 2014 zuerst Carinhas Vater und kurze Zeit später auch ihre Mutter diese Welt verließen und in ihrem Herzen eine klaffende Lücke hinterließen, zog Adrian – seines Zeichens ebenfalls Musiker und Multi-Instrumentalist – zu Carinha nach Bodensee ins Fachwerkhaus ihrer Eltern, wo er sich in aller Ruhe sowohl der Frau seiner Träume als auch seinem Musik-Business hingeben kann, wenn er nicht gerade im Rest der Welt unterwegs ist.
Als Proberaum haben die beiden das alte Wohnzimmer von Carinhas Großmutter in Beschlag genommen, wo sie ihre Song-Ideen mit Filzstiften auf Omas hutzelige Tapete kritzeln oder einfach musikalisch drauf los experimentieren. So entstanden auch Carinhas brandaktueller Song Blow und das dazugehörige Video aus einer spontanen Eingebung heraus, als Carinha fröstelnd und miesepetrig in Omas Wohnzimmer mit dem Fuß aufstampfte, sich die Kapuze von Adrians Strickjacke über den Kopf zog und ihrem Frust Lust verschaffte, indem sie einfach mal in Gothic-Manier erst tief und düster, dann hell, klar und heißkalt ins Mikro sang, was ihr gerade in den Sinn kam. Und weil Carinha und Adrian nicht nur Liebende, sondern auch ein Dreamteam sind, griff Adrian dazu mit dem Gesichtsausdruck eines Unberührbaren hartgesotten in die Saiten seiner Gitarre. Dabei heraus gekommen ist ein, wie wir finden, hammergeiler Song namens Blow und ein Live-Mitschnitt, auf dem klar zu erkennen ist, dass sich in Carinhas Seele die Prinzessin und der Punk die Klinke in die Hand geben. Folgende Frage bleibt dennoch fraglich: Lebt Carinha ihre Musik oder lebt ihre Musik sie?
Noch mehr von dem elfenhaften Wesen aus dem Eichsfeld findest Du hier: www.carinha.de & www.zephaya.com.
PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 19. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im Oktober 2019.
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