Eine Religion für sich

#Seelenleben #Macht+Protest #Gesundheit #Weihnachten

Wenn es um Ernährung geht und die Frage, ob man am besten vegetarisch oder vegan leben sollte, dann erhöht sich das Mitteilungsbedürfnis vieler Menschen exponentiell. Dann wird beiden Seiten vorgeworfen, sich ungesund zu ernähren, und es kann schon mal vorkommen, dass die einen als Vegi-Nazis und die anderen als ethiklose Konsumopfer beschimpft werden. Ernährung ist eben eine Religion für sich. Grund genug, sich zum neuen Jahr aufs Neue damit auseinanderzusetzen, findet unsere Autorin Lilith, die zwischen Weihnachtsgans und Silvester-Raclette mal wieder gründlich ins Grübeln geraten ist.

[Text: Lilith Moosbach | Illustrationen: Niclas Kersting]

Ich habe mal vegetarisch gelebt. Aller­dings genehmige ich mir in letzter Zeit immer mehr Ausnahmen. Hier mal ein Burger, da mal ein Burger. Okay, eigentlich habe ich hinsichtlich meines Fleischkonsums kein generelles Disziplinproblem, sondern eher ein Burger-Problem. Jedes Mal, wenn ich mir die zwei Brötchen mit dem toten Tier in der Mitte kaufe, habe ich eine andere Ausrede. Das fördert zwar meine Kreativität, bereitet mir dann aber doch wieder ein schlechtes Gewissen. Natürlich erst dann, wenn ich bereits aufgegessen habe. Dabei weiß ich doch, warum ich eigentlich kein Fleisch essen will und seien wir mal ehrlich, alle anderen tierischen Produkte eigentlich auch nicht, aber wenn ich auch noch diesen Anspruch an mich stellen würde, dann würde ich aus dem Sumpf des schlechten Gewissens gar nicht mehr herauskommen. 

Illegale und legale Quälerei

Erst im November letzten Jahres trat wieder ein Skandal in einem Schlacht­hof bei Oldenburg in den Fokus der Öffentlichkeit. Milchkühe und Rinder waren noch bei Bewusstsein in die Brust gestochen worden. Dieses Stechen erfolgt eigentlich nach der Tötung der Tiere und ist dazu da, sie ausbluten zu lassen. In diesem, wie in vielen anderen Fällen, starben die Lebewesen also daran, dass sie langsam und qualvoll verblutet sind. Tiere wurden geschlagen oder teilweise 27 Mal mit Elektroschockern malträtiert. Das alles kam nicht etwa durch eine*n  findige*n Veterinäramtsmitarbeiter*in ans Licht, sondern durch Aktivist*innen, welche die Schlachtungen über zwei Monate hinweg mit versteckter Kamera gefilmt haben. Zu allem Überfluss ist auf dem Videomaterial zu erkennen, dass Mitarbeiter*innen des Veterinäramtes sogar selbst Hand anlegten. Diese Art der Tierquälerei war und ist keine Ausnahme, weder in dem verantwortlichen Betrieb noch brauchen wir uns der Illusion hinzugeben, dass der Rest der Fleischindustrie frei von solcherlei Grausamkeiten ist. Jede*r, der*die konventionelles Fleisch isst, unterstützt damit diese Art der Tierquälerei. Und wenn es keine illegale Tierquälerei ist, dann ist es eben legale. Schon seit Ewigkeiten ist es gängige Praxis, nur wenige Tage alte männliche Ferkel ohne Narkose zu kastrieren, weil das Fleisch unkastrierter Schweine den Herrschaften ansonsten beim Verzehr zu unangenehm riechen würde. Am Ende könnten wir beim Essen noch daran erinnert werden, dass das, was da so lecker zubereitet auf dem Teller liegt mal quicklebendig in einem winzigen Stall, bei üblem Gestank mit tausenden anderen Artgenossen hauste. Da in der Massentierhaltung das Dogma schnell und billig gilt, wird die Kastration der Ferkel ohne Narkose vollzogen. Dies sollte eigentlich seit der Tierschutzreform von 2013 ab 2019 verboten werden. Doch kurz vor Jahresende scheint der GroKo wie Speckschwarten von den Augen gefallen zu sein, dass die Mastbetriebe natürlich eine viel längere Übergangsphase brauchen, als die letzten sechs Jahre, in denen sie sich drauf vorbereiten konnten, ein bisschen mehr Menschlichkeit an den Tag zu legen. Das Gesetz soll nun erneut um zwei Jahre aufgeschoben werden. Da hat die Fleischlobby also mal wieder einen guten Job gemacht. Wenn diejenigen, die von einem Gesetz profitieren, keine Stimme haben, dann ist es eben einfach, sie weiterhin zu quälen.

Selber Schuld

600 Gramm Rindersteak für 1,99 Euro? Das machte zwar Schlagzeilen, aber gekauft wurde es trotzdem. „Jetzt ist das Tier ja schon tot.“ Ja, aber wenn es nicht mehr gekauft werden würde, dann müssten andere seiner Art vielleicht nicht sterben, denn das Angebot richtet sich nun einmal nach der Nachfrage! Wenn ich meinen Billo-Burger kaufe, kurbele ich den Kreislauf an. Und der ist nicht nur für etliche Tierschutzrechtsverletzungen verantwortlich, sondern trägt auch kräftig zum Klimawandel bei. Da fahre ich schon extra mit dem scheiß Fahrrad und am Ende des Tages versaue ich meine CO2-Bilanz, indem ich in einen Burger beiße. Seriously? 

Gedankenexperiment

Kann selbst eine absolut korrekte Schlachtung überhaupt legitim sein? Oder ist nicht das Wie das Problem, sondern die Tatsache, dass wir überhaupt denken, es sei legitim, Lebewesen zum Selbstzweck massenhaft zu töten?  Stellen wir uns einmal vor, Aliens kämen auf die Erde, die viel intelligenter und empathischer sind als wir. Die fähig wären, ganz anders, viel tiefgründiger und viel weniger instinktgesteuert zu denken. Die auf ganz anderen Ebenen kommunizieren könnten. Wir leben eine Weile mit ihnen und während sie den Planeten immer mehr an sich reißen, bemerken sie, dass ihnen Menschenfleisch eigentlich ganz gut schmeckt – richtig gewürzt natürlich. Aus der anfänglichen Hausmenschhaltung wird eine Industrie und die Menschenrechte geraten immer mehr in den Hintergrund. Die männlichen Säuglinge werden bei Bewusstsein kastriert und im ersten Lebensjahr getötet. Das zarte Babyfleisch schmeckt nämlich am besten. Die Aliens verstehen zwar das Leid, das sie verursachen, aber das Fleisch ist nun mal billig und lecker. Da vergeht einem doch wirklich der Appetit, oder?

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 15. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im Januar 2019.

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