Weil Albert Schweitzer definitiv recht hatte, als er sagte „Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt“, freuen wir uns wie verrückt, einen weiteren gewieften Autor in unserem verwegenen Kreis begrüßen zu dürfen. In seiner VONWEGEN-Premiere begibt sich unser neues Schreibwunder, das wir liebevoll Manni nennen, für Euch auf die Spuren des Glücks. Und wer lieber zuhört, anstatt selbst zu lesen, dem empfehlen wir nach unten zu scrollen und sich im allerersten VONWEGEN-Podcast an Mannis wunderbarer Stimme zu erfreuen, die erst ein bisschen steif klingt, um dann umso lockerer zu werden.
Neulich treffe ich einen Bekannten. Er eilt in der City an mir vorüber, ohne mich zu erkennen. Auch deshalb, weil er nur Augen für sein Display hat. Ich rufe also seinen Namen. Wie es denn gehe, frage ich. „Muss ja“, lautet die Antwort. Hört man ja häufiger. „Nein“, erwidere ich und lächele; „nichts muss. Und ‚muss ja‘ ist auch keine Antwort auf die Frage, wie es geht.“ Er denkt nach. Spult zwölf Sekunden zurück und drückt wieder Play. „Gut“, presst er schließlich hervor, als müsste er dringend aufs Klo, „es geht mir gut. Ich bin glücklich. Muss aber weiter, habe keine Zeit.“ Ob er wirklich dringend muss? Whatever. „Hau rein“, sage ich, „mach’s gut“, sagt er. Und ab.
Wenn jemand bei der Behauptung, er sei glücklich, die Zähne derart aufeinander presst, dass sie beinahe herausplatzen wie Popcorn aus einer Popcornmaschine, werde ich hellhörig. Aber was ist Glück, frage ich mich. Was heißt es wirklich, glücklich zu sein? Wenn man die Leute über das Glück reden hört, erinnert es zuweilen an Gespräche über Außerirdische: Viele haben’s angeblich schon mal gesehen, aber keiner hat Fotos. Man glaubt halt dran oder auch nicht.
Hochgefühl mit sechs Buchstaben
Manche Neurobiologen nennen Glück einen Ausnahmezustand. Im Kreuzworträtsel wird gefragt: „Hochgefühl mit sechs Buchstaben.“ Es ist also ein Hochgefühl und kein Standard. Im Gehirn findet an einem unaussprechlichen, lateinisch titulierten Ort ein Flashmob unzähliger Glücks- und Motivationshormone statt, die von dort aus mit Rasseln und Tröten bewaffnet in einer Polonaise durch die Nervenbahnen unseres Körpers pöbeln. Manchmal fühlen wir dabei im gesamten Körper ein regelrechtes Prickeln. Interessant dabei: Die emotionale Intensität des Extremgefühls Glück ist vergleichbar mit anderen Extremgefühlen wie Trauer, einem soliden Rausch oder dem Orgasmus. Und diesem Ausnahmezustand rennen wir im Schweiße unseres Angesichts hinterher. Tun zuweilen ulkige Dinge, um ihn zu erreichen. Stellen wir das Glück in den Mittelpunkt allen Strebens, erblinden wir für die Schönheiten des Alltags. Die Grazie der Gegenwart und die Geschenke des Jetzt verlieren an Wert. Denn sie sind ja nicht das echte, große Glück. Mit dieser Herangehensweise zerstören wir womöglich die Voraussetzung für Glück. Und es entsteht der Eindruck, unglücklich zu sein.
Kein Konsumgut
Erschwerend hinzukommt, dass uns dort draußen vermittelt wird, Glück wäre leicht zu haben. Durch Konsum natürlich oder durch das Anmelden bei einem Singleportal. Wenn sich da alle elf Minuten einer verknallt, kann’s ja so schwer nicht sein, oder? Wieso nicht auch ich? Doch dort werden Menschen einfach weggewischt und kaum jemandem fällt noch auf, was für ein Wahnsinn das im Grunde ist. Auch gibt es Kredite mit einer Verzinsung von null Prozent. Ohne Schufaprüfung. Fast jeder kann sich fast alles leisten. Man denkt schnell, wer sich jetzt nicht glücklich konsumiert, ist selber Schuld. Was die Ansicht impliziert, Glück stünde mit Konsum und Partnerschaft in Verbindung. Vielleicht will uns die Werbung aber genau das weismachen. Vielleicht mit dem Ziel, uns an echter Autonomie zu hindern. Die im Kern wahnwitzige Idee, die dem ganzen Desaster der Suche nach dem Glück zugrunde liegt, ist so billig wie tricky: Denn wir glauben oft, unser Glück läge in der Zukunft. Oder es lag in der Vergangenheit. Leider schneidet bei beiden Annahmen die Gegenwart ziemlich mies ab. Dabei ist interessant, dass die Phasen, in denen wir glücklich waren, oft auch Phasen waren, in denen wir wenig an morgen oder gestern dachten. Sondern in denen wir einfach lebten. Menschen, die ganz in der Gegenwart leben, scheinen für das Glück attraktiv zu sein. Diese Menschen sucht es auf.
Entscheiden
Und was noch? Es gibt viele etablierte Glücks-Wissenschaftler, die etwas kurios Anmutendes behaupten: Wenn man glücklich sein will, ist alles andere – sozialer Status, wirtschaftliche Verhältnisse, Partnerschaft, Beruf – vollkommen gleichgültig, denn man muss es nur wollen. Will man es, so kann man es auch werden. Kommt es dabei auf die Sicht auf die Dinge an? Sicherlich. Auf Menschen, die pessimistisch in die Welt schauen, hat das Glück keinen Bock. Andere wiederum vermuten, alle Menschen seien glücklich, sie wissen es nur eben oft noch nicht. In Die Dämonen schrieb Dostojewski: „Alles ist gut. Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist. Nur deshalb. Das ist alles, alles! Wer das erkennt, der wird gleich glücklich sein, sofort im selben Augenblick.“ Hierzu kann ich aus einem Selbstversuch berichten: Es klappt. Augenblicklich. Jedesmal. Und hört wieder auf, wenn man es vergisst zu sein.
Loslassen
Dies sind Fragmente zum Thema Glück. Es ist eine Anregung. Glück ist kein Zustand, der einem in den Schoß fällt und von dem aus alles andere flutscht, als würde man eine Bobbahn hinunter sausen. Glück ist ein Ergebnis. „Mut steht am Anfang jeden Handelns. Glück am Ende“ proklamierte Demokrit schon vor über 2.300 Jahren. Da scheint etwas dran zu sein. Es ist ein Kind von Motivation, Eigeninitiative, Aufbruch zu neuen Ufern und: Loslassen. Loslassen? Der Berliner würde fragen: Wieso denn ditte? Ganz einfach: „Auch auf Mondflügen trennt man sich von Teilen der Rakete, um wieder nach Hause zu kommen.“ Diesen Satz sagte der kluge und vom Schicksal gebeutelte Nick Flynn. Nach dem Glück zu suchen, ist im Kern legitim. Doch viele Menschen tun es auf eine Weise, die sie von sich selbst entfremdet und auf direktem Wege an den Abgrund führt. Das Resultat sind herausplatzende Popcornzähne. Und Unglück. Der Bekannte rief übrigens ein paar Tage später noch einmal an. Er habe jetzt über die Worte nachgedacht. Und festgestellt, dass er eigentlich die Frage, wie es ihm gehe, immer beantworte, ohne wirklich in sich hinein gelauscht zu haben. Das wolle er jetzt öfter tun. Denn er wolle wenn schon nicht glücklich, so doch wenigstens zufrieden sein. Und er fragte: „Was ist mehr wert: Glück oder eine grundsolide Zufriedenheit?“ Eine mögliche Antwort dazu findet Ihr in der August-Ausgabe.
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Das Glück als Podcast von und mit Manni
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