Der Rest ist Schweigen

#Kultur #Theater #SatzFetzen #Visite #Interview

Für das Debüt unserer Reihe VONWEGEN:Visite haben wir einen furiosen Schauspieler besucht, bei dem man nur ins Bett kommt, wenn man steil geht und der sich stets fragt: Sein oder nicht sein und wenn ja, weswegen? Zu Gast bei KARSTEN ZINSER, dem HAMLET des Jungen Theaters.

[Text: Vanessa Pegel | Fotos: Micky Bartl]

Am Abend, als wir uns um kurz nach halb elf in Karsten Zinsers verqualmter Zausel­bude treffen, um über Shakespeares Hamlet zu philosophieren, kommt er gerade von seiner ersten Bühnenprobe und wirkt ein bisschen aufgewühlt. Zufälligerweise haben Micky und ich eine Flasche Rotwein dabei, die wir uns nun reinziehen. „Darf ich hier eigentlich alles fotografieren oder ist irgendwas tabu?“, fragt Micky, während Karsten und ich auf seinem knuddeligen Miniatur­sofa vor uns hin rauchen, als gäbe es kein Morgen. „Mach mal“, antwortet der gebürtige Berliner, der sich heute beinahe ein „I love Göttingen“-Feuer­zeug gekauft hätte, wenn ihm die 1,95 Euro dann nicht doch zu viel gewesen wären. Darauf, dass sein Verschmelzungsprozess mit un­serer Stadt noch nicht abgeschlossen ist, deutet auch seine Antwort auf die Frage nach seinem Lieblingsclub hin.

Er: „Kosmonaut, der ehemalige Tresor und das ehemalige Ostgut, aber natürlich auch das Berghain.“

Ich: „Die sind ja alle in Berlin! Und hier in Göttingen?“

Er: „In Göttingen gibt’s doch gar keine Clubs! Bis vor Kurzem bin ich noch gerne ins Stil-
brvch und in Mareks jt-Kantine gegangen, aber das ist jetzt auch vorbei.“

Ich spüle sein vernichtendes Urteil über das Nachtleben in unserer schönen Stadt mit einem großen Schluck Rotwein hinunter und beginne mit dem harten Stoff: Was qualifiziert den Zinser zum Hamelt?

Prokrastinierer unter sich

„Hamlet war der erste Prokrastinierer der Theatergeschichte“, stellt Karsten klar. „Insofern bin ich ein würdiger Nachfolger, denn ich steige ganz wie von selbst in seine Fußstapfen der Entscheidungsunfreudigkeit und Melancholie.“ Auf der heutigen Probe habe er auf einmal gar nichts mehr gewusst. Das lag bestimmt daran, dass dieses Ensemble-Mitglied des Jungen Theaters in seinem ausschweifenden Australienurlaub nicht allzu viel zum Textlernen gekommen ist, denke ich mir insgeheim, proste ihm aufmunternd zu und konfrontiere ihn mit meinem nächsten Interessengebiet: Hamlets Verhältnis zu Frauen. „Das muß ich während der Proben dringend herausfinden“, antwortet der 38-jährige Single. „Ich frage mich, was da wohl vorher bei ihm abgegangen ist – also bevor die Handlung überhaupt anfängt –, warum Hamlet seine Geliebte und seine Mutter derart ruppig und respektlos behandelt. Welche Demütigungen hat er erfahren? Will er die beiden vielleicht nur schützen? Da laufen ja schließlich auch viele Schufte herum, die Böses wollen.“ Kurz komme ich nicht umhin, mich zu fragen, was bezüglich Frauen wohl so bei Karsten abgeht, denn sein Schmusewiesen-Schlafabteil ist als Bikinizone ausgewiesen. Und man muss eine wirklich sehr steile Leiter emporsteigen, um dorthin zu gelangen.

Revolution im Fegefeuer

Unter dem Deckmantel des Philosophen Schlegel, der behauptete, Hamlet hätte keinen Glauben, weder an sich selbst noch an irgendwas anderes, frage ich Karsten nach seinem: „Ich glaube an die positive Kraft, die zwischen Menschen herrscht, und daran, dass das Gute siegt.“ [Notiz an mich selbst: Das ist wahrscheinlich auch der Grund, ­warum er Jacques Brel singt wie ein Engel.] Ob er trotzdem manchmal soviel Wut im Bauch hat wie Hamlet und wenn ja, worauf, will ich wissen, als Micky seine unterirdische Deckenlampe verflucht, weil sie sich schon zum dritten Mal daran stößt. [Passiert mir später auch noch.] „Natürlich! Immer wenn mir als Underdog aus Machtpositionen heraus Unrecht getan wird, dann fühle ich mich ähnlich wie Hamlet und frage mich, ob ich jetzt eine Revolution anzetteln sollte, um den ganzen Staat umzukrempeln“, redet sich der bekennende Prokrastinierer – dessen Lebensphilosophie übrigens „Lieber tun als nicht tun“ lautet – in Rage. „Das ist natürlich ein hartes Stück Arbeit, weil ich ja tatsächlich permanent am revoluzzzen bin. So ähnlich ging es auch Hamlet, der sich im Vergleich zu den meisten anderen seiner damaligen Kollegen immerhin selbst reflektiert und gefragt hat: Wie geht’s mir eigentlich mit der ganzen Kacke? Will ich das eigentlich mitmachen? Warum handele ich nicht? In einer solchen Situation sitzt man dann eben zu Hause und fragt sich: Sein oder nicht sein?“

 

SATZFETZEN*

*[Beim Satzfetzen beginnt VONWEGEN einen Satz, den der jeweilige Gegenüber – in diesem Fall der charmant-süffisante Karsten Zinser – beendet.]

Rache ist … manchmal ganz geil.

Sein oder nicht sein, das ist hier nicht die Frage, sondern … gehe ich heute Abend noch aus oder nicht.

Denken hilft, aber … wieso aber?

Als Du noch klein warst, wolltest Du immer werden wie … ich jetzt bin. 

Das letzte Mal richtig Spaß hattest Du als … ich in Australien am Strand mit meinen eigenen Händen einen ein Meter langen Fisch gefangen habe. 

Alkohol ist für Dich nicht weniger ein Problem als … Alkohol.

Zu Drogen greifst Du nur, wenn … welche da sind.

Ohne ein bisschen Wahnsinn wäre … nichts möglich.

Das Problem mit der Liebe ist, … dass sie permanent überall ist.

Moral ist, wenn … man moralisch ist – das behauptet zumindest Woyzeck.

Du bist Schauspieler geworden, weil … ich nichts anderes wollte.

Dein bisher peinlichster Auftritt war … schon sehr oft in meinem Leben.

Wenn Du als DJ auflegst, dann … spiele ich die Musik, die ich liebe und gucke, was passiert. 

Der Rest ist Schweigen oder … ein High-Five-Fail.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 1. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im August 2016.

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