Vergifte Dich: Isolation Berlin

#Kulturtipps #Musik

Musikpublikationen sind immer schnell dabei, Künstler zur „Stimme ihrer Generation“ zu deklarieren. Leistete ich ein wenig introspektive Arbeit und sähe ich mich im Drecksloch Berlin in meiner Peer Group um, wäre auch ich dazu verleitet, über die Post-Punker von ISOLATION BERLIN zu sagen: Jungs, ihr versteht mich und all jene Mittzwanziger, die außer der Selbstmedikation auf nichts mehr vertrauen und die „nicht außerhalb der Stadt leben könnten“, obwohl sie ihre Altbauwohnung nur verlassen, um sich in irgendeiner zwielichtigen Spelunke das Hirn aus dem Schädel zu saufen. 

[Text + Illustration: Sarah Elena Kirchmaier]

 

Konjunktiv, wohlgemerkt, denn eines sprach an diesem Abend dagegen: das generationsübergreifend-gemischte Publikum in der musa. Nur vom anstrengenden Stadtleben gebeutelte und von gescheiterten Liebschaften ruinierte Jungspunde? Fehlanzeige. Schon beim ersten Blick durch den Saal in der musa war klar: Vom enthusiastischen Ersti bis zum gestandenen Mann war alles dabei.

Supportet wurde Isolation Berlin von Swutscher. Allein der Hamburger Band zuzusehen, machte schon Spaß: Positioniert zwischen zahllosen Instrumenten sah jeder der sechs Kerle ein wenig so aus, als hätte man ihn einer anderen Subkultur entrissen und ihn überredet, mit fünf anderen, deren Leben er sonst nicht einmal peripher streifen würde, aufzutreten. Als sie anfingen zu spielen, wurde klar, dass der Vibe trotz der optischen Differenzen aber hundertprozentig stimmt. Musikalisch war das Ganze eine runde Sache und bewegte sich irgendwo zwischen Gute-Laune-Indie und Freakfolk mit Country-Reminiszenzen – eine der raren Vorbands, die man nicht sofort wieder vergisst.

Da aber auch das schönste Set einer Vorband [wie auch die Flasche Bier in der Hand] sich irgendwann dem Ende zuneigt, freute sich das Publikum in der Pause auf den Grund seines Kommens: Isolation Berlin. Die vierköpfige Band um Frontsänger Tobias Bamborschke hatte trotz nur selten gestreuten Interaktionen mit dem Publikum eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Die Setlist war  eine Mischung aus neuen Liedern des genialen Albums Vergifte Dich und alten Songs, die teils beherzt vom Publikum mitgegrölt wurden, aus Trennungsballaden und Depressionshymnen. Es war zu absolut jedem Zeitpunkt Bewegung unter den Zuschauer*innen; bei der Menge an roher Energie, die Bamborschkes Stimme, Max Bauers Gitarre, David Spechts Bass und Simeon Cösters Schlagzeug versprühten, hätten es auch allenfalls die Gelähmten geschafft, an Ort und Stelle zu verweilen. Ich würde jetzt gerne sagen: Wir hatten Spaß. Stimmt natürlich auch, aber bei einem Konzert, auf dem die Band Songs mit Titeln wie „Wenn ich eins hasse, dann ist es mein Leben“ zum Besten gibt oder vom Freitod phantasiert, wirkt das latent makaber und viel zu platt formuliert. Vielleicht lieber so: Die vier verstandenen es wie wenige durch ihre emotional-brutale Art etwas bei uns freizusetzen. Die blauen Flecken, die man sich beim gegen Ende des Auftritts entstandenen Moshpit holte, blieben für ein paar Tage als schmerzhafte Souvenirs zurück. Isolation Berlins kathartische Wirkung auf ihre Fans dürfte länger anhalten. Ian Curtis wäre stolz.

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