Tafeln und Tonnen

#Lokales #Klima #Macht+Protest

Die Zahl der Bedürftigen steigt: Rund 1,5 Millionen Menschen werden in Deutschland von den Tafeln mit Lebensmitteln versorgt. Gleichzeitig werfen wir hierzulande pro Kopf durchschnittlich 55 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg. Lebensmittel, die noch verwendbar wären. Lebensmittel, die andere sich nicht leisten können. 

[Text: Lena von Felde | Illustration: Sarah Elena Kirchmaier]

 

Betrachtet man die Zahlen, sollte jedem von uns bewusst werden, in welchem Überfluss wir konsumieren. Denn die 55 Kilogramm Lebensmittel, die jeder von uns pro Jahr zu Müll macht, sind in den meisten Fällen keine abgelaufenen, schlechten Waren, sondern fallen unserer Lust und Laune zum Opfer: „Das schmeckt mir doch nicht so gut, bei dem habe ich mich vergriffen und auf das ganz hinten im Kühlschrank habe ich jetzt keinen Bock mehr, also ab in die Tonne damit!“ Ein solch egoistischer Umgang mit Lebensmitteln fördert nicht nur diese exorbitante Verschwendung, sondern erscheint in Relation zu den steigenden Zahlen an Bedürftigen in Deutschland auch mehr und mehr als Perversion unseres konsumorientierten Lebens. Dabei liegt Deutschland mit seiner 55 Kilogramm Pro-Kopf-Verschwendung noch unter dem europäischen Durchschnitt, der sich bei 179 Kilogramm befindet. Alles zusammen addiert sich das in der Europäischen Union zu unglaublichen 89 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr. Abfall, der – wie gesagt – größtenteils aus noch verzehrbaren Lebensmitteln besteht! Was ist das für ein abartiger Luxus, den wir uns da leisten?

Doch wer – und das muss man an dieser Stelle zugeben – schafft es schon bei den Massen an Lebensmitteln, die uns so schön und schmackhaft in den Supermärkten präsentiert werden tatsächlich nur das zu kaufen, was er*sie sich vorgenommen hatte? Im Eifer des Gefechts landet schnell mal dies und das im Einkaufswagen, obwohl man es eigentlich nicht braucht, und später feststellt, dass man es gar nicht mehr haben will. Das ist wahrscheinlich den meisten von uns schon passiert.

Aber was ist eigentlich, wenn man nicht einfach so in den Supermarkt hineinspazieren und einkaufen kann, wonach einem gerade der Sinn steht? Wenn das Geld alle ist, der Kühlschrank leer und der Magen knurrt? Die Antwort lautet: Man geht zur Tafel.

Umverteilung

In Deutschland gibt es 934 Tafeln, die als gemeinnützige Vereine organisiert sind und überschüssige, qualitativ einwandfreie Lebensmittel sammeln, um sie an sozial und wirtschaftlich Benachteiligte zu verteilen. Mit ihrer schnellen und unbürokratischen Hilfe lindern die Tafeln die Folgen von Armut in einer reichen Gesellschaft und stehen für Solidarität und Mitmenschlichkeit. Die Tafel Göttingen feiert dieses Jahr ihr 24-järhiges Bestehen. Wesentlicher Bestandteil ihrer Arbeit ist es, Lebensmittel, die Supermärkte aussortieren und wegwerfen würden, zu retten und an die durchschnittlich rund 1.100 Kund*innen in Göttingen weiterzugeben. Zu der hiesigen Tafel kommen ca. 30 Prozent der Kund*innen seit über drei Jahren, einige wenige sind seit 10 Jahren dabei. Die Zahlen schwanken zwischen minimal 800 bis zu maximal 1.400 Menschen. Die Arbeit der Tafeln ist wichtig, dennoch wissen nur wenige Menschen darüber Bescheid. Auch aus diesem Grund hat sich in Göttingen die Junge Tafel [JuTa] gegründet. Um mehr über diese Initative zu erfahren, sprachen wir mit Sebastian, der die Junge Tafel vor fünf Jahren gemeinsam mit anderen initiert hat.

Hallo Sebastian, warum habt Ihr die JuTa gegründet und wie kam es dazu?

Damals haben sich einige junge, engagierten Leute als eine Art Arbeitsgruppe zusammengetan, um die die Arbeit der Göttinger Tafel zu ergänzen, mit neuen Impulsen zu bereichern und gerade auch für junge Menschen ein Anreiz zu schaffen, ehrenamtlich bei uns mitzuwirken. Deswegen auch der Name Junge Tafel, wobei wir nicht wirklich eine Altersgrenze haben ... Unser Hauptziel ist es, das Nachwuchsproblem der Tafel zu beheben und mittlerweile sind wir mit ungefähr 30 Leuten schon deutlich gewachsen.

Wie organisiert Ihr Euch?

Die JuTa ist eine ziemlich freie Organisation, ohne Chef*in oder feste Mitliederlisten. Jeder kann mit neuen Ideen und Projekten vorbeikommen und uns unterstützen. Wir sind über jedes Engagement dankbar! 

Was sind die Hauptaspekte Eurer Arbeit?

Wir wollen die Arbeit der Tafel sichtbar machen und zeigen, dass auch junge Leute sich engagieren und was erreichen können. Wir wollen neu und kritischer denken, lauter für die junge Generation werden. Deshalb haben wir beispielsweise das Projekt Tafel unterwegs ins Leben gerufen, um in Schulen und anderen Institutionen in Sachen Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit aufzuklären. Gerade die Lebensmittelnachhaltigkeit wird leider noch oft vernachlässigt. Wir wollen deutlich machen, dass die Verschwendung von Lebensmitteln auch ein soziales Thema ist und klären in diesem Zusammenhang über Armut auf. Dabei sollen vor allem Stigmata gelöst werden. Wir möchten die Schüler*innen empowern, ein Bewusstsein für Lebensmittel zu entwickeln und ihnen zeigen, dass es sich lohnt, sich zu engagieren, weil man etwas erreichen kann, auch wenn man noch jung ist.

Wie schafft Ihr dieses Bewusstsein?

Beispielsweise stellen wir uns und den Schüler*innen dann vor allem folgende Frage: „Warum und wo werden Lebensmittel weggeschmissen?“ Betrachtet man die Kette von der Produktion bis zum Mülleimer, wird deutlich, dass immer noch mit Abstand am meisten bei uns zuhause weggeschmissen wird. Supermärkte machen rund 5 Prozent der Lebensmittelverschwendung aus. Doch davon greifen wir, die Tafel, lediglich 1 Prozent ab. Auch wenn dieser eine Prozent schon massenhaft Ware ist, die in der Tafel weiterverteilt wird, müssen wir noch mehr tun. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Menschen keinen nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln erlernt haben, ist es wichtig, wieder einen Bezug zu Lebensmitteln herzustellen. Dass in einem hergestellten Produkt Wasser, CO2 und so viel mehr steckt. Denn durch einen bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen, schafft man gleichzeitig auch ein größeres Bewusstsein für Konsum und Verschwendung.

Wer kann man bei Euch mitmachen?

Im Grunde kann sich jede*r, der Interesse an unseren Themen hat und gerne in einer Gruppe an neuen Ideen arbeiten möchte, bei uns einbringen. Wir stehen für Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und sprechen uns laut gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie und jegliche Diskriminierungsformen aus. Unsere Arbeit besteht viel aus Selbstmanagement und -organisation. Wir sind eine Mischung aus Chaos und Struktur und geben jungen Menschen den Raum, zu Wort zu kommen und etwas zu bewegen in einer Gemeinschaft aus Leuten, die für dasselbe kämpfen. Wer sich darin sieht, kann gerne zu uns kommen und mit uns zusammenarbeiten!

 

Kontakt: juta@tafelgoettingen.org und www.tafelgoettingen.org/junge-tafel

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 17. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im Juni 2019.

 

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