Totschlag im Wald

#Lokales #Macht+Protest #Klima

Es ist ein magischer Ort. Nur wer selbst einmal im Dannenröder Forst gewesen ist, kann  nachvoll­ziehen, mit welchem Gefühl einem dieser Wald beschenkt. Angelehnt an einer mehreren hundert Jahre alten Eiche sitze ich im weichen Moos. Der Baum über mir ist 30 Meter hoch und so breit, dass ich ihn mit meinen ausgebreiteten Armen nicht annähernd umfassen kann. Markiert ist er mit einem weißen Strich. Das bedeutet, dass dieser Baum, wie so viele andere auch, dem Tod geweiht ist, denn er steht auf der geplanten Autobahntrasse und soll schon bald gefällt werden. Im Hintergrund höre ich die Stimmen der anderen Aktivist*innen, das Lachen der Kinder, die auf den selbstgebauten Schaukeln in den Bäumen spielen und die Gesänge der Frauengruppe aus dem anliegenden Dorf, die lautstark Lieder über die Natur, die Tiere und den Widerstand gegen den Totschlag in diesem gesunden Wald singen. Dennoch sind die Tage des Dannenröder Forsts gezählt. Ist das heute noch vertretbar?

[Text & Fotos: Jana Herbst]

Der „Danni“, wie viele den Dannenröder Forst nennen, ist ein 300 Jahre alter, ca. 1.000 Hektar großer, artenreicher Laubmischwald im ca. 130 Kilometer von Göttingen entfernten Mittelhessen. Seit dem 01.10.2020 haben hier die Fällarbeiten auf der geplanten Trasse der A49 begonnen, die mitten durch das Herz des Dannis sowie durch den nahegelegenen Herrenwald und den Maulbacherwald verlaufen soll. 85 Hektar gesunder, lebender, alter Wald wird damit unwiderruflich zerstört und ein wichtiger Lebensraum zerteilt. Seit über 40 Jahren setzen sich Bürgerinitiativen, Naturschützer*innen, Waldfreund*innen und Menschen wie Du und ich dafür ein, dass dieses Kleinod als funktionierendes Ökosystem erhalten bleiben darf. Dieser einst idyllische Ort ist das Zuhause von Rehen, Wildschweinen, tausenden Insekten-, Vogel- und Amphibienarten, wie z.B. den bedrohten Kammmolch, denen dieser Wald sein Fauna-Flora-Habitat [FFH] Schutzgebiet-Status verdankt. Darüber hinaus ist er seit circa einem Jahr auch das Zuhause von vielen Menschen geworden, die seit Monaten in selbstgebauten Baumhäusern leben, um den Wald zu beschützen.

 

Unverständliche Unsinnigkeit 

Doch dieses Zuhause ist zeitlich begrenzt. Unzählige gesunde Bäume wurden schon gefällt und bei jedem weiteren wird der Kloß in meinem Hals größer. Werden meine zukünftigen Kinder und Enkelkinder jemals dieses Freiheitsgefühl erleben können, das mir ein so alter, ehrwürdiger Wald wie dieser beschert? Was ist das für eine unverständliche Unsinnigkeit, wenn Bäume gefällt werden, die zum Teil mehr als 250 Jahre alt sind, Katastrophen, Krisen und Kriege überlebt haben und jetzt mir nichts, dir nicht einer schnöden Autobahn weichen müssen? Warum töten die Menschen in Mitten von Klimakrise, massenhaftem Arten- und Waldsterben einen gesunden, feuchten Wald und zerstören den Lebensraum von so vielen Lebewesen? Erschwerend hinzu kommt, dass das Gleental durch die geplante Autobahn verläuft. Dabei handelt es sich um ein Wasserschutzgebiet, das über eine halbe Millionen Menschen mit sauberem Trinkwasser versorgt. Deshalb hat sogar das Bundesverfassungsgericht eingeräumt, dass dieses ungeheuerliche Baumfäll-Projekt heutzutage nicht mehr genehmigt werden würde, weil es gegen die EU- Wasserrahmenrichtlinie verstößt. Nicht zuletzt weil der Bauplan auf Überlegungen der 70er Jahre beruht und demzufolge total veraltet. Spätestens im Jahr 2020, in dem wir nun endgültig im Klimanotstand angekommen sind, hätte diese Planung komplett neu überdacht werden müssen. Baurecht bedeutet nicht Baupflicht. Sollte nicht genau hier und jetzt für die Zukunft entschieden werden? Der Einhaltung des Pariser Abkommens und des 1,5 Grad-Ziels sowie einer ernsthaften Verkehrswende steht der Ausbau der A49 jedenfalls diametral entgegen. Dass dieser Dinosaurier der Verkehrsplanung nun dennoch umgesetzt wird, und das zu einer Zeit, in der es in einigen Gebieten Deutschlands bereits einen Wassernotstand gibt und weite Teile unserer Wälder wegen Hitze und Trockenheit absterben, ist nicht nur mir unbegreiflich. Und nein, auch die geplanten Ausgleichsmaßnahmen, wie beispielsweise Aufforstungen an anderer Stelle, werden ein jahrhundertlang gewachsenes Ökosystem eben nicht einfach so schnell ersetzen! Einzelne Bäume können zwar gepflanzt werden, aber bis daraus ein Wald wird, vergeht eine lange Zeit. Dabei sind alte Wälder unsere größten Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel und fungieren als Schatzkammern des Artenreichtums. Damit sind sie quasi unsere Lebensversicherung. Wie kann es sein, dass die Menschen, von denen wir regiert werden, immer noch nicht verstanden haben, dass die Natur und das Wasser die Lebensgrundlage unser aller Dasein sind und damit selbstverständlich von weitaus höherem öffentlichen Interesse sein müssten als der Bau einer weiteren Autobahn?

 

Gegen die Axt im Wald

Nun könnte ich die bewiesene Tatsache anführen, dass die drittgrößte Emissionsquelle in Deutschland der Verkehrssektor ist. Hinzufügen könnte ich auch noch einen Satz aus dem ersten Semester Stadtplanung: „Jede Straße zieht mehr Verkehr an.“ Das ist ein kausaler Zusammenhang, der sich nicht leugnen lässt. Ich könnte in Zahlen deutlich machen, wie absurd das Projekt A49 ist: Jeder gebaute Kilometer Autobahn kostet laut Spiegel Recherchen 10 Millionen Euro. Wenn man das Geld doch nur für den Ausbau alternativer Infrastruktur einsetzen würde! Doch auch diese und andere unschlagbaren Argumente ändern nichts daran, dass just in diesem Augenblick, in dem Du diese Zeilen liest, weitere Teile des Dannis daran glauben müssen. Auch politisch gesehen ist das Ganze ein großer Skandal, denn in Hessen sitzen Die Grünen mit in der Landesregierung und haben die A49 mitzuverantworten. Dass sie den Totschlag des Dannis im Koalitionsvertrag mit der CDU durchgewunken haben, hält Die Grünen, die ihren inhaltlichen Schwerpunkt bekanntlich auf ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit legen, jedoch nicht davon ab, im Nachhinein mit dem Finger auf Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, den Bauherren der Autobahn, zu zeigen, weil er diese Autobahn nun um jeden Preis durchsetzen will.

 

Wald statt Asphalt 

Seit einer ganzen Weile setze ich mich gegen den Weiterbau der A49 ein, pendle zwischen Göttingen und dem Danni, verbringe viel Zeit im Wald und muss mich in all dem aufkommenden Frust, dem Unverständnis über diese Ungerechtigkeit und die mangelnde Voraussicht der „Bauherren“ ständig daran erinnern, wozu ich mir das alles antue: Für eine bessere Welt. In der Überzeugung, dass wir selbst einstehen müssen für unsere Ideale, Hoffnungen und Träume. Und dafür, dass mir meine zukünftigen Kinder inmitten der Klimakrise nicht vorwerfen können, ich hätte nichts dagegen unternommen. Ich denke, darin liegt die Verantwortung die jede*r von uns in dieser privilegierten, westlichen Welt trägt: dass man auf seine Mitmenschen, die Natur und die Tiere achtet, dass man sich auch mal gegen das bestehende System stellt, wenn einem etwas nicht gefällt und das Mensch verstehen muss, dass wenn es irgendwann keine Menschen mehr auf diesem Planten geben wird, es trotzdem noch Wälder geben wird und neue entstehen werden. Der Planet und seine Wälder können auch ohne uns leben, aber wir nicht ohne sie.

 

Endzeitstimmung 

Drei Wochen nachdem ich diesen Artikel bis hierhin geschrieben habe, sitze ich in meinem WG-Zimmer, schaue auf den Baum vor meinem Fenster und bin wütend. Viel zu verteidigen gibt es im Danni mittlerweile nicht mehr. Von den ehemaligen 13 Baumhausdörfern stehen nur noch zwei. Die zunehmend größer werdende Schneise der Verwüstung reicht von Norden nach Süden und ist bald fertig gerodet. Ich bin total frustriert, während mir immernoch das tosende Geräusch der Harvester in den Ohren schallt. Der Wald war einer der friedlichsten Orte, an denen ich jemals sein durfte. Nun ist er seit Wochen von mehreren Hundertschaften der Polizei besetzt, die sich hinter meterhohen Stacheldrahtzaun am angrenzenden Feld verbarrikadiert haben. Bewaffnet mit Wasserwerfern maschieren SEK-Beamt*innen wie wildgewordene Irre durch den Wald und zerren die Aktivist*innen aus den Bäumen. Es wirkt wie eine Szene aus einem Endzeitfilm. Während sich ein grauer Schleier über den Wald gelegt hat, herrscht eisige Kälte und damit meine ich nicht den Schnee, der seit zwei Tagen auf den Waldboden fällt, sondern Folgendes: Aktivist*innen werden kriminalisiert, landen in Sammelunterkünften der Polizei oder in Krankenhäusern, weil Polizist*innen lebensgefährliche Unfälle verursachen und Wasserwerfereinsätze bei einstelligen Temperaturen auf der Tagesordnung stehen. Als Zeichen der Macht werden nun auch Elektroschocker eingesetzt. Es fühlt sich so an, als würde ein Krieg gegen die eigene Jugend geführt werden. Besorgte Bürgerinitiativen, eine wöchentliche Ü-60-Sitzblockade, Anwohner*innen aus der Umgebung und die Kirche stellen sich nun auch schützend vor die Aktivist*innen. Dies alles reicht aber nicht aus. Der Danni ist zu einem generationsübergreifenden Symbol geworden, ein Symbol für eine dringende Verkehrswende, für eine Abkehr von der rücksichtslosen, kapitalorientierten Industrie-gesellschaft und für eine klimagerechte sowie nachhaltige Zukunft. Ich bin enttäuscht, weil ich es nicht verstehen kann, wie man aufgrund moralisch nicht vertretbarer Autobahnverträge mit unserer Zukunft bricht. Ich bin wütend, weil Die Grünen, während ich hier sitze und schreibe, ihre Kampagne für die Kommunalwahl 2021 starteten, mit dem erklärten Ziel: „für ein ökologischeres, mobileres, digitaleres und sozialeres Hessen“. Ich bin wütend, weil der Bau dieser Autobahn keine demokratische Entscheidung war. Auch wenn die CDU in Hessen 7.000 Unterschriften für den Ausbau der Autobahn gesammelt hat, zeigte sich in den letzten Wochen durch 245.000 Gegenstimmen ein großer Widerstand in der Gesellschaft. Letztendlich kann ich die nachfolgende Generation nur noch um Verzeihung bitten, weil wir den Planeten Erde und den Wald nicht zu schätzen wissen. Weil die Menschen, die in diesem Land etwas zu sagen haben, nicht zu würdigen wissen, was uns am Leben hält. Auch den Wald möchte ich um Verzeihung bitten, weil die Menschen so arrogant, rücksichtslos und unreflektiert mit ihm umgehen, nur um wirtschaftliche und machtpolitische Interessen durchzusetzen. Nun sitze ich hier und muss mir Mühe geben, nicht in einen Strudel aus Unverständnis, Ungerechtigkeit und Ohnmacht zu fallen. Ich werde weitermachen. Weil ich immer noch daran glaube, dass eine andere Welt möglich ist, und weil wir das der nächsten Generation schuldig sind.

 

Hier seht Ihr unsere Autorin Jana. Sie ist Mitte 20, studiert Bildungswissenschaft und kann bei umweltbezogenen und sozialen Problemen nicht wegschauen. Stattdessen muss sie handeln. Ihre Freunde würden über sie sagen, dass sie leckeres, veganes Bananenbrot backt und denkt, dass jeder etwas zu sagen hat, aber oft passt es ihr einfach nicht, wer das Sagen hat. 

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 24. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im November 2020.

 

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