Über die Armseligkeit unserer Universität

#Macht+Protest #Lokales #Arbeit+Leben #Studieren

Der lateinische Begriff „Alma Mater“ gilt im deutschsprachigen Raum als geläufige Bezeichnung für Universitäten: „alma“ bedeutet nährend, gütig und „mater“ heißt Mutter. Doch wirft man einen Blick auf die teilweise prekären Beschäftigungsverhältnisse an der Georg-August-Universität, bekommt man den Eindruck, dass diese im Umgang mit ihren wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen weder Mütterlichkeit noch Güte, sondern Armseligkeit an den Tag legt. Dagegen protestiert die Göttinger Kampagne UNI GÖTTINGEN UNBEFRISTET!

[Text: Vanessa Pegel | Fotos: Uni Göttingen Unbefristet]

 

An der Georg-August-Universität arbeiten derzeitig rund 5.500 Menschen – ungefähr die Hälfte davon im wissenschaftlichen Bereich. Damit ist unsere „Alma Mater“ nach Sartorius und der Universitätsmedizin die drittgrößte Arbeitgeberin unserer schönen Stadt. Wenn man an der Uni Karriere machen möchte – und das wollen viele –, dann muss man sich auf einen steinigen Weg gefasst machen, der nicht selten in einer Sackgasse endet. Seitdem 2007 das Wissenschaftszeitvertragsgesetz in Kraft getreten ist, darf die Uni das, wofür ein Unternehmen in der freien Wirtschaft ordentlich Ärger mit dem Arbeitsgericht bekommen würde: Sie darf ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen bis zu deren Habilitation über einen Zeitraum von insgesamt zwölf Jahren mit einer Aneinanderreihung von halb-, ein-, zwei- oder dreijährig befristeten Arbeitsverträgen abspeisen. Und wie heißt es so schön? Wer darf und kann, der macht es auch! So kam es dazu, dass sich die Georgia Augusta – wie so ziemlich alle deutschen Universitäten – mehr und mehr in eine Art Zeitarbeitsunternehmen verwandelt hat, in dem sich die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten hangeln müssen. Nachdem der Anteil „unsachgemäßer“, d.h. unsinniger oder sogar missbräuchlicher, kurzzeitig befristeter Beschäftigungsverhältnisse an deutschen Universitäten, der Bundesregierung zufolge, „ein nicht mehr vertretbares Maß“ angenommen hatte, wurde das Wissenschaftszeitvertragsgesetz 2016 zwar ein bisschen reformiert, aber richtig gebracht hat es nichts. Seither sollen wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, für deren Doktorarbeiten regulär drei Jahre vorgesehen sind, auch grundsätzlich für diese Zeit an einer Hochschule beschäftigt werden. Doch die Realität sieht häufig anders aus. Um auf die daraus entstehende Problematik aufmerksam zu machen, haben sich Mitte letzten Jahres einige Wissenschaftler*innen und Zugehörige des wissenschaftsunterstützenden Personals zusammengefunden und die Kampagne UNI GÖTTINGEN UNBEFRISTET! ins Leben gerufen. Wir trafen uns mit der Erziehungswissenschaftlerin Christiana Bers und dem Soziologen Vincent Lindner.

Permanente Unsicherheit

Auch wenn sich Christiana Bers mit ihrem Drei-Jahres-Vertrag im Vergleich zu den meisten ihrer Kolleg*innen „relativ sicher“ fühlt, empfindet sie es gleichzeitig als absurd, unter diesen Umständen von Sicherheit zu sprechen. Wie fast alle wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Uni Göttingen – von denen nur 11 Prozent einen unbefristeten Vertrag haben – stellt auch sie sich folgende Fragen: Wieviel Flexibilität darf man von Wissenschaftler*innen und Lehrkräften erwarten? Wie häufig muss man während seiner beruflichen Laufbahn umziehen? Wie kann man sich unter diesen Umständen irgendwo zuhause fühlen, eine langfristige Partnerschaft führen, eine Familie gründen, Kinder bekommen und vernünftig großziehen oder einen Kredit aufnehmen, um sich ein Auto oder eine Wohnung zu kaufen? „So große Lebensentscheidungen funktionieren einfach nicht, wenn ständig das Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit über einem schwebt und man einen großen Teil seiner Zeit dazu gezwungen ist, nach einer neuen Stelle oder besseren Karriere­möglichkeiten zu suchen“, sagt die Erziehungswissenschaftlerin. „Mal ganz davon abgesehen, dass ich die Personalpolitik der Uni als keine große Wertschätzung der Arbeitskraft ihrer Mitarbeiter*innen empfinde, will es mir auch einfach nicht einleuchten, warum es keine Dauerstellen für Daueraufgaben gibt, und die Lehre ist doch nun mal eine Daueraufgabe der Universität.“

Das System der nicht enden wollenden  Befristung

Fragt man sich, warum dieses System der nicht enden wollenden Befristung – für das ein Wirtschaftsunternehmen, wie gesagt, richtig eins auf die Mütze kriegen würde – überhaupt zulässig ist, bekommt man dieses Argument als Antwort: Weil es sich dabei um Qualifikationsstellen handelt. Aha. Die Inhaber*innen dieser Stellen, die als Dozent*innen Studierende unterrichten und/oder in der Forschung arbeiten, lernen also etwas dazu, um ihren Job noch besser zu machen und sich dann Doktor*in und später Professor*in nennen zu dürfen. Wie schön! Aber gilt das Prinzip der Qualfikation nicht fast immer, überall und vielleicht sogar lebenslang, im öffentlichen Dienst genauso wie in der freien Wirtschaft, nur dass man sich dort eben nicht zum Doktor der Physik, sondern zur Sales-Managerin bei Schnubbeldiwupps oder zum Bürgermeister von Göttingen hocharbeiten kann? „Und der größte Witz ist: Die viel gepriesene Qualifikation findet als Uni-Bedienstete*r hauptsächlich in der Freizeit statt“, sagt Christiana. „Die meisten Doktorant*innen schreiben ihre Promotion auf einer halben Stelle und natürlich arbeiten sie in der Realität nicht nur vier Stunden am Tag, denn dann würden sie nicht in der vorgegebenen Zeit mit ihrer Doktorarbeit fertig werden. Also kann man sich schon mal fragen: Was bietet einem die Uni eigentlich? Einen Arbeitsplatz? Auch das nicht so richtig, weil sich der Raumbedarf an der Wochenarbeitszeit orientiert: halbe Stelle gleich halber Schreibtisch“, stellt Christiana fest. 

 

Bildungsauftrag falsch interpretiert?

Der Soziologe Vincent Lindner weiß, wie es ist, wenn Verträge auslaufen. Darin unterscheidet er sich nicht von der Mehrheit seiner Kolleg*innen. Immer wieder sind Wissenschaftler*innen gezwungen, sich mit einem Anschlussvertrag auseinanderzusetzen. Das nimmt ihnen wichtige Zeit für ihre eigentliche Arbeit und schränkt die Effizienz der Universität als Ganzes erheblich ein. „Auch den Studierenden bereitet es Probleme, wenn ihre Dozent*innen plötzlich von der Bildfläche verschwinden“, sagt Vincent. „Wenn meine Seminarteilnehmer*innen am Ende dieses Semesters ihre Hausarbeiten abgeben, bin ich noch zwei Wochen hier, um sie zu korrigieren. Aber wenn sie nachfragen wollen, warum ich ihnen eine bestimmte Note gegeben habe, bekommen sie keine Antwort, weil ich dann weg bin“, sagt Vincent leicht frustriert. „Ich habe das Gefühl, dass derartige Probleme seitens der Uni-Leitung überhaupt nicht mitbedacht werden. Sie baut junge Lehrkräfte und Wissenschaftler*innen auf, schickt sie auf Fortbildungen, Konferenzen und Summer Schools und lässt sie hochschuldidaktische Zertifikate machen, um sie dann gut ausgebildet wegzuschicken und mit jemand Neuem von Vorne anzufangen. Dabei besteht ihr eigentlicher Auftrag doch darin, ihre Studierenden auszubilden und Forschung zu betreiben.“ Wäre die Uni ein wirtschaftlich denkendes Unternehmen – und als solches betrachtet sie sich durchaus – dann wäre ihre Vorgehensweise ziemlich paradox. Sie wäre ein Betrieb, der die Investition in die Qualifikation seiner Mitarbeiter*innen zum Fenster hinaus wirft, indem er sie vor die Tür setzt, nachdem sie soviel Wissen und Erfahrungen angesammelt und Netzwerke aufgebaut haben, um einen richtig guten Job zu machen. Und der besteht als Wissenschaftler*in doch nun mal darin, gute Lehre und möglichst nützliche Forschung zu machen, dennoch dreht es sich darum scheinbar nur am Rande. 

Geldeintreiben und Selbstmarketing

Dass es an deutschen Hochschulen nicht so ganz mit rechten Dingen zugeht, sieht man auch daran, nach welchen Kriterien sie die Qualitäten ihre Nachwuchskräfte beurteilen. Dabei geht es nicht etwa darum, ob sie ihren eigentlichen Job gut machen, sondern darum, wieviele Fördergelder [Drittmittel] sie schon eingeworben und wieviele wissenschaftliche Artikel sie bereits veröffentlicht haben [Interessantheitsgrad egal, Hauptsache er entspricht dem Mainstream und wird möglichst oft zitiert]. Statt Forschen und Lehren stehen also Geldeintreiben und Selbstmarketing ganz oben auf der Qualifikations-Agenda. Im Jahr 2018 hat die Georg-August-Universität insgesamt 108 Millionen Euro Drittmittel eingeworben. Wieviele wissenschaftliche Mitarbeiter*innen an dieser Mission beteiligt waren, wieviele Anträge [abgelehnte inklusive] sie statt ihrer Doktorarbeit geschrieben haben, wie lange sie damit insgesamt beschäftigt waren und vor allem was diese Wissenschaftler*innen mit ihrer Zeit alles Sinnvolleres hätten anfangen können, sind spannende Fragen, die man vielleicht mal empirisch untersuchen und kritisch hinterfragen könnte. 

Reif für die Insel

Obwohl Christiana Bers derzeitig sehr zufrieden mit ihrem Arbeitsplatz ist, fragt sie sich, ob es sich überhaupt lohnen würde, wenn sie innerhalb der nächsten fünf Jahre ihre Habilitation schreibt. „Es ist ja nicht so, dass man sich nur zweimal qualifizieren muss und dann endlich irgendwo unbefristet als Lehrende und/oder Forschende arbeiten darf! Auch dann hätte ich keine wirkliche Aussicht auf einen festen Job“, sagt Christiana. Denn Professuren gibt es nun mal nicht wie Sand am Meer und als Privatdozent*in, also als Professor*in auf der Reservebank, könnte man man auch gleich in den von UNI GÖTTINGEN UNBEFRISTET! für eine Aktion ins Leben gerufenen Bettel­orden der Lehrbeauftragten eintreten [siehe Foto auf Seite 7], aber nur, wenn man seinen Humor noch nicht verloren hat, obwohl man als Lehrbeauftragte*r eine Art Wanderarbeiter*in ist und oftmals froh sein kann, wenn man für 700 Euro im Monat ein Seminar geben darf. Aber für wen oder was qualifiziert die Uni dann eigentlich am laufenden Band diesen Strom an frustrierten Nachwuchswissenschafler*innen? Für das „richtige“ Leben? Was soll das sein? Für die freie Wirtschaft? Oder reif für die Insel? Wenn man sich rund 20 Jahre lang seines Lebens – Studium eingeschlossen – an der Uni abgerackert hat, während man das Kinderkriegen vor sich her geschoben und einen Großteil seiner Freizeit damit verbracht hat, zuerst seine Promotion und dann seine Habilitation zu schreiben, um dann als 40-Jährige*r mit Doktor-Grad und beinahe Professur auf der Straße zu sitzen, dann wirkt man auf viele Entscheider*innen in der Wirtschaft als „zu verkopft“ – also zu theoretisch und nicht genügend praxisorientiert – und spätestens dann fühlt man sich doch von dieser Welt total verarscht. Daher muss es wohl Tor drei sein: Reif für die Insel. 

Arm dran, aber gut drauf

Um das Präsidium der Georgia Augusta dazu zu animieren, ihre Beschäftigungspolitik noch einmal zu überdenken, braucht die Kampagne UNI GÖTTINGEN UNBEFRISTET! soviel Unterstützung, wie sie kriegen kann. „Wir möchten möglichst viele Menschen dazu motivieren, sich uns anzuschließen“, sagt Christiana. Dabei gehe es ihnen nicht darum, Krawall zu  machen, sondern darum, Sichtbarkeit für die Problematik zu erzeugen und klar zu stellen, dass niemand mit seinem Befristungs-­Dilemma alleine dasteht. „Deshalb wäre es beispielsweise toll, wenn in den Küchen aller Fachbereiche einer von unseren Uni göttingen Unbefristet!-Bechern platziert werden würde, damit man darüber vielleicht mit seinen Kolleg*innen ins Gespräch kommt“, sagt Christiana und Vincent fügt hinzu: „Wir sind kein formaler Verein, in den man eintreten kann, sondern eine Kampagne, bei der man einfach mitmachen kann. Wer sich irgendwie einbringen möchte, schreibt uns bitte gerne eine E-Mail an uni­-goettingen-unbefristet@posteo.de. Dann gucken wir gemeinsam, welche Aufgaben gerade anstehen und individuell passen könnten, wie beispielsweise Becher platzieren, Flyer verteilen, an spannenden Workshops bei VERDI teilnehmen oder einfach unseren UNI UNBEFRISTET-Aufkleber an einer guten Stelle anbringen. Wir sind eine schöne Gemeinschaft, in der man alles machen kann, was im akademischen Alltag nicht geht: verrückte Aktionen, die nicht perfekt sein müssen, aber sehr viel Spaß machen“, gerät Vincent fast schon ins Schwärmen. Im Januar wird die Gemeinschaft ihre Postkarten-Aktion ZUM WOHLE ALLER! starten, um sich mit einer kleinen, anonymen Umfrage ein Meinungsbild über die Arbeitsplatzzufriedenheit an der Georgia Augusta zu verschaffen, und um unsere „Alma Mater“ daran zu erinnern, dass dies offiziell auch ihr eigener Leitspruch ist: „ZUM WOHLE ALLER. 

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 20. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im Januar 2020.

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