Vom Wissen zum Handeln

  #Macht+Protest #Kultur #LebenLernen #Lokales

Eine Klimaprotestaktion der ganz besonderen Art hatte vom 14. bis 16. April 2023 im Forum Wissen Premiere: Weil das Museum die Klimakrise aktuell nicht in seinem Ausstellungsprogramm thematisiert, nahm die Göttinger Ortsgruppe der Bewegung „EndFossil:Occupy!“ die Sache selber in Hand und enterte die Räumlichkeiten, um dort ihre in Eigenarbeit konzipierte Schau „Vom Wissen zum Handeln“ zu präsentieren.

[Text: Marie Bullerschen | Fotos: lilagruen.org & Hendrik Bammel]

„Lernort contra Musentempel“ – dieses Deutungsduell um die Institution „Museum“ wurde Mitte der 1970er Jahre von einer Reihe reformfreudiger Kunst- und Kulturwissenschaftler:innen ausgetragen. Im Ring standen zwei Konzepte des Museums, deren Unterschied in der Funktion der in ihnen ausgestellten Objekte liegt: Der „Tempel“ inszeniert das Exponat als Schöpfung inspirierter Künstler:innen. Der „Lernort“ hingegen setzt dasselbe Ausstellungsobjekt in den Kontext der historischen Formung von Natur und Gesellschaft durch den Menschen. Siegreich verließ letzten Endes der Lernort das Schlachtfeld: Museen, so die Forderung der vor fast fünfzig Jahren auf einen gemeinsamen Nenner Kommenden, müssten stets der gegenwärtigen Lebensrealität seiner Besucher:innen gerecht werden. 

Im 21. Jahrhundert mutet dieser Appell fast suggestiv an. Joachim Baur, ein Museumswissenschaftler der Gegenwart, verweist in einem von ihm herausgegebenen Sammelband auf die noch immer vorherrschende Tendenz der modernen Museologie zum partizipativen Ende des Musentempel-Lernort-Spektrums: Museen sollen anstreben, Foren zu sein – Institutionen „des Dialogs und der Debatte, der Innovation und des Experiments, der Partizipation und Demokratie.“

 

Das Museum als Forum des Dialogs 

Das Forum ist laut Duden eine Plattform, ein geeigneter Ort für eine öffentliche Diskussion. Seit Juni 2022 ist dieser geeignete Ort für viele Göttinger:innen mit dem Terminus „Wissen“ verschwestert. Angesichts der Mitarbeit Joachim Baurs an der Basisausstellung des Forum Wissen, ist es bestimmt kein Zufall, dass man auf der Website des Hauses trotz der stark museumsverdächtigen, insgesamt 15-räumigen Dauerausstellung „Räume des Wissens“ wechselnde Sonder- sowie die bisher drei virtuellen Ausstellungen nach der Eigenbezeichnung „Museum“ geduldig suchen muss. 

Die deklarierte Mission des Forum Wissen ist, Anstöße zu geben, „eigene Positionen zu beziehen, Forderungen an die Wissenschaft zu stellen und sich in den facettenreichen Prozess des Wissen-Schaffens einzubringen.“ Es will den eigenen Namen also Programm sein lassen: Es will ein geeigneter Ort für beziehungsweise ein Raum der öffentlichen Diskussion über das Wissen-Schaffen sein. 

EndFossil:Occupy!

Die Göttinger Ortsgruppe der Klimagerechtigkeitsbewegung „EndFossil:Occupy!“ [ab hier: EndFossil] nahm das Forum Wissen in dieser Hinsicht beim Wort und forderte die konsequente Gerecht-Werdung seiner partizipatorischen Ansprüche heraus. So zog eine von den Aktivist:innen eigens kuratierte Sonderausstellung mit dem Titel „Wissen schafft Handeln?“ am Freitag, den 14. April 2023, unangekündigt in die Räume der Basisausstellung ein. In Eigenarbeit recherchierte, formulierte und schließlich installierte Ausstellungstafeln zum wortwörtlich brennenden Thema der Klimakrise lenkten für ein Wochenende den Forumsfokus vom Wissen-Schaffen aufs Handeln. 

Viel Wissen, zu wenig Handeln

Die Motivation der Klimagruppe sei es, so der EndFossil-Aktivist Jonathan Groß, „die Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln darzustellen, darauf aufmerksam zu machen und dann auch Lösungsansätze zu bieten, die sich eben nicht auf die individuelle Verantwortung verlagern, sondern den gesellschaftlichen Handlungsspielraum aufzeigen und versuchen, die Leute dazu zu motivieren, selbst politisch aktiv zu werden.“ Hier fädelt sich der rote Faden der Ausstellung entlang: Auf der einen Seite steht die Konfrontation mit dem, was wir bereits über die Klimakrise wissen [die Inkompatibilität von Flugzeugfliegen, Fleischessen und Fast Fashion mit einer 1,5-Grad-Grenze, das kennen die meisten wohl mittlerweile aus dem Effeff] und auf der anderen Seite manifestiert sich der Verweis auf das mangelnde politische und gesellschaftliche Gegensteuern. Einer der Einleitungstexte zur Sonderausstellung fragt weiter: „Wie lässt sich […] erklären, dass unser kollektives Handeln noch immer so zaghaft ausfällt? Welche psychologischen Mechanismen lähmen uns, welche geben uns Handlungsfähigkeit?“

Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, verwandelten die Aktivist:innen die im Forum vorgefundenen „Räume des Wissens“ in Räume „der Diskrepanz“ oder „der realen Utopien“. Der Trick bedurfte keiner Zauberformeln: Tischdecken verdeckten die Vitrinen der Basisausstellung, sodass der Blick der Besucher:innen vollständig auf die selbst mitgebrachten und mit Vorsicht platzierten Stellwände, Plakate und Objekte gelenkt wurde. Ihre Message konnte die Klimagruppe so zwar unangekündigt, dank ihrem verantwortungsvollen Umgang mit den Räumlichkeiten des Forum Wissen jedoch ungestört in Szene setzen. Warum ungestört? Ein Kommunikationsteam der Klimagruppe überzeugte das Museumsteam unmittelbar zu Beginn der Aktion von den Motiven des Protestes. 

Zu leise Töne aus redaktionellen Sprachrohren

Die reine Existenz einer Ausstellung vermag aus museumswissenschaftlicher Perspektive allerdings noch lange nicht, Aussagen darüber zu treffen, inwiefern und für wen das in ihrem Rahmen behandelte Thema auch gesellschaftlich für relevant befunden wird. Erst das Zusammenspiel zwischen der Konzeption und der öffentlichen Reaktion auf eine Ausstellung kann als Gradmesser ihrer gesellschaftlich wahrgenommenen Wichtigkeit dienen. Kritik, Lob und Streit – oder kurz: der Diskurs – geben Aufschluss darüber, ob die präsentierte Problematik als solche von der Zielgruppe anerkannt wird. 

Die mediale Resonanz während und im Anschluss an die Aktion fällt wohl am ehesten in die Kategorie „gedämpfte Schwingung“. Auf der Frequenz des StadtRadios Göttingen erklang ein 4-minütiger Hörbeitrag, das Göttinger Tageblatt [GT] lässt seinen Artikel leider hinter einer Paywall verstummen. Nur die Hessisch/Niedersächsische Allgemeine [HNA] gewährt auch ihren zur Zahlungsunwilligen und/oder -unfähigen Leser:innen Zugang zu ihrer Recherche zur Sonderausstellung, wenngleich diese sich auf den Tag der Ausstellungseröffnung beschränkt. 

Auch überregionale Medienhäuser wie das ZDF oder der NDR beobachteten den Aufbau der Ausstellung vor Ort, doch damit hatte es sich dann auch. Wahrscheinlich führte das ausbleibende Anrücken von Hundertschaften innerhalb kürzester Zeit zum Abzug der Journalist:innen…

Ein Auf und Ab der öffentlichen Aufmerksamkeit 

Geradezu ironisch, dass sich einer der von EndFossil kuratierten Ausstellungsräume der Rolle der Presse auf der Bühne des Klimakrisendramas widmete: Im „Hörsaal“ des Forum Wissen konfrontierten die Aktivist:innen die Besucher:innen ihrer Ausstellung mit Narrativen der Medien, die „viel zu häufig eingebettet sind in eine imperiale Lebensweise, die keine progressiven Veränderungen in Richtung einer klimagerechten Welt“ zulasse. 

Die mangelnde Berichterstattung über die sowohl museums- als normalbürger:innenfreundliche Protestaktion durch die überregionale Presse befördere noch ein anderes Narrativ, so Jonathan Groß: das der radikalen Klimaaktivist:innen, die durch ihre destruktiven Protestformen mal Autofahrer:innen, mal Monet-Werke gefährdeten. Journalist:innen seien dementsprechend mitverantwortlich für die Radikalisierung der Protestformen. Die mehrheitlich nach provokanten Schlagzeilen lechzende Berichterstattung dränge Aktivist:innen dazu, zu immer rigoroseren Mitteln des zivilen Ungehorsams zu greifen, weil – so Jonathan Groß – „nur das die Aufmerksamkeit bringt, die eben so dringend notwendig ist, um auf das kurze, sich schließende Zeitfenster aufmerksam zu machen, das uns noch bleibt, um die schlimmsten Klimafolgen abzuwenden.“

Die Rezeption der unangekündigten Sonderausstellung durch die Besucher:innen lässt hingegen Hoffnung schöpfen. Rund 2.000 Interessierte informierten sich in dem von EndFossil geschaffenen Rahmen über die Auswirkungen und verbleibenden Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der Klimakrise. Kleineren Kritiken bezüglich der mangelnden Interaktivität der Ausstellung begegneten die Aktivist:innen mit der spontanen Installation von Kommentarwänden und Abstimmungsoptionen. Auch ein Gästebuch bot die Möglichkeit, Verbesserungsvorschläge oder Lob zu hinterlassen - wobei Letzteres deutlich überwog. 

Auch das Forum Wissen – also der Lernort selbst – bewies Lernbereitschaft. Zwar seien, so Jonathan Groß, die Reaktionen des Museumsteams zunächst „durchaus durchmischt“ gewesen. Eine gewisse Bangnis um die Kartoffelbrei- und Tomatensuppenlosigkeit der Ausstellungsexponate kann man ihnen nicht verübeln. Der behutsame Umgang der Aktivist:innen mit den „Räumen des Wissens“ habe jedoch letzten Endes eine geschlossen positive Reaktion seitens des Museumsteams hervorgerufen. Statt Gegenwehr wurden EndFossil Unterstützung und vor allem Dialogbereitschaft entgegengebracht. In einem Blogpost des Forum Wissen vom 19. April 2023, drei Tage nach der Schließung der Sonderausstellung, kündigt es an, gemeinsam mit der Klimagruppe überlegen zu wollen, was es tun könne, „um das Thema Klimakrise stärker als bisher in die Öffentlichkeit zu tragen.“

 

Jetzt handeln!

Inwieweit die Forderungen der Klimagruppe umgesetzt werden, wird sich noch zeigen. Sowohl im Nachgespräch zwischen EndFossil und dem Forum Wissen als auch im erwähnten Blogpost wies der wissenschaftliche Leiter Christoph Bleidorn des Hauses auf das sich in der Planung befindliche Biodiversitätsmuseum hin, in dessen Ausstellung klimabezogene Themen wie „Artensterben“ gebührend Platz finden sollen. Die Nachfolgeinstitution des 2017 geschlossenen Zoologischen Museums soll allerdings erst 2025 im zweiten Obergeschoss des Forum Wissen eröffnet werden. EndFossil-Aktivist:innen wie Jonathan Groß fordern daher, dass sich das Forum Wissen in seiner Kooperationswilligkeit nicht auf dieses gemütliche In-Aussicht-Stellen beschränkt, sondern bereits im Jahr 2023 als ein partizipativer Lernort, ein Forum, als ein geeigneter Ort für die öffentliche Diskussion der Klimakrise agiert.

Die von EndFossil gewählte Form des zivilen Ungehorsams überrascht zwar durch ihre Friedsamkeit – weder Gastgeber:innen noch Besucher:innen der Ausstellung sollten dabei allerdings das eigentliche Anliegen der Aktivist:innen aus den Augen verlieren: Das Drängen, „vom Wissen zum Handeln“ zu gelangen. 

Wie zu Beginn gezeigt, sind Eigenwahrnehmung und Funktion der Institution „Museum“ divers – „Wie man ins Museum hineinfragt, so schallt es heraus“, bringt es der eingangs zitierte Museumswissenschaftler Joachim Baur auf den Punkt. Sich als Lernort präsentierend, darf und muss es das Forum Wissen daher als seine Prädestination verstehen, die Lebensrealität seiner Besucher:innen einzubeziehen und Handlungsoptionen aus der werdenden – oder um genau zu sein: bereits bestehenden – Klimakatastrophe anzubieten. 

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Die Materialien zur unangekündigten Sonderausstellung „Vom Wissen zum Handeln“ stellt die Göttinger Ortsgruppe von EndFossil übrigens online für alle Interessierten auf ihrer Website zur Verfügung: https://goettingen.endfossil.de/infomaterial-share/. Über personelle Unterstützung freut sich EndFossil auch – ob bei ausufernden Museumsbesuchen, bei ganz und gar hypothetischen Hörsaalbesetzungen irgendwann im Mai oder bei anderen künftigen kreativen Ungehorsamkeiten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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