Vom Wissen zum Handeln

  #Macht+Protest #Kultur #LebenLernen #Lokales

Weil das Forum Wissen die Klimakrise nicht in seinem Ausstellungsprogramm thematisiert hatte, nahm die Göttinger Ortsgruppe der Bewegung "EndFossil:Occupy!" die Sache selber in Hand und enterte das Göttinger Museum, um dort ihre in Eigenarbeit konzipierte Schau "Vom Wissen zum Handeln?" zu präsentieren. Möglicherweise habt Ihr davon nichts mitbekommen, weil nur wenig darüber berichtet wurde. Das ist sehr schade, denn wo konstruktive Protestformen kein Gehör mehr finden, wird dem radikalen, destruktiven Klimaaktivismus der Weg bereitet. 

[Text: Marie Bullerschen | Fotos: lilagruen.org & Hendrik Bammel]

Die Nutzung von Guerillataktiken muss nicht zwingend mit Gewalt enden - das bewies am 14. April 2023 die Klimagerechtigkeitsbewegung EndFossil: Occupy! Ohne vorherige Absprache mit der Museumsleitung besetzten die Aktivist:innen das Forum Wissen und verdeckten die ursprünglichen Exponate der aktuellen Dauerausstellung mit ihren eigenen, kreativen und vor allem äußerst informativen Klimagerechtigkeits-Kunstwerken. So verschob sich der Forumsfokus für ein Wochenende vom Wissen-Schaffen auf das Gegen-die-Klimakrise-Handeln. Auf starken Gegenwind seitens der Museumsleitung stieß die Aktion erfreulicherweise nicht: Aufgrund des verantwortungsvollen Umgangs der Aktivist:innen sowohl mit den Exponaten der Dauerausstellung als auch mit den Wünschen und Sorgen des Personals durften die kuratorischen Laien ihr Anliegen ungestört den Museumsbesucher:innen nahebringen. 

Viel Wissen, zu wenig Handeln

In der Diskrepanz zwischen dem Wissen und Handeln im Rahmen der Klimakatastrophe lag der rote Faden der Ausstellung: Auf der einen Seite stand die Konfrontation mit dem, was wir bereits über die Klimakrise wissen [die Inkompatibilität von Flugzeugfliegen, Fleischessen und Fast Fashion mit einer 1,5-Grad-Grenze – das kennen die meisten wohl mittlerweile aus dem Effeff]. Auf der anderen Seite manifestierte sich der Verweis auf das mangelnde politische und gesellschaftliche Gegensteuern. Einer der Einleitungstexte zur Sonderausstellung fragte weiter: „Wie lässt sich […] erklären, dass unser kollektives Handeln noch immer so zaghaft ausfällt? Welche psychologischen Mechanismen lähmen uns, welche geben uns Handlungsfähigkeit?“ Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, verwandelten die Aktivist:innen die im Museum vorgefundenen „Räume des Wissens“ in Räume „der Diskrepanz“ oder „der realen Utopien“.

Viel zu leise Töne

Blickt man auf die Reaktionen der Forumsleitung und der Besucher:innen war die Aktion ein voller Erfolg. Die mediale Resonanz während und im Anschluss an die Aktion fällt allerdings am ehesten in die Kategorie „gedämpfte Schwingung“. Auf der Frequenz des StadtRadios Göttingen erklang ein Vier-minütiger Hörbeitrag, das Göttinger Tageblatt ließ seinen Artikel leider hinter einer Paywall verstummen.  Nur die Hessisch/Niedersächsische Allgemeine [HNA] gewährte auch ihren zur Zahlung unwilligen und/oder unfähigen Leser:innen Zugang zu ihrer Recherche, wenngleich sich diese nur auf den Tag der Ausstellungseröffnung beschränkt. Auch überregionale Medienhäuser wie das ZDF oder der NDR beobachteten den Aufbau der Ausstellung vor Ort, doch damit hatte es sich dann auch. Wahrscheinlich führte das ausbleibende Anrücken von Hundertschaften innerhalb kürzester Zeit zum Abzug der Journalist:innen … 

Geradezu ironisch, dass sich einer der von EndFossil kuratierten Ausstellungsräume der Rolle der Presse auf der Bühne des Klimakrisendramas widmete: Im „Hörsaal“ des Forum Wissen konfrontierten die Aktivist:innen die Besucher:innen ihrer Ausstellung mit Narrativen der Medien, die „viel zu häufig eingebettet sind in eine imperiale Lebensweise, die keine progressiven Veränderungen in Richtung einer klimagerechten Welt“ zulasse. 

Zerstörung bringt Schlagzeilen

Die mangelnde Berichterstattung über die sowohl museums- als normalbürger:innenfreundliche Protestaktion durch die überregionale Presse befördere noch ein anderes Narrativ, so der EndFossil-Aktivist Jonathan Groß: nämlich das der radikalen Klimaaktivist:innen, die durch ihre destruktiven Protestformen mal Autofahrer:innen, mal Monet-Werke gefährdeten. Journalist:innen seien dementsprechend mitverantwortlich für die Radikalisierung der Protestformen. Die mehrheitlich nach provokanten Schlagzeilen lechzende Berichterstattung dränge Aktivist:innen dazu, zu immer rigoroseren Mitteln des zivilen Ungehorsams zu greifen, weil – so Jonathan Groß – „nur das die Aufmerksamkeit bringt, die eben so dringend notwendig ist, um auf das kurze, sich schließende Zeitfenster aufmerksam zu machen, das uns noch bleibt, um die schlimmsten Klimafolgen abzuwenden.“ Die im Vergleich dazu ausschweifende Dokumentation einer Aktion der Letzten Generation auf dem Göttinger Klima-Markt am 17. Juni 2023 scheint diese These zu bestätigen: Eine Öl imitierende Aktivkohlemasse wurde öffentlichkeitswirksam von den Aktivist:innen in den frisch restaurierten Gänselieselbrunnen gekippt - prompt folgten Meldungen aus nicht nur lokalen Redaktionen, sondern auch vom NDR.

Das Museum als Forum 

Das Göttinger Wissensmuseum versteht sich nicht ohne Grund in erster Linie als „Forum“. Laut Duden ist damit eine Plattform, ein geeigneter Ort für eine öffentliche Diskussion gemeint. Sich diese Definition zu Eigen machend, ist die deklarierte Mission des Forum Wissen, Anstöße zu geben, „eigene Positionen zu beziehen, Forderungen an die Wissenschaft zu stellen und sich in den facettenreichen Prozess des Wissen-Schaffens einzubringen.“ Es will den eigenen Namen also Programm sein lassen: Es will ein Raum der öffentlichen Diskussion über das Wissen-Schaffen sein. Dass es diesen Ansprüchen versucht gerecht zu werden, zeigt nicht nur das Gewähren-Lassen der Aktivist:innen beim Aufbau der Ausstellung. Im hauseigenen Format „Salon-Debatten“ wird das Dilemma des friedlichen Klimaaktivismus dann auch am 28. Juni noch einmal aufgegriffen. Im Rahmen der Veranstaltung suchen unter anderem Vertreter:innen des Journalismus gemeinsam mit den EndFossil-Aktivist:innen Antworten auf Fragen wie „Wo bleibt der positive Journalismus?“ oder „Wie berichten Medien über die Klimaproteste?“. Ob die Presseverter:innen ihre Rolle in der Klimakatastrophe dadurch künftig stärker reflektieren, wird sich noch zeigen. 

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Die Materialien zur unangekündigten Sonderausstellung „Vom Wissen zum Handeln“ stellt die Göttinger Ortsgruppe von EndFossil übrigens online für alle Interessierten auf ihrer Website zur Verfügung: https://goettingen.endfossil.de/infomaterial-share/. Über personelle Unterstützung freut sich EndFossil auch – ob bei ausufernden Museumsbesuchen, bei ganz und gar hypothetischen Hörsaalbesetzungen irgendwann im Mai oder bei anderen künftigen kreativen Ungehorsamkeiten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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