Wenn Kunst zum Kampf wird
#Kunst #Lokales #Macht+Protest
Wo Wandgemälde mit starken Frauen verboten oder zerstört werden, weil sich gewisse Männer davon bedroht fühlen, wird klar, dass wir mit der Gleichberechtigung noch längst nicht so weit gekommen sind, wie viele von uns dachten. Ein Grund mehr für die Künstler:innen dieser Welt, sich zu vereinigen und weiter zu malen, bis gewisse Männer keine Angst mehr vor starken Frauen haben.
[Text: Vanessa Pegel | Fotos: Sebastian Dohm, Vanessa Pegel]
Als die Malerin Patricia Saavedra davon erfuhr, dass in ihrer Heimatstadt Madrid ein Wandgemälde mit 15 Frauenportraits zuerst zensiert und dann mutwillig zerstört wurde, loderte in ihr eine nie zuvor gekannte Art von Wut auf. „Ich bin, ohne es zu merken, in einer Gesellschaft groß geworden, die von Männern geprägt war. In meinem Kunst-Studium waren wir zwar mehr Frauen, aber unsere Vorbilder waren immer männliche Künstler. Und wenn ich in ein Museum gegangen bin, hingen dort nur Bilder, die von Männern gemalt waren – allerdings war mir das damals gar nicht bewusst. Ich habe das einfach so akzeptiert“, sagt die Spanierin, die seit vielen Jahren in Göttingen lebt, wenn sie nicht gerade in Madrid unterwegs ist.
Bilder, die bewegen
Die Geschichte, die Patricias ungeheure Wut entfachte, beginnt im Jahr 2018, als einige Künstlerkollektive das Projekt Mauermalen ins Leben riefen und in vielen Vierteln von Madrid die unterschiedlichsten Wandgemälde, die man auch Murals [Mural, lateinisch Wand] nennt, entstehen ließen. In La Concepción kamen die Anwohner:innen auf die Idee, dass sie die 60 Meter lange und 4 Meter hohe Außenmauer ihres Sportzentrums mit 15 riesigen Portraits von Frauen verschönern wollten. Mit von der Partie waren u.a. die Malerin Frida Kahlo, die Jazz-Musikerin und Bürgerrechtsaktivistin Nina Simone, die erste Frau im All Valentina Tereschkowa und die feministische Rapperin Gata Cattana [r.i.p]. Für die künstlerische Umsetzung der 15 Frauenportraits beauftragten die Bewohner:innen von La Concepción dann interessanterweise das Künstlerkollektiv Unlogic Crew, das sich aus vier männlichen Künstlern zusammensetzt.
↑ Meistens malt Patricia Saavedra bei Tageslicht, aber manchmal auch bei Nacht.
Malen nach Zahlen
Damit die Anwohner:innen mitmachen konnten, funktionierte das Ganze dann wie Malen nach Zahlen. Nachdem die Unlogic Crew die Umrisse skizziert und das Bildinnere in verschiedene Farbfelder unterteilt hatte, konnten alle, die gerne wollten, zum Pinsel greifen und einen kleinen Teil des Kunstwerks miterschaffen. „Hinterher waren alle glücklich mit dem Ergebnis. Bis sich die Regierung in Madrid mit der Unterstützung der Rechtsextremen geändert hat. Auf einmal sollte diese Mauer übergestrichen werden. Dieses Mural sei zu politisch, so die Regierung, und noch dazu unfair, weil dort nur Frauen und keine Männer abgebildet seien“, erzählt Patricia, die hier alle Pati nennen, und verdreht die Augen. „Der neue Bürgermeister hat sogar behauptet, es sei genauso demokratisch, dieses Wandgemälde zu erlauben, wie es überzumalen.“ Damit waren nicht nur die Künstlerinnen, sondern auch die Anwohner:innen von La Concepción alles andere als einverstanden. Was mit einem Aufruhr in den sozialen Netzwerken und Demonstrationen auf den Straßen Madrids begann, wurde unter dem Titel Das Mural bleibt zu einer Art Volksbewegung. Daraufhin machten die Machthaber Madrids zwar offiziell einen Rückzieher, aber in der Nacht vor dem 8. März 2019 rückte eine Gruppe von Rechtsradikalen an und ließ die Gesichter der 15 Frauen hinter schwarzen Farbklumpen verschwinden. Anlässlich des Internationalen Frauentags kam es dann am nächsten Tag zu der bisher größten Demonstration in Madrid und die Geschichte des feministischen Murals verbreitete sich auch in internationalen Medien wie ein Lauffeuer.
Das Mural bleibt
Als Antwort auf die rechtsradikale Zerstörungsaktion wurde der Widerstand noch stärker und manifestierte sich darin, dass in ganz Madrid wie durch Zauberhand Repliken des feministischen Wandgemäldes entstanden sind, die längst nicht alle von der Unlogic Crew, sondern mit deren Unterstützung auch von anderen Künstler:innen-Initiativen gemalt wurden. Nur die Außenmauer des Sportzentrums in La Concepción, wo alles begann, blieb über acht Monate in ihrem mahnmalenden Zustand. Bis sich die Regierung dann doch endlich dazu durchrang, die Erlaubnis zu erteilten, dass die 15 Frauenportraits neu gemalt werden durften. Um ihr Kunstwerk vor etwaigen zukünftigen Farbanschlägen – die auch tatsächlich passierten – zu schützen, wurde es dieses Mal mit einem Graffiti-Lack imprägniert. So konnten später fiese Schmiererei wie „Mörderinnen“ oder „Abtreiberinnen“ einfach abgewaschen werden. Wenn es doch im richtigen Leben genauso einfach wäre …
Symbol gegen Intoleranz
„So ist dieses Mural nicht nur zu einem Symbol gegen Intoleranz geworden, sondern hat auch mein Bewusstsein erweitert“, sagt Pati: „Auf einmal habe ich Frauen in der Geschichte der Kunst entdeckt, sei es in der Malerei, der Fotografie, im Film oder in der Musik, und ich dachte: Wow! Die Kunst dieser Frauen gefällt mir sehr und bewegt etwas in mir, das ich vorher nicht gekannt und vermisst habe, ohne es zu wissen. Seitdem bin ich fest davon überzeugt, wie wichtig es auch für zukünftige Generationen ist, dass diese Frauen einen Platz bekommen, der ihnen gebührt – nicht, um die Männer zu verdrängen, sondern neben ihnen, weil sie es genauso verdient haben, gesehen zu werden.“
Mittlerweile findet man über 40 teilweise mit anderen Frauenportraits erweiterte Repliken des feministischen Wandgemäldes – nicht nur in Madrid, sondern auch in anderen Städten Spaniens, an einer Schulmauer in Paris und dank Patricia Saavedra jetzt auch an der alten JVA am Waageplatz in Göttingen.
Gegen die Wand
„Für mich wurde es zu einem großen Wunsch, dass dieses Mural über Grenzen geht – von meiner Heimatstadt Madrid in mein zweites Zuhause nach Göttingen. Als ich Gabi Radinger von der musa, wo ich in der Kreativetage mein Atelier habe, davon erzählte, war sie auf Anhieb Feuer und Flamme“, freut sich Patricia. Während die liebe Gaby Fördermittel an Land zog, nahm Patricia mit der Unlogic Crew in Madrid Kontakt auf, die freudig ihre Malvorlagen zur Verfügung stellte. Der Plan lautete, das Projekt gemeinsam mit der Göttinger Graffiti-Künstlerin Agatha und einer Schulklasse des Otto-Hahn-Gymnasiums sowie deren Kunstlehrerin Inga Ritter zu verwirklichen. Doch die Suche nach einer geeigneten Wand gestaltete sich schwieriger als gedacht. Erschreckenderweise kam auch hier bei uns in Göttingen Gegenwind auf, der auf den gleichen Gründen wie 2019 in Madrid basierte: „Nur Frauen? Lieber nicht! Davon könnten sich Männer abgeschreckt fühlen!“ Echt jetzt?
Vom Wunsch zur Verwirklichung
„Das Thema dieses Murals sind nun mal Frauenportraits, also können wir keine Männer malen!“, stellt Pati frustriert fest, als wir vor der Außenmauer der ehemaligen JVA am Waageplatz stehen, die nach längerem Hin und Her mit der Unterstützung der Stadt für das Mural auserkoren wurde. Für Patricia ist es die beste Wand, die sie finden konnten – nicht nur weil sie so zentral gelegen ist, sondern auch weil ihr Projekt von den netten Bewohner:innen des direkt gegenüber gelegenen OM10 unterstützt wird, wo sie nur können. Zwischen Mitte Mai und Ende Juni wurden dann die Pinsel geschwungen, sodass sich dort mittlerweile zehn riesigen Frauenportraits befinden, die hoffentlich noch lange zu sehen sein werden.
Zehn Frauen
„Unser Ziel war es, zehn Frauen aus unterschiedlichen Kontinenten, mit verschiedenen Berufen und unterschiedlichen Hintergründen abzubilden – es mussten also nicht alle Aktivistinnen sein“, erläutert Patricia Saavedra. „Daraufhin haben die Schüler:innen des Otto-Hahn-Gymnasiums recherchiert und eine sehr gute Auswahl getroffen, obwohl das wirklich nicht einfach war, weil immer Frauen nicht dabei sind, die auch einen Platz verdient hätten.“ Neben der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, der amerikanischen Sängerin Nina Simone, der sowjetischen Bildhauerin und Regisseurin Lilja Jurjewna Brik und der nigerianischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie, die alle aus dem Original-Mural stammen, haben auf dem Wandgemälde an der ehemaligen JVA fünf „neue“ Frauen einen Ehrenplatz erhalten: Die pakistanische Kinderrechtsaktivistin und jüngste Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai hatte sich Pati insgeheim am allermeisten gewünscht, deshalb war sie total begeistert, als sie auch bei den Schüler:innen vom Otto-Hahn-Gymnasium die erste Wahl war. Außerdem mit von der Partie sind die somalisch-österreichische Menschenrechtsaktivistin gegen Genitalverstümmelung Waris Dirie, die allseits geliebte schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren und die 2020 verstorbene US-amerikanische Richterin und Frauenrechtlerin Ruth Bader-Ginsburg. „Und weil wir uns in der Stadt der Wissenschaft befinden, wollten wir natürlich auch eine Wissenschaftlerin abbilden“, sagt die Pati. „Wir haben uns dann für Emmy Noether entschieden, weil sie damals noch nicht mal ihr Abi machen durfte und es dennoch geschafft hat, eine der wichtigsten Mathematikerinnen zu werden.“ Last but not least, sondern auf dem Mural ganz vorne mit dabei: Helga, ihres Zeichens jahrzehntelange Kämpferin für Frauenrechte und Bewohnerin des Viertels. „Sie passt perfekt, weil sie für mich alle anderen anonymen Frauen repräsentiert, ohne die es uns alle gar nicht geben würde“, freut sich Patricia und fügt hinzu: „Im Grunde genommen kann sich doch eigentlich niemand davon angegriffen oder beleidigt fühlen, wenn Frauen Bilder von starken Frauen malen, oder?“
PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 31. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins.
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