Den Beifall anführen

#Sport #Feminismus #Gleichberechtigung

Kurze Röcke, Pom Poms, Schminke und viel Sexappeal, stets an der Sideline und immer bereit, die Spieler anzuhimmeln – so ist der Trendsport Cheerleading berühmt geworden. Doch was federleicht und fluffig aussieht, ist in Wirklichkeit harte Arbeit. Nach einer Betrachtungen der Unfallsta­tistiken in Amerika hat das Forbes Magazin Cheerleading jüngst zur gefährlichsten Sportart für Frauen erklärt. Unsere Autorin Lilith weiß genau, wovon die Rede ist, denn sie hat Cheerleading als Leistungssport betrieben.

[Text & Foto: Lilith Mosbach | Illustration: Sarah Elena Kirchmaier]

Was ich mir schon alles anhören musste, wenn jemand mich gefragt hat, was ich denn für Sport treibe, und ich nicht nur kurz mit „eine Mischung aus Akrobatik und Turnen“ geantwortet, sondern tatsächlich Cheerleading gesagt habe – wohlwissend was für eine Art von Gespräch darauf in der Regel folgt: „Ach, die mit den Puscheln!“, „Ah, also Tanzen“ oder auch öfter mal mit schmierigem Blick und deutlich veränderter Körperhaltung: „Dann bist du bestimmt gut gedehnt.“ – „Ja genau! Gut genug, um dir aus dem Stand mit meinem Fuß ins Gesicht zu treten!“, könnte ich antworten, aber das sage ich dann doch nicht. In den meisten Köpfen handelt es sich bei Cheerleader*innen um die heißen Hüpfmädels, die am Spielfeldrand die Footballspieler anhimmeln und mit vollstem Körpereinsatz anfeuern, wie der Name schon vermuten lässt, denn Cheerleading heißt auf Deutsch sinngemäß „den Beifall anführen" . Und ja, das kann eine Seite des traditionellen High School Cheerleadings sein, doch was die meisten nicht wissen: Diese Sportart hat sich zum Competitive Cheer weiterentwickelt. Hier geht es um weit mehr als lächeln, hüpfen und kurze Uniformen, denn dabei handelt sich um einen Leistungssport für Frauen UND Männer. 

Das neue Cheerleading

Cheerleading-Vereine gibt es mittlerweile zuhauf und diese sind meistens absolut losgelöst von Football- oder Basketballteams. Hauptbestandteile des Competitive Cheerleadings sind neben Bodenturnen vor allem Stunts – also Hebe- und Wurf-Figuren. Auf Meisterschaften werden 02:30 Minuten lange Routines  – also Choreografien – in verschiedenen Schwierigkeitslevels präsentiert und von einer Jury bewertet. Dabei liegt der höchst geworfene Stunt übrigens bei 5 ½  Metern. Wenn man so hoch hinaus will, ist es kaum verwunderlich, dass Verletzungen bei diesem Sport auf der Tagesordnung stehen. In den USA passieren 65 Prozent  der „catastrophic injuries“ beim Cheerleading an High Schools und Colleges. Infolgedessen erklärte das Forbes Magazin Cheerleading zur gefährlichsten Frauensportart. Ein Team aus Wissenschaftlern hat gemessen, dass die Wucht eines Aufpralls aus dem Basket auf den Boden bei ca. 900 kg liegt. Zum Vergleich: Wenn ein Footballspieler einen anderen im vollen Lauf umtackelt kommen ca. 800 kg zusammen. 

Der Reiz 

Aber gerade die Gefährlichkeit des Sports macht für mich den Kick aus. Außerdem entwickelt sich eine krasses Teamgefühl. Während des Trainings für Meisterschaften wird zusammen geschwitzt, geblutet und gelacht. Man muss lernen, sich gegenseitig voll und ganz zu vertrauen, denn ohne das Vertrauen, von den anderen aufgefangen zu werden, kann man sich nicht fallen lassen. Das traditionelle Pom-Pom-Geschwinge findet in der Realität eines Competitive Cheerleaders kaum noch Platz, viel mehr verlangt dieser Sport vor allem vielseitige sportliche Begabung, Ausdauer, Kraft sowie eine hohe Disziplin und Leistungsbereitschaft. Und natürlich Zeit! Während meines Engagements in einem Leistungsteam drehte sich eigentlich mein ganzes Leben nur noch um das Cheerleading – besonders an den Wochenenden waren regelmäßig acht Stunden Training angesagt. „Warum tue ich mir das freiwillig an?“ Diese Frage habe ich mir damals regelmäßig gestellt, doch das Gefühl, mit meinem Team bei einer Meisterschaft auf der Matte zu stehen, die Halle zu rocken und gemeinsam Competitions inklusive Siege und Rückschläge zu meistern, beantwortete mir diese Frage immer wieder auf’s Neue. 

Klischees überwinden

Um so mehr nervt es mich, dass man sich als Cheerleader*in immer wieder in die selbe Klischee-Schublade gedrückt sieht. Auch in den Medien werden Cheerleader seit jeher über alle Maße sexualisiert und klischeebeladen dargestellt. Das hat große Auswirkungen darauf, wie der Sport und die Menschen, die ihn machen, angesehen werden. Beispielsweise werde ich des Öfteren gefragt: „Cheerleaderin und Feministin, wie geht das denn?“ Na klar geht das! Gerade durch diesen Sport oder viel mehr durch die Reaktionen darauf, wurde ich so oft mit Sexismus konfrontiert, dass mir quasi gar nichts anders übrig blieb, als mich zu politisieren. Denn besonders beim Cheerleading greift ein weit verbreitetes Denkmuster: Knapp angezogene Mädels mit viel Schminke sind automatisch weniger ernst zu nehmen. Es ist zum an die Decke Gehen: Man scheint als Frau nur die Wahl zu haben, entweder unauffällig und damit für die Männerwelt uninteressant zu sein, aber immerhin ernstgenommen zu werden, oder sexy und damit interessant, aber leider automatisch als dumm abgestempelt zu werden. Möglicherweise wäre es hilfreich, wenn die Röcke beim Cheerleading länger werden würden, um endlich die Akzeptanz als ernsthafte Sportlerinnen zu erlangen, aber damit würde man sich garantiert verheddern und die Unfallstatistik noch mehr in die Höhe treiben. Deshalb wäre es viel sicherer und sinnvoller, wenn die Männer dieser Welt endlich ihren Horizont erweitern würden.

 Unsere Autorin Lilith ganz oben beim Stunt

 

GLOSSAR

Flyer: Menschen, die beim Cheerleading hochgehoben, wie unsere Autorin Lilith auf dem Foto rechts, und durch die Luft geworfen werden.

Middlelayer: ein Flyer, der die mittlere Ebene einer Pyramide bildet. Er*sie muss also selber oder mit einem anderen Middlelayer zusammen einen weiteren Flyer halten.

Bases: alle Personen, die auf dem Boden stehend den Flyer heben, werfen und fangen. Hierbei wird noch in Side- und Mainbase unterschieden, welche die Füße des Flyers halten und Backspot, der*die den Flyer an den Fußgelenken hält. 

Spotter: Menschen, die neben Stunts stehen und im Notfall eingreifen. Auf Meisterschaften sind Spotter keine Pflicht.

Stunts: Hebefiguren und Hauptbestandteil des Cheerleadings. Dabei wird unterschieden in Groupstunts [drei Bases], Double- und Twobase [zwei Bases] sowie Partnerstunting [eine Base]. 

Basket: einer der spektakulärsten Stunts, bei dem der Flyer in die Luft geworfen wird und von einfachen Figuren bis hin zu Saltis und Schrauben alles mögliche ziehen kann. Der höchst gemessene Basket liegt bei 5,5 Metern.

Tumbling: Bodenturnen

Jumps: damit ist nicht etwa das Rumhüpfen an der Sideline gemeint, sondern synchrone Sprünge, in denen Figuren gezogen werden.

Routine: die fertige Choreographie [je nach Kategorie 1:00 Min oder 2:30 Min], mit der das Team bei Meisterschaften antritt. Eine Teamroutine [2:30 Min] besteht zum Großteil aus Stunts, doch es müssen auch Tumbling sowie Jumps und in manchen Kategorien auch Tänze gezeigt werden. Im modernen Cheerleading werden aber im Durchschnitt nur etwa 10 bis 15 Sekunden für einen Tanz verschwendet.

Full-Out: Wenn der*die Trainer*in diesen Begriff im Training ruft, säufzt das Team meist kollektiv. Denn es bedeutet, dass die komplette Routine durchgemacht wird, sonst werden oft nur bestimmte Parts geübt. Full-Outs sind definitiv die Hölle und wenn man so zwei oder drei am Stück gemacht hat, dann geht danach auch mal ein*e Cheerleader*in aufs Klo, um zu kotzen, aber sie zahlen sich definitiv aus. 

Drop: wenn ein Stunt oder Bodenturnelement schief geht. Es gibt verschiedene Arten von Drops, für die es auch verschieden viele Deductions [Punktabzüge] gibt. Der Worstcase ist, wenn ein Flyer komplett aus einem Stunt raus oder durch einen Stunt durchrutscht und auf dem Boden landet.

Mindblock: neben Verletzungen das Schlimmste, was einem*r Sportler*in passieren kann, so auch im Cheerleading. Es bedeutet das der Sportler zwar physisch in der Lage ist, z.B. einen Stunt zu machen, aber die Psyche einfach nicht mitmacht. Beim Cheerleading passiert dies oft Flyern beim Stunten [meistens bei Wurffiguren]. Sobald man hochgeworfen wird, verwandelt sich der Kopf in ein schwarzes Loch und der Körper erstarrt so sehr, dass es scheinbar nicht möglich ist, die Bewegung durchzuführen.

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 13. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im August 2018.

 

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