Morgen war gestern

#LebenLernen #Arbeit+Leben #Seelenleben #Prokrastination

Ständig auf morgen zu verschieben, was man schon gestern erledigt haben wollte, macht auf Dauer trübsinnig. Dennoch praktizieren viele Menschen, was man als Prokrastination bezeichnet: das Aufschieben notwendiger Vorhaben, wie beispielsweise für eine Klausur zu lernen, einen Artikel zu schreiben oder schlicht und ergreifend das Klo zu putzen. Ein Pamphlet gegen die Aufschieberitis.

[Text & Illustrationen: Fräulein Freud]

Es ist unser innerer Schweinehund, der uns davon abhält, tatsächlich in die Tat umzusetzen, was wir uns vorgenommen haben. Dieses fiese Faultier ist der Aufschiebebeauftragte in uns. Sein Lohn ist unser schlechtes Gewissen. Wir bezahlen ihn mit dem Elend, das wir verspüren, wenn wir feststellen, dass wir eine Aufgabe so lange aufgeschoben haben, bis uns die Zeit davongelaufen ist, um sie noch zufriedenstellend zu erledigen. Von Natur aus lethargisch, lässt er die Arbeit lieber liegen, während er auf dem Sofa sitzt und sich mürrisch die Eier krault. Der innere Schweinehund hat viele Gesichter, aber keins davon ist zufrieden. Denn nicht einmal er kann die aufgeschobene Zeit wirklich genießen.

Aufgeschoben ist nicht gut aufgehoben

Gründe zum Prokrastinieren gibt es viele. Allen voran steht das Lustprinzip, das uns dazu veranlasst, nach Lust zu streben und Unlust zu vermeiden [schöne Grüße von Sigmund Freud!]. Selbiges ist Schuld, wenn wir lieber auf Insta herumdaddeln, anstatt unser dreckiges Klo zu putzen. Der daraus entstehende Leidensdruck ist zwar ekelig, aber lange nicht so schlimm wie bei gravierenderen Vorhaben, die einer dringenden Erledigung bedürfen, wie zum Beispiel eine Hausarbeit zu schreiben. 

Es mag paradox klingen, aber häufig nehmen wir aus Selbstschutz bestimmte Dinge nicht in Angriff. Weil wir Angst haben, Aufgabe nicht gewachsen zu sein, erscheint es uns sicherer, gar nicht erst damit anzufangen. Nach dem Motto: Wenn ich die Hausarbeit nicht schreibe, merkt keiner [inklusive mir selbst!], dass ich womöglich keine Ahnung vom Thema habe. Mitunter lähmt uns allerdings auch die Aussicht auf Erfolg: „Wenn ich erst mal mein Studium abgeschlossen habe, weiß ich gar nicht, wie es weitergehen soll …“ Ein perfider Perfektionismus, der uns nie zufrieden sein lässt mit dem, was wir gerade fabrizieren, kann ebenfalls ein elementarer Hinderungsgrund sein. Manche Menschen sind einfach nur planlos, und andere reden sich ein, unter Druck am besten arbeiten zu können [solange sie Recht haben: bitte schön!]. Wer seinem inneren Schweinehund in den Allerwertesten treten möchte, um seine Aufschieberitis in den Griff zu bekommen, sollte als Erstes ergründen, was es ist, dass ihn*sie vom Anfangen abhält. Los geht’s!

Anti-Aufschieberitis-Logbuch

Wer genau protokolliert, wann er*sie tatsächlich effektiv ist, kann nicht nur sein eigenes Arbeitstempo besser einschätzen, sondern kommt auch etwaigen Fallstricken, die der Aufschiebebeauftragte gehäkelt hat, auf die Schliche. Dabei können folgende Fragen hilfreich sein: Wie viel Zeit verbringe ich wirklich mit Arbeiten, und wie lange denke ich lediglich daran? Wovon lasse ich mich gerne ablenken, und wie kann ich das abstellen? Im Anti-Aufschieberitis-Logbuch seine Vorgehensweisen festzuhalten, seine Ergebnisse ehrlich zu protokollieren und seine Fortschritte zu visualisieren, ist motivierend. Man kann sich sogar einen Spaß daraus machen und in einer Wochenkurve grafisch darstellen, wie man seinem inneren Schweinehund ein Schnippchen geschlagen hat. Im Falle eines Fortschritts steht eine Belohnung an [dazu später mehr], und bei Rückschlägen gilt es, weiter nach den Ursachen zu forschen: Warum habe ich mich nicht an die Arbeit gemacht, und was lerne ich daraus? Welche konkreten Hindernisse stehen zwischen mir und dem Weiterkommen? Gibt es eine inhaltliche Frage, die ich noch klären muss? Oder sind es äußere oder innere Störungen, die es auszuschalten gilt?

Aus dem Sollen ein Wollen machen

Wenn man genau weiß, dass man sich dringend hinsetzen muss, um beispielsweise für eine Klausur zu lernen, löst das häufig einen akuten Widerwillen aus, weil man naturgemäß lieber was anderes machen möchte, das Vergnügen bereitet und keine Denkanstrengung erfordert [Stichwort Lustprinzip]. Selbstmitleidig sitzt man da und grübelt über die Gemeinheit des Lebens, anstatt sich mit seinem Arbeitsauftrag zu beschäftigen. Dabei vergisst man gerne, dass man sich meistens selbst und häufig sogar aus gutem Grund überhaupt erst in diese Situation gebracht hat, z. B. weil man schon immer Anwalt*in oder Journalist*in werden wollte und sich deshalb für dieses Studium eingeschrieben hat. Sich die ursprüngliche Idee, die dem Ganzen zu Grunde liegt, in Erinnerung zu rufen, kann hilfreich sein, um seine Situation neu zu bewerten. Dann stellt man nämlich im besten Falle fest, dass eigentlich weder ein Müssen noch ein Sollen dahinter steckt, sondern ein Wollen. Und Wollen fühlt sich bekanntlich viel besser an als Sollen. 

Gute Gedanken

„It always seems impossible, until it's done.“ Doch anstatt sich Nelson Mandelas Worte zu Herzen zu nehmen, demotiviert man sich selbst oft auf ungebührliche Weise und verheddert sich in Sabotage-Gedankenkreise wie: Ich kann das nicht, ich bin zu doof, wieso tue ich mir das eigentlich an, ich kriege das sowieso nicht gebacken, ich schnalle es nicht, ich weiß nichts, ich bin zu nichts zu gebrauchen. Wenn Du Deinen inneren Aufschiebebeauftragten bei derlei fiesen gedanklichen Machenschaften ertappst, empfiehlt es sich, schleunigst die Gedankenpolizei einzuschalten, um ihm Einhalt zu gebieten. Denn selbst wenn Du nicht so perfekt bist, wie Du gerne wärst, bist Du garantiert nicht so daneben, wie er Dir einreden will, und das gehört bestraft! Das perfekte Referat gibt es nicht. Perfektion ist eine Illusion, die Zufriedenheit verhindert. Sie boykottiert Dich und verhindert, dass Du jemals irgendwas mit einem guten Gefühl machst und am Ende mit dem Ergebnis zufrieden bist. Perfektion ist eine Arschgeige! Zeig ihr und Deinem Aufschiebebeauftragten den Mittelfinger und mach es einfach so gut du kannst!   

Anfangen statt aufschieben

Aller Anfang ist schwer, aber am Anfang jeden Anfangs steht nun mal ein Anfang. Diese simple Weisheit mag niemanden erstaunen, aber verinnerlicht hat man sie deshalb noch lange nicht. Oftmals warten wir auf den richtigen Moment oder die richtige Stimmung, aber die wird möglicherweise niemals kommen. Leichter wird der Anfang, wenn man ihn klein dosiert. Denn: „Auch der längste Weg beginnt mit einem ersten kleinen Schritt“, wusste Konfuzius. Wer sich vornimmt, sich erst mal nur 30 Minuten an den Schreibtisch zu setzen, wird möglicherweise feststellen, dass es sich gar nicht so grausam anfühlt, wie man es sich vorgestellt hat. Ist das Gesetz der Trägheit erst mal überwunden, kommt der Stein ins Rollen ...

Planlos geht kein Plan los

„Wenn Du nicht weißt, welchen Hafen Du ansteuern willst, ist kein Wind günstig“, prophezeite Seneca und Antoine de Saint-Exupéry formulierte: „Ein Ziel ohne Plan ist nur ein Wunsch.“ Da der Weg zum Ziel mitunter so weit entfernt scheint, dass man schon müde wird, bevor man losgegangen ist, sollte man ihn in Etappen, also Zwischenziele, aufteilen. Diese Vorgehensweise bezeichnet die Psychologie als Salamitaktik: Die dicke, lange Wurst, beispielsweise in Form des Lernstoffs für eine Klausur, wird in kleine, gut verdauliche Scheibchen geschnitten. Je konkreter,  realistischer und kleiner ein Teilziel ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich überwinden kann, überhaupt anzufangen. Außerdem solltest Du tunlichst vermeiden, Dir zu viel vorzunehmen, denn nichts ist frustrierender als ein unrealisierbarer Plan. 

Zeit mal zwei

Es mag Dir übertrieben vorkommen, ist aber im Ergebnis überaus befriedigend: Ein realistischer Plan richtet sich nach der 50-Prozent-Regel. Selbige geht davon aus, dass man für die meisten Vorhaben doppelt so viel Zeit benötigt, als man anfangs geglaubt hat. Wer das einkalkuliert, hat nicht nur gute Chancen, planmäßig fertig zu werden, sondern auch noch mit einem Erfolgsgefühl früher Feierabend machen zu können. 

Genug ist genug

Wer arbeitet, muss auch frei haben. Da kaum jemand auf Dauer viel länger als sechs oder sieben Stunden am Tag effektiv ist, sind feste Erholungszeiten, in denen das Arbeiten strengstens verboten ist, von größter Bedeutung. Wenn man den Tag in zwei realistische Arbeitseinheiten unterteilt und sich daran hält, muss man nicht ständig neu mit sich selbst in einen Aushandlungsprozess treten [spart Zeit!], wann man eine Pause einlegen darf, und kann die freien Stunden ohne schlechtes Gewissen genießen. Dann gilt es abzuschalten [wichtig für die Entspannung!]. Freizeit bedeutet, dass Du frei bist, und wenn Du vorher mit dem, was Du Dir vorgenommen hast, fertig geworden bist, kannst Du sie viel besser und ohne schlechtes Gewissen genießen.

Fein gemacht

Nach einem produktiven Arbeitstag darf und soll man sich bewusst belohnen. Diese Belohnung kann schon darin bestehen, dass Du Dir sinnbildlich selbst auf die Schulter klopfst und vor Deiner eigenen Motivation gedanklich den Hut ziehst. Denn genauso sehr, wie es uns runterzieht, wenn wir uns selbst sagen, dass wir etwas sowieso nicht hinbekommen, genauso pusht es uns auch, wenn wir uns bewusst loben. Ein Kinobesuch oder ein gutes Essen kann als Belohnung natürlich auch nicht schaden. 

Geheimwaffe

Selbstvertrauen ist gut, Selbstkontrolle ist besser. Wer unter argen Prokrastinationsproblemen leidet, braucht soziale Kontrolle beispielsweise in Form von Lerngruppen. Denn sich selbst kann man in Sachen Aufschieberitis zumindest für eine gewisse Zeit relativ leicht hinters Licht führen mit Scheinargumenten wie: Heute war einfach nicht mein Tag, ab morgen wird alles besser. Doch ist man erst mal bei seiner Lerngruppe nicht aufgetaucht, benötigt man bessere Ausreden. 

Heute geht's los!

Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Jeder Mensch hat Talent. Was selten ist, ist der Mut, ihm auch zu folgen.“ Dabei fühlt es sich so gut an, anstatt zu prokrastinieren, mit Zeit und Muse zu praktizieren, wofür man sich ja schließlich aus irgendeinem Grund entschieden hat. Ob man produktiv arbeitet oder nicht, hängt nicht allein von der Begabung oder Intelligenz ab, sondern vor allem auch davon, wie man seine Arbeit organisiert. Die Devise ist: Weniger Aufwand für mehr Erfolg durch bessere Planung. Also mach Deinen Aufschiebebeauftragten arbeitslos und Dich selbst zufrieden! 

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 29. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins.

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