Lisbeth gegen Langeweile

#Kulturtipp #Konzert #Indie -Pop #Interview #Lokales

30.08. | Kaiser Wilhelm Park | 19 Uhr: Dass wir Von Wegen Lisbeth gerne mögen, liegt natürlich auch an ihrem zwar sinnlosen [Lisbeth gibt’s gar nicht!], aber dennoch total genialen Namen. Auf der Suche nach drei Worten, die den Sound dieser Berliner Indie-Pop-Band beschreiben, kamen die folgenden heraus: forsch, funky und fun-fucking-tastic. Am 30. August machen die fünf fraglichen Freunde auf dem KWP Festival den Wald wild. Zuvor zoomten wir mit Sänger Matze und Bassist Julian freudig gegen die Langweile an. 

[Interview: Vanessa Pegel | Foto: Nils Lucas]

Hallöchen Ihr beiden, schön, dass Ihr endlich da seid! Vor ein paar Jahren haben wir schon mal vergeblich versucht, Euch zu einem Interview mit uns zu bewegen, und auch dieses Mal wart Ihr sehr zögerlich. Liegt das an uns? 
Julian: Wir haben eine zeitlang sehr viele Interviews gegeben und dabei festgestellt, dass 90 Prozent davon extrem langweilig für uns waren. Deswegen sind wir mittlerweile eher skeptisch, was aber nichts explizit mit Euch als Medium zu tun hat.

Langeweile kann ich auch nicht leiden. Dann hoffen wir mal, dass keine aufkommt und widmen uns einem Eurer Songs: Elon Musk darf nicht ins Berghain, und das ist wahrscheinlich auch besser so, aber was ist mit Euch?
Matze: Da gehen wir sehr selten hin.
Julian: Wir sind nicht so die Raver.
Dann wart Ihr wahrscheinlich auch noch nie im Darkroom?
Julian: Nee, noch nicht, obwohl es bestimmt spannend ist.
Also ich war einmal kurz drin und bin dann sofort wieder raus.
Julian: Wieso?
Weil ich es mit der Angst zu tun bekommen habe. 
Julian: Das verstehe ich.

Seid Ihr eigentlich richtig beste Freunde oder froh, wenn Ihr Euch mal nicht auf der Pelle hockt?
Julian: Zweiteres. [lacht]
Matze: Irgendwie beides.
Interessant.
Julian: Auch wenn wir es eigentlich nicht so bezeichnen, haben wir ja trotzdem irgendwie so eine Art von eigenartigem Geschäftsverhältnis mitein­ander, bei dem wir uns häufig sehen. Deshalb hängen wir dann nicht auch noch jeden Abend miteinander rum.
Kommt Ihr denn dank Eures eigenartigen Geschäftsverhältnisses über die Runden oder müsst Ihr noch was anderes arbeiten?
Matze: Anfangs haben wir jahrelang damit rein gar nichts verdient, aber mittlerweile können wir alle davon leben, was wir als sehr großes Privileg betrachten, weil das vielen anderen Bands und Musiker*innen, die unfassbar gut sind, nicht vergönnt ist.
Das freut mich sehr für Euch. Trotzdem habt Ihr ja alle mal angefangen, irgendwas zu studieren. Ist jemand von Euch damit fertig geworden?
Matze: Alle, außer mir, glaube ich. Ich habe mehrere Fächer angefangen und dann beschlossen, nur noch Musik zu machen. 
Julian: Unser Keyboarder Robert ist auch noch nicht fertig und studiert, glaube ich, im 24. Semester Mathematik, womit er übrigens tatsächlich angefangen hat, weil er Mathe liebt. Er ist unser Band-Taschenrechner und ich habe Architektur studiert. 
Ein Haus gebaut hast Du aber noch nicht, oder?
Julian: Nur in meinem Kopf. Aber unsere Bühnenbilder habe ich schon gebaut. 

Welche drei Worte charakterisieren Euren Sound am besten?
Julian: Das ist schwer zu sagen, weil sich unsere Musik ja auch ständig verändert. [grübelt] Wie war das nochmal? Über Musik zu schreiben ist wie …
Matze: … zu Architektur zu tanzen.
Julian: Genau. Und im Grunde genommen ist diese Frage ja eigentlich auch total uninteressant für uns. Deshalb sollen lieber andere eine Antwort darauf finden.
Na gut. Dann kümmere ich mich später alleine darum, bevor hier noch Langeweile ausbricht.

Was macht Ihr am liebsten, wenn Ihr keine Musik macht?
Julian: Lesen, Schwimmen und Kochen.
Matze [grübelt]: Das ist eine sehr gute Frage. Ich bin noch dabei, das herauszufinden.
Dann überleg doch noch mal kurz, während Julian erzählt, was er am liebsten kocht.
Julian: Ich war Anfang des Jahres in Japan, deswegen koche ich gerade sehr gerne Japanisch. Meine Morgenroutine besteht derzeitig darin, mir einen Kaffee zu machen und dann erstmal auf so drei, vier Rezeptseiten zu surfen, die bei mir immer geöffnet sind, auch wenn das nerdig ist. Und wenn ich dort was Geiles finde, dann koche ich das abends.
Und für wen?
Julian: Mal so, mal so: für mich, für Freunde und Matze lade ich auch manchmal ein, aber der kommt nicht.
Wahrscheinlich weil er immer noch darüber sinniert, was er außer Musik am liebsten machen würde. 
Julian [lacht]: Könnte sein. Matze ist immer auf der Suche. 
Matze: Ich brauche dringend ein Hobby.
Immerhin schreibst Du grandiose Texte für Eure Songs. Sitzt Du dabei am Schreibtisch, chillst Du kiffend auf dem Sofa oder wie können wir uns das vorstellen?
Matze: Meistens habe ich eine Zeile im Kopf, die mir z.B. beim Fahrradfahren eingefallen ist, und dann kommt der schwierige Teil: Daraus einen fertigen Text zu basteln. Dafür muss ich mich dann wirklich alleine irgendwohin setzen und die Tür zumachen.
Brauchst Du dabei irgendwelche Hilfsmittel, wie z.B. ein Bier oder einen Joint?
Matze: Wenn ich betrunken einen Text schreibe, dann denke ich vielleicht in dem Moment, das ist das Beste ist, was ich jemals hervorgebracht habe, aber am nächsten Tag, stelle ich dann fest: Digger, das war absolut grausam! Deshalb bin ich dabei lieber absolut nüchtern und klar bei der Sache.

  Mega nice Dudes: Matze und Julian aka Von Wegen Lisbeth beim Zoomen mit VONWEGEN.

In Sachen Selbstvertrauen, seid Ihr …
Matze: Unterschiedlich.
Julian: Eine sehr vage Antwort.
Allerdings. Also denkt Ihr eher „ja, läuft!“ oder habt Ihr auch mal mit Selbstzweifeln zu kämpfen?
Matze: Ich auf jeden Fall.
Julian: Bei mir läuft’s oft eigentlich, aber ich glaube trotzdem, dass jeder von uns hin und wieder mit Selbstzweifeln zu tun hat und nicht mehr wie mit 15 ständig denkt: Wie geil sind wir eigentlich?

Gab es irgendein Ereignis, dass Euch als Lisbeths besonders geprägt hat?
Julian: Früher waren wir eine Band, die niemand kannte, und haben eine sehr lange Zeit Konzerte vor drei, vier Leuten gespielt. Irgendwann tauchte dort ein Typ von Universal Records auf und hat zu uns gesagt: „Eure Musik ja irgendwie ganz cool, aber Ihr müsst dringend mal ein bisschen üben und vor dem Konzert nicht soviel saufen, denn das klingt alles noch sehr verpeilt.“ Weil das unsere Egos dolle gekränkt hat, haben wir dann angefangen, richtig viel zu proben, weniger zu saufen und die ganze Sache ein bisschen ernster zu nehmen. Und dann – das muss man diesem Dude leider zugestehen – wurden wir auch tatsächlich sehr schnell wesentlich besser. Deshalb sind wir ihm auch heute noch dankbar, dass er uns damals diesen Einlauf verpasst hat, auch wenn er uns nie unter Vertrag nehmen wollte.

Wo wir gerade bei der Musikindustrie sind: Wie steht Ihr denn zu den Geschäftsgebaren von Spotify?
Julian: Das ist ein Riesenthema, dem wir sehr kritisch gegenüberstehen. Positiv am Streaming ist, dass sich jede*r Künstler*in darstellen kann, ohne dafür ein Label zu brauchen. Doch leider trägt Spotify auch erheblich dazu bei, dass viele kleine Künstler*innen eigentlich fast keine Chance haben, von ihrer Musik zu leben, weil sich kaum noch jemand ihre Alben kauft. Deshalb ist das Live-Geschäft mittlerweile das Einzige, mit dem man als Band noch Geld verdienen kann. Und das wirkt sich natürlich auch auf die Ticketpreise aus. Das Album als solches fungiert eigentlich nur noch als Promotion, um die Konzerte voll zu kriegen und nicht mehr als Grund an sich, um Musik zu machen.
Matze: Ich finde es sehr problematisch, wie mächtig Spotify in diesem ganzen Kontext ist und wie sehr man als Musiker*in darauf angewiesen ist. Man kann sich dem Ganzen gar nicht verweigern, was sich sogar schon darauf auswirkt, was für eine Art von Musik geschrieben wird, weil man versucht, sie so konform zu machen, dass sich die Leute die Songs easy anhören können. Außerdem ist Spotify krass intransparent. Dass die z.B. bis heute nicht ihren Verteilungsschlüssel preisgeben, ist einfach nur scheiße.
Julian: An dieser Stelle müssen wir allerdings nicht nur Spotify blamen, denn die großen Major-Labels sind daran mindestens genauso beteiligt. Schließlich haben die ihren gesamten Katalog an Spotify verkauft und sind mittlerweile so reich, wie nie zuvor, obwohl es praktisch keine CDs mehr gibt. Das Geld ist also auf jeden Fall noch da, aber es kommt nicht mehr bei den Künstler*innen an, sondern bei Spotify und den drei größten Major-Labels, obwohl Letztere für uns eigentlich gar keine ersichtliche Leistung mehr erbringen. Für den Vertrieb braucht man sie nicht, und um ein gutes Album aufzunehmen, muss man mittlerweile auch nicht mehr für 100.000 Euro fünf Monate ein Studio mieten. Deshalb fragt man sich, wozu sind Labels überhaupt noch gut?
Matze: Und trotzdem verdienen sie mehr Geld als jemals zuvor, was schon ein bisschen komisch ist. 
Julian: In United Kingdom verdient alleine der Chef von Universal mehr im Jahr als Spotify dort an alle Künstler*innen pro Jahr ausschüttet. Da muss man nicht viel von verstehen, um zu begreifen, dass es so auf Dauer nicht funktionieren kann. 

In Göttingen habt Ihr schon mal …
Julian: ... vor ca. sechs Jahren ein Konzert gespielt. Allerdings wurden wir nicht mehr reingelassen, nachdem wir uns um die Ecke eine Pizza geholt hatten, weil es kein Catering gab. Der Türsteher wusste nicht, dass wir die Band sind und hat uns auch nicht geglaubt, dass wir dort abends ein Konzert spielen werden. 
Ich lach mich schlapp. In welcher Location war das?
Julian: Das war in so einem Keller und der Türsteher meinte: „Nee, nee! Mit dem Essen kommt Ihr hier auf gar keinen Fall rein.“

Auf Euer Konzert in Göttingen Ende August freut Ihr Euch schon ganz besonders, nicht nur, weil Euch dort der Türsteher ganz bestimmt erkennt, sondern auch …
Julian: ... weil wir nochmal in diesen Pizzaladen wollen, denn die Pizza war richtig geil. 
Wenigstens etwas. Ihr werdet schon noch sehen, wie schön Göttingen ist. Und nun zur allerletzten Frage: Wie langweilig war das Interview mit mir?
Beide: Gar nicht.
Dankeschööön und auf Wiedersehen.

 

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