Wütendes Wetter

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„Ey Wirbelsturm – Bist du noch Wetter oder schon Klimaphänomen?“ Dieser Frage und einer Antwort darauf, widmet sich Friederike Otto, deutsche Klimatologin und Leiterin des Environmental Change Institutes der University of Oxford, in ihrem Buch „Wütendes Wetter“, das die VONWEGEN-Autorin Sabine mit Faszination verschlungen hat. 

[Text: Sabine Grähn | Fotos: Ulstein Verlag]

Ob Hitzewelle, Wirbelsturm oder Starkregen – alle Extremwetter stehen im Zusammenhang mit dem, was wir auf diesem Planeten tun, und passieren nicht im Vakuum. Ach ja? Der Klimawandel ist seit „seiner Erfindung“ durch uns schlecht messbar und für den Einzelnen wenig fassbar. Fernab der menschlichen Eigenschaft, sich nur den Argumenten zu öffnen, die das eigene Weltbild bestätigen, ist er schon von Natur aus nebulös und schlecht greifbar. Die Autorin Friederike Otto, die einst in meiner Wahlheimat Potsdam forschte, führt uns das in ihrem Buch lebhaft vor Augen. Hat man einen Aspekt des Klimawandels verstanden, wie z.B. den erhöhten Niederschlag, kommt ein neuer hinzu, wie z.B. stärkere Verdunstung, und beide heben sich gegenseitig auf. Nicht messbar. Mist! So spannend es wissenschaftlich erscheint, dem Klimawandel auf die Spur zu kommen, so frustrierend kann es sein, wenn man eigentlich ein Ziel verfolgt: Eine Welt, in der der Klimawandel als Realität anerkannt wird und die Politik nicht abwartet, sondern handelt! 

Extremwetterereignisse

Am Beispiel verschiedener Extremwetterereignisse der letzten Dekade erklärt Friederike Otto auch für den Laien verständlich den Forschungsansatz ihres Teams. Mit Hilfe der „Weather Attribution Science“, der Wissenschaft von der Zuordnung des Wetters, ist es nämlich möglich, den Anteil des Klimawandels am jeweiligen Wetterphänomen zu messen. Damit wird selbiger an konkreten Beispielen sichtbar. Noch eine Besonderheit: Ihre Methode kann zeitnah, im besten Fall kurz nach Eintreten eines Extremwetters bereits Ergebnisse liefern, wenn die Welt und die Entscheidungsträger*innen noch nah am Ereignis sind. Das Ganze funktioniert folgendermaßen: Man nehme die Wetterdaten [z.B. Wind, Niederschlag, Temperatur, Luftfeuchte] einer bestimmten Region über einen längeren Zeitraum aus der vorindustriellen Zeit und simuliere Hunderte von Zyklen. Das Ergebnis zeigt die etwaigen Verhältnisse einer nicht vom Klimawandel beeinflussten Welt und gibt die Wahrscheinlichkeit für bestimmte Extremwetter wie Hochwasserereignisse und Hitzewellen heraus. Man nehme nun die tatsächlichen Wetterdaten eines Ereignisses und setze diese in Beziehung zu der im Modell simulierten „Parallelwelt“. War ein Ereignis vorindustriell ungefähr alle 100 Jahre zu erwarten und tritt nun alle 10 Jahre auf, hat es der Klimawandel 10 Mal wahrscheinlicher gemacht. 

Simplify your thoughts and save the planet!

„Politician: Simplify your thoughts and save the planet!“ ist der erste Satz, der mir durch den Kopf geht, und mein Herz beginnt wie wild zu klopfen. Wie einfach, wie nachvollziehbar und wie genial! Welche Möglichkeiten der Prävention daraus erwachsen könnten. „Gib mir Daten und ich sage Euch wie Eure Zukunft aussieht und wie Ihr Euch schützen könnt.“ Einfach toll. Das Buch hinterlässt bei mir ein ähnliches Gefühl wie jenes, das mich auch nach „Wir Wettermacher“ von Tim Flannery in 2007 ergriff. Damals dachte ich in meinem jugendlichen Leichtsinn: „Hier sind all die Beweise, die Ihr braucht. Nutzt sie! Wir müssen jetzt handeln!“ Im Vergleich zu damals vor 14 Jahren ist auf wissenschaftlicher Ebene schon einiges passiert, aber wenig in der Politik angekommen. Scheinbar kämpft die Welt nach wie vor mit Lobbyist*innen, mit ignoranten Machthaber*innen und Meinungsmacher*innen oder mit der von Otto ebenfalls behandelten „Söldnertruppe von „Expert*innen“, die komplett fachfremd sind, und trotzdem ihre Meinung kundtun. Zu Fakten darf man faktisch unterschiedliche Meinungen beziehen. Das soll auch bitte so bleiben! Bei dieser Gruppe haben wir es aber nicht mit wissenschaftlich basierten Fakten und deren variablen Bewertungen zutun, sondern mit Falschaussagen. Das Dumme ist: der Großteil der Bewohner*innen auf diesem Planeten ist erst noch auf dem Weg, die Medienkompetenz zu erlangen, die den Umgang mit allerlei Aussagen ermöglicht, oder verfolgt aus der persönlichen Geschichte heraus alternative Glaubenssätze jenseits der wissenschaftlichen Logik. Ich liebe die Wissenschaft! Ich finde die Wissenschaftstheorie sollte Grundschulfach werden und ich liebe Modelle und Statistiken, seitdem ich die Logik dahinter einmal durchdrungen und ihre Macht auf dem Weg zur Wahrheitsannäherung für mich erkannt habe. Um an dieser Stelle einen guten Freund zu zitieren: „Jeder spinnt auf seine Weise.“ Doch so genial ich die Wissenschaft und ihre Modelle finde, so sehr drängt sich mir zunehmend ein Gedanke auf: Dass die dicken Bretter woanders zu bohren sind und der Kampf ums Überleben der Menschheit auf dem Planeten aufgrund mangels nachvollziehbarer Beweise des Klimawandels scheitern könnte. Verstärkt wurde mein Gedanke auch durch dieses Buch. Otto beleuchtet immer wieder ein besonderes Ereignis: den Wirbelsturm „Harvey“, der 2017 über die Westküche der USA fegte. Selbiger verursachte schwere Überschwemmungen, kostete Menschenleben und zerstörte allein in Houston etwa 40.000 Häuser. In Sachen Küstenschutz und Hochwassermanagement hat sich seit Harvey wenig verändert – nur der Versicherungsbeitrag für Gebäude hat sich natürlich elementar erhöht. Dafür waren die Schäden krass genug. Das sagt wohl einiges über die Wertschätzung einer Gesellschaft aus. Und das selbst in einer Region, die von „hurricane season“ spricht und es gewohnt ist, einmal im Jahr alles mit Brettern zu verrammeln und im Zweifel den Exit mehrmals geübt hat, um dann vom Dach der eigenen vier Wände mit dem Hubschrauber abgeholt zu werden. Wundern wir uns darüber nicht? Wenn man einmal eine Naturkatastrophe erlebt und in Todesangst überlebt hat, weiß man, wie erschütternd das sein kann. Es krempelt das gesamte Leben um. Und wenn wir selbst nicht einmal nach so einem Ereignis im Angesicht des Todes dazu in der Lage sind, nachhaltig bessere Entscheidungen für unsere Gesellschaft zu treffen bzw. nicht zum Handeln bereit sind, sehe ich für die Zukunft schwarz. Dies gilt nicht nur für Houston, sondern kann weltweit beobachtet werden, von Sturzfluten in Indonesien bis zu den Überschwemmungen in NRW. Wissenden Auges werden die Malediven und zahlreiche Pazifikinseln im Meer versenkt, um nur einige Beispiele zu nennen. 

Weltweite Ignoranz

Wenn wir uns umschauen in der Umwelt- und Klimapolitik, dann gibt es eine Ignoranz seitens der Menschheit – eine Ignoranz, die jeglichem Vergleich trotzend unsere Lebensgrundlagen auf diesem Planeten zerstört, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Nehmen wir Fukushima und die heutige Energiepolitik. Viel muss ich dazu nicht sagen. Wir sind unbelehrbar. Schade, leider. Leider, schade! Schade hieß übrigens auch ein guter Freund vor seiner Heirat, der heute mit seiner Frau und Tochter in Houston lebt und beim Hauskauf darauf achtete, ob sein Haus in der Überschwemmungszone steht, als Harvey durchfegte. Gern würde ich eine Attributionsstudie auf soziologischer Basis lesen, die den Unterschied einer Welt vor den Katastrophen und inklusive der Lessons Learned zeigt, und sich den Hindernissen der Menschheit beim Verfolgen einer Kausalkette widmet. Vielleicht könnten schlaue Köpfe mit diesen Ergebnissen der menschlichen Dummheit ein wenig Abhilfe schaffen. Der Klimawandel ist jedenfalls auch nach diesem Buch so allgegenwärtig wie nie zuvor und selbst für einen konservativen Lobbisten sind nach der Lektüre Greta Thunberg  und die Teilnehmer*innen der Fridays for Future-Demos keine Teppich klöppelnden Hippies mehr, die einer Verschwörungstheorie auf den Leim gegangen sind und die Schule schwänzen. Aber was rede ich? Lest das Buch oder noch besser kommt zur Lesung im Rahmen des Göttinger Literaturherbst am 29. Oktober. Die Attributionsforschung ist hierbei Meilenstein und Wegbereiterin im Kampf für die richtigen Entscheidungen, die morgen noch viel wertvoller sein werden als sie uns heute erscheinen. Darüber hinaus bietet das Werk wunderbare Einsichten in die Wissenschaft der Klimaforschung, entkräftet Argumente von Leugner*innen des Klimawandels, stellt den Klima-Lobbyismus und seine Protagonist*innen sowie deren Genese vor. Neben einem Abstecher in die Klimagerechtigkeit lernt man in diesem Buch ganz nebenbei auch soziologische Aspekte sowie das eigene Weltbild und Einstellungen zum Thema besser kennen. Das Einzige, was stört: Im Buch wird die weibliche Form verwendet, aber in der Hörbuch Version wird die Autorin von einem Mann gelesen. Diese Kombination ergibt einige Holperpassagen. Ich finde, die wenigen Frauen, die sich im Männer dominierten Wissenschaftsapparat tummeln, sollten nicht unnötig an Sichtbarkeit einbüßen. Und ja, lieber Herr Merz, hierbei handelt es sich nur um eine weibliche Sprecherin der Hörbuchversion und doch, lassen Sie mich ausreden, das ist sehr wichtig. ;)

 

 

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