Grün ist die Hoffnung

#Drogen #Seelenleben

Patrick D. war schon lange nicht mehr in der Apotheke, um sein Cannabis-Rezept einzulösen, denn seine Krankenkasse weigert sich vehement, die Kosten zu übernehmen. Außerdem traut der ADHS-Patient dem pharmazeutischen Gras nicht über den Weg, weil es mit Gammastrahlen bearbeitet wurde. Am liebsten würde der 30-jährige Göttinger sein eigenes Weed anbauen, und möglicherweise darf er das auch bald, denn seit der Gesetzes­änderung im März 2017 rauchen in der Cannabisagentur der Bundesregierung die Köpfe. 

[Text & Foto: Vanessa Pegel | Illustration: Sarah Elena Kirchmaier]

„Ich bin früher ein aggressiver, zerstörerischer Charakter gewesen und habe mich immer benommen wie ein Idiot“, sagt Patrick, während er tiefentspannt einen Joint baut. Seinen Frust über sich selbst und den Rest der Welt – der erst vor vier Jahren als ADHS diagnostiziert wurde – hat er versucht, in Alkohol zu ertränken: „Mit 14 habe ich angefangen, mich jedes Wochenende ins Koma zu saufen. Mit 19 bin ich volltrunken verkehrt rum auf die Autobahn gefahren, habe zwei Autos und mich selbst gecrasht und konnte mich hinterher nicht mehr daran erinnern. Glücklicherweise ist niemand verletzt worden, aber mein Führerschein war natürlich weg. Daraufhin habe ich meinen Job als Gas-/Wasserinstallateur verloren und musste aufhören, Versorgungstechnik zu studieren.“ Heute würde Patrick sagen, dass sein Leben das reinste Desaster war, bis er das Kiffen für sich entdeckt hat. Das war für ihn wie eine Erlösung. Sein ganzer Frust war auf einmal wie weggeblasen.

 

 

Der Deal des Jahrhunderts

Wer eine natürliche Pflanze verbietet, der muss doch einen Dachschaden haben“, sagt Patrick. Hanf ist eine der ältesten Heilpflanzen der Welt. Seit 2005 ist Cannabis in der Apotheke erhältlich und seit der Gesetzesänderung am 10.03.2017 darf es von jedem Arzt ohne Ausnahmegenehmigung verschrieben werden. Wissenschaftliche Studien belegen, dass der Wirkstoff der Hanfpflanze – das Cannabidiol [CBD] – chronische und krebsbedingte Schmerzen lindert. Darüber hinaus wird diesem Gewächs unter anderem nachgesagt, dass es gegen Epilepsie hilft, Tics beim Tourette-Syndrom mildert, Symptome von ADHS reduziert und hilfreich gegen Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, Depressionen sowie bei spastischen Lähmungen aufgrund multipler Sklerose eingesetzt werden kann. Angeblich lässt sich sogar das Tumorwachstum damit stoppen. „Marihuana hat so ein breites Anwendungsspektrum, dass es fast alle andere Pillen überflüssig macht“, befindet Patrick, zündet seine Tüte an und fügt hinzu: „Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die Pharma-Lobby das Gras-Geschäft an sich reißen will, wenn sie es schon nicht verhindern kann.“ Noch ist es verboten, in Deutschland Hanf anzupflanzen. Doch aufgrund der jüngsten Gesetzes­änderung wird die sogenannte Cannabisagentur der Bundesregierung schon bald darüber entscheiden, wer, wann, wie, wo und vor allem welches Weed in unseren Gefilden anbauen darf. Später müssen die Auserwählten dann ihr Gras an die Cannabisagentur verhökern, die es anschließend unter kontrollierten Bedingungen an die Apotheken weitergibt. Andere, die so was machen, bezeichnet man als Dealer, aber nun gut. Die große Frage ist jetzt also, wer die Bundesregierung demnächst mit Stoff beliefern darf

Gamma-Gras auf Rezept

Bis dahin wird der Bedarf der hiesigen Apotheken wie zuvor über Importe aus Kanada und den Niederlanden gedeckt. Doch das Problem mit diesem Weed ist, dass bei seiner Produktion aufgrund pharmazeutischer Vorschriften Gammastrahlen zum Einsatz kommen. Einerseits soll diese Behandlung bewirken, dass alle etwaigen Keime im Cannabis abgetötet werden, aber anderseits stehen die Gammastrahlen laut der Forschungsergebnisse einiger Patientenorganisationen unter dem Verdacht, krebserregend zu sein. Zu allem Überfluss ist das Gamma-Gras aus der Apotheke mit zwanzig Euro pro Gramm mehr als doppelt so teuer wie auf dem Schwarzmarkt. „Weil durch die Gesetzesänderung nun Unmengen an Rezepten ausgeschrieben werden und das medizinische Weed knapp wird, gibt es sogar Abzocker-Apotheken, die das Gramm für 50 Euro verkaufen“, sagt Patrick. Das kann sich kein normaler Patient leisten und auch die Krankenkassen tun sich schwer, diesen Preis zu zahlen. Stattdessen raten sie ihren Patienten, lieber auf konventionelle Therapien, zum Beispiel mit Schmerzmitteln, Ritalin oder Anti-Depressiva, zurückzugreifen – auch wenn es ihnen dadurch noch schlechter geht, weil die Risiken und Nebenwirkungen bei diesen Medikamenten viel umfassender sind als bei der natürlichen Hanfplanze. Auch Patrick wurde zuerst Ritalin verschrieben. Daraufhin bekam er es mit Suizidgedanken zu tun.

Das perfekte Paradox

Ob in Deutschland beim medizinischen Cannabis-Anbau auch Gammastrahlen zum Einsatz kommen sollen, scheint noch ungewiss zu sein. Sicher ist: Um sich für eine der begehrten Anbau-Lizenzen zu bewerben, musste man erstmal tief in die Tasche greifen und für ca. 1.500 Euro eine Beratung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte buchen. Denn die zukünftigen Gras-Gärtner benötigen ein Wirtschaftlichkeitskonzept, das auch betäubungsmittelrechtlichen Bestimmung gerecht wird. Darüber hinaus zieht die Cannabisagentur es vor, mit Leuten Geschäfte zu machen, die sich mit der Materie auskennen und bereits THC-haltiges Gras in großen Mengen angebaut haben. Spätestens hier beginnt die Angelegenheit delikat zu werden, weil es doch in Deutschland nach wie vor gegen das Gesetz ist, den Stoff anzubauen, den unsere Bundesregierung nun so dringend braucht. Somit sieht es für hiesige Unternehmer schlecht aus, eine Lizenz zu ergattern – selbst wenn sie in der Vergangenheit bereits große Mengen Gras angebaut haben, weil sie nämlich in den Knast wandern würden, wenn sie das zugäben. Das perfekte Paradox. Rechnet man das alles zusammen, schneidet das gesamte Cannabis-Programm unserer Bundesregierung bisher ganz schön schlecht ab: Das pharmazeutische Gamma-Gras ist in Verruf geraten, der Cannabisagentur stehen bei ihrem Jahrhundertdeal die eigenen Gesetze im Weg, und die Apotheken und Krankenkassen tanzen der Regierung auf der Nase herum, indem sie mit ihren Patienten machen, was sie wollen. Dabei könnte das alles doch so einfach sein.

Free Weed

Patrick D. hätte gerne am mittlerweile bereits abgelaufenen Ausschreibungsverfahren der Cannabisagentur teilgenommen, aber so wie es aussieht, wäre es zwecklos gewesen. Nun hofft er darauf, wenigstens seinen Eigenbedarf selbst anbauen zu dürfen, wie es bisher schon einigen Patienten, die bis zum Bundesverwaltungsgericht geklagt hatten, gestattet wurde. „Ich traue weder dem Gamma-Gras aus der Apotheke, noch dem Weed, das im Mafia-Stil auf dem Schwarzmarkt vertickt wird, über den Weg. Denn wenn diese Pflanzen irgendwelche Milben haben, dann ballern sie da einfach Insektengift drauf, weil es denen egal ist, ob ihre Abnehmer krank werden – Hauptsache, die Kohle stimmt“, sagt Patrick. Wenn die Patienten selbst ihre Heilpflanzen anbauen dürften, würden sie schon zusehen, dass ihr Gras nicht verseucht ist. Dann bräuchten sie eigentlich nur noch eine Lizenz zum Dealen, um die Cannabisagentur der Bundesregierung mit qualitativ hochwertigem Stoff zu versorgen. In den Kommunen stünden bestimmt so einige Unternehmensgründungen an, der Arbeitsmarkt würde florieren und die Steuerkassen klingeln. Bessere Geschäftspartner kann sich unsere Bundesregierung für ihren Jahrhundertdeal doch eigentlich gar nicht vorstellen. Aber möglicherweise will sie den Deal auch lieber mit großen Unternehmen aus dem Ausland durchziehen. „Das wäre ganz schön ungerecht, wenn dieses Geschäft nun auch wieder den ganzen superreichen Firmen vorbehalten werden würde“, findet Patrick, der ab September in Witzenhausen Ökologische Landwirtschaft studieren will und sein Studium nur allzu gerne mit seiner eigenen Gras-Gärtnerei finanzieren würde.

No dope, no hope

Ich kann mir ein Leben ohne Cannabis überhaupt nicht mehr vorstellen, denn dadurch bin ich zu einem selbstreflektierten, empathischen Menschen geworden. Man sollte es allen aggressiven Leuten verabreichen, dann wäre diese Welt ein friedlicher Ort“, sagt Patrick, der mittlerweile keinen Alkohol mehr trinkt, Sport treibt und 30 Kilo abgenommen hat. Nur seinen Führerschein, den vermisst er sehr, seitdem er ihn zum zweiten Mal abgeben musste, nachdem ihm nachgewiesen wurde, dass er 24 Stunden vor seiner Autofahrt gekifft hatte. „Das ist doch einfach Panne“, sagt Patrick. „Jede Morphium-Oma, die das seit Jahren vom Arzt verschrieben kriegt, darf sich hinters Steuer setzen, aber ich bekomme meinen Führerschein partout nicht zurück, obwohl ich mittlerweile eine Ausnahmegenehmigung habe.“
Weil die Mühlen des Gesetzgebers langsam mahlen und bestimmt noch einige Zeit ins Land gehen wird, bis es diesbezüglich vernünftige Regelungen gibt, rät Patrick allen Cannabis-Konsumenten im Falle einer Polizeikon­trolle Folgendes: „Auf keinen Fall den Pinkeltest machen! Das ist Grundregel Nummer 1. Lieber mit zur Wache fahren. Denn dann muss erst mal der Doktor kommen und Euch stechen, und das macht er nicht, wenn er Euch für nüchtern hält.“ Wäre er damals geistesgegenwärtig genug gewesen, seinen eigenen Rat zu befolgen, hätte er seinen Führerschein wahrscheinlich noch in der Tasche. Dass er ohne Gras eine schlechte Version von sich selbst ist, stellte er erst neulich wieder fest, als er wegen einer Sportverletzung für eine Woche im Krankenhaus lag. „Die haben es nicht auf die Reihe gekriegt, mir Gras zu besorgen! Wie kann das denn sein, dass in einem Elite-Universitätsklinikum kein Milligramm Gras zu finden ist?“, echauffiert sich Patrick. „Dort liegen viele schwerkranke Menschen – zum Beispiel auf der Palliativ­station – denen ich das Weed noch viel mehr gönnen würde als mir. Am letzten Tag meines Lebens werde ich definitiv kiffen wollen.“

 

 

PS: Dieser Artikel erschien erstmalig in der 6. Ausgabe des VONWEGEN-Magazins im Juni 2017.

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